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CMS-Hybride - Umstrittenes Saatgut

Sie stecken im Babygläschen, Tiefkühlmenüs und vielen anderen Gerichten mit Brokkoli und Blumenkohl. Sogenannte CMS-Hybride finden sich auch in Biogemüse. Fernsehbeiträge haben die schwelende Diskussion um das umstrittene Saatgut hochkochen lassen. Hat sich damit Gentechnik in Bioware eingeschlichen?

cms-hybride

Aus den Samen von Kopfsalat, Gurken oder Brokkoli Pflanzen für das nächste Jahr zu ziehen, ist zwar möglich, entspricht aber in weiten Bereichen der Landwirtschaft nicht der Praxis – auch nicht im Bioanbau. Statt natürlicher Reproduktion hat sich die Hybridzucht und die CMS-Hybridzucht als viel effektiver erwiesen. Das Verfahren der sogenannten Cytoplasmatischen Männlichen Sterilität (CMS) liefert deutlich höhere und zuverlässigere Erträge, die dadurch auch zu niedrigeren Preisen angeboten werden können und eine gleichmäßigere, schönere Optik aufweisen. Immer mehr fortpflanzungsfähige, samenfeste Sorten werden so vom Markt verdrängt. Auch im ökologischen Gemüsebau wird je nach Sorte zu 60-100 Prozent auf konventionelles Hybridsaatgut gesetzt.

Für die Hybrid- bzw. CMS-Hybridzüchtung werden zwei möglichst reine Inzuchtlinien einer Gemüsesorte kontrolliert gekreuzt. Die darauf folgende Generation vereint nicht nur die guten Eigenschaften der Eltern, sondern übertrifft sie deutlich. Doch der sogenannte „Heterosiseffekt“ hält nur genau eine Generation. Hybridpflanzen sind quasi Einwegpflanzen. Die Ertragsteigerung ist aber so deutlich, dass es sich für die Landwirte rentiert, Jahr für Jahr neues Hybridsaatgut zu kaufen.

Wie gut man die erforderlichen Inzuchtlinien herstellen kann, hängt von der Pflanzensorte ab. Bei der Sonnenblume ist es einfach. Sie ist von Natur aus steril und stört die Züchtung nicht durch unkontrollierte Selbstbefruchtung. Was die Sonnenblume so pflegeleicht macht, ist ihre männliche Sterilität. Die männlichen Pollen einer Pflanze können die weiblichen Blütenorgane derselben Pflanze nicht befruchten. Bei vielen Gemüsesorten dagegen, insbesondere den Kohlsorten Brokkoli, Blumenkohl, Kohlrabi und Weißkohl, ist kontrolliertes Kreuzen sehr schwierig. Aus diesem Grund wird im Labor nachgeholfen. Die Sterilität einer Pflanze wird künstlich herbeigeführt, indem man sie von einer natürlicherweise sterilen Pflanze auf die zu züchtende Pflanze überträgt: zum Beispiel von der Sonnenblume auf den Chicorée oder vom japanischen Rettich auf den Blumenkohl. Die Information für die Sterilität liegt nicht in der DNA des Zellkerns, sondern im Cytoplasma, der Grundsubstanz der Zelle. Für die Übertragung der männlichen Sterilität werden Spender- und Empfängerzelle selektiv verschmolzen. Der Zellkern der Spenderzelle wird ausgeschaltet oder zerstört und anschließend das gewünschte Cytoplasma in die Empfängerzelle übertragen. Aus dieser Fusion geht eine Empfängerzelle hervor, die nur den Zellkern des Empfängers sowie eine Mischung von Cytoplasma aus Spender- und Empfängerzelle besitzt.

Gentechnik in Bioprodukten?

Laut EU-Freisetzungsrichtlinie handelt es sich bei der CMS-Hybridzucht um Gentechnik. Für CMS-Hybride gelten aber Ausnahmen, die den Anbau und die Vermarktung erlauben, auch für Biobauern. Argumente für diese Sichtweise sind, dass bei CMS zwar ganze Zellbestandteilen ausgetauscht werden, die Gensequenzen der Zellkerne jedoch unverändert bleiben. Außerdem werde CMS bei Pflanzen aus der gleichen Familie und nicht über Artgrenzen hinweg angewendet. Somit ließen sich die Ergebnisse theoretisch auch über herkömmliche Züchtungsmethoden erreichen. Die deutschen Anbauverbände wie demeter, Bioland oder Naturland lehnen CMS dennoch als einen manipulierenden Eingriff ab. Bei Gemüse mit EU-Biosiegel ist die Technik jedoch erlaubt. Der Bund der ökologischen Lebensmittelwirtschaft BÖLW fordert daher eine Änderung der EU-Öko-Verordnung mit einem Verbot von CMS-Saatgut im Öko-Landbau.

Doch das Angebot an samenfesten Sorten reicht bei weitem nicht aus, um die bestehende Nachfrage in Deutschland abzudecken. Es gibt zwar über 50 vom Bundessortenamt zugelassene Neuzüchtungen (Stand 8/2013) in Deutschland für die allermeisten Gemüsesorten. Jedoch befinden sich die Züchtungen zum Teil noch in den Anfängen und sind wie bei Brokkoli noch weit von der Marktreife entfernt. Andere Sorten wie die Möhrensorte Rodelika haben dank einer aktiven Öffentlichkeitsarbeit einen größeren Bekanntheitsgrad erreicht. Kämen heute jedoch nur samenfeste Gemüsesorten in den Verkauf, würde das Angebot mengenmäßig deutlich geringer ausfallen und die Preise drastisch steigen. Das Problem ist, dass die Zucht der samenfesten Sorten viel Zeit benötigt. Im Bioanbau hat man vielleicht zu spät angefangen, sich im großen Stil darum zu kümmern, was sicherlich auch eine Geldfrage ist und war. Die Anbauverbände haben sich in ihren Richtlinien auf eine Position hinsichtlich samenfesten Saatguts von „soweit verfügbar“ zurückziehen müssen.

Problem Kennzeichnung

Eine Kennzeichnung für CMS-Hybride gibt es nicht. Es existieren aber in Deutschland, Frankreich und den Niederlanden CMS-Negativlisten, die entsprechendes Saatgut aufführen. Vollständig sind diese Listen allerdings nicht und so besteht die Gefahr, dass Landwirte unwissentlich solches Saatgut kaufen und CMS-Hybride bei Handelsketten auftauchen, obwohl sie diese nicht vertreiben möchten. So wurde zuletzt CMS-Gemüse in Babygläschen mit dem demeter-Siegel gefunden, die sofort aus dem Handel genommen wurden. Dies hat gravierende Konsequenzen für den Ruf und die Glaubwürdigkeit von Bio-Lebensmitteln. Aktuell wird beim Forschungsinstitut für Biologischen Landbau (FiBL) eine europaweite Datenbank eingerichtet für Sorten, die ohne Zellfusion gezüchtet wurden. Ab April 2014 soll dann eine öffentliche Online-Datenbankversion zur Verfügung stehen.

Ob das CMS-Saatgut wirklich aus dem Biobereich verschwindet, ist fraglich. Demnächst soll das europäische Saatgutrecht reformiert werden, ein Gesetzesvorschlag der EU-Kommission liegt seit September 2013 vor. Dabei geht es jedoch nur um die Regelung der Sortenzulassung zur weiteren Vermarktung, nicht um Gentechnik oder Patentrechte. Hier könnte eine neue Hürde für die samenfesten Sorten auftauchen. Denn damit eine Sorte neu zugelassen wird, muss sie besser sein als die bestehenden. Wenn unter „besser“ „ertragreicher“ verstanden wird und Zuchtziele wie Unkrauttoleranz oder Nährstoffanreicherung zweitrangig sind, haben samenfeste Sorten prinzipiell das Nachsehen gegenüber Hybridsorten. Im Zuge der Reform könnten die Kosten für Kontrolle und Zulassung zudem erheblich steigen und nur noch von Konzernen getragen werden können. Kritiker befürchten ein Ausbremsen von samenfesten Saatgut und einen herben Rückschlag für Sortenvielfalt, Kulturerhaltung, Autarkie und Souveränität in der Landwirtschaft.

Quelle: Gaster C. UGB-Forum 6/13, S. 308-309
Foto: M. Abey/pixelio.de