Wohlstandskrankheit Gicht

Der akute Gichtanfall mit heftigen Schmerzen – meist im großen Zeh – ist seltengeworden. Moderne Medikamente halten die Krankheit meist im Stadium erhöhter Harnsäurewerte auf. Entwarnung ist trotzdem nicht angesagt. In Folge von Übergewicht und Metabolischem Syndrom weist rund ein Fünftel der Bundesbürger zu viel Harnsäure im Blut auf.

Gicht Ernaehrung

Vor über 100 Jahren reimte Wilhelm Busch: „Der Dicke aber – autsch! mein Bein! – hat wieder heut‘ das Zipperlein.“ Lange galt Gicht als Krankheit der Reichen und Mächtigen. Sie kann während eines Anfalls Menschen regelrecht außer Gefecht setzen – und so existieren von ihr Zeugnisse quer durch alle Geschichtsepochen. Schon Hippokrates beschrieb sie; historische Persönlichkeiten wie Alexander der Große, Karl der Große, Ludwig XIV oder Friedrich der Große wurden von ihr geplagt. Inzwischen treten erhöhte Harnsäurewerte (Hyperurikämie) und Gicht quer über alle wohlernährten Bevölkerungsschichten auf. Selbst in China, Indien und Brasilien ist die Zahl der Gichtkranken in den letzten 20 Jahren mit wachsendem Wohlstand stark angestiegen.

Gicht ist eine Stoffwechselerkrankung, die dem rheumatischen Formenkreis zugeordnet wird. Männer haben ein zehnfach höheres Risiko zu erkranken. Die familiäre Hyperurikämie, die zu 99 Prozent mit einer verminderten Harnsäure-Ausscheidung einhergeht, wird meist vom Vater auf den Sohn vererbt. Die Veranlagung zur Gicht wird derzeit auch in Deutschland erforscht. Insgesamt 28 Gene sollen den Harnsäure-Stoffwechsel steuern. 18 Genorte konnten neu identifiziert werden, zwei davon sollen im direkten Zusammenhang zur Gicht stehen. Überernährung und Übergewicht tun dann ein Übriges. Frauen sind durch das Hormon Östrogen vor Gicht gut geschützt und erkranken in der Regel erst nach den Wechseljahren. Die Häufigkeit hat sich durch veränderte Ess- und Lebensgewohnheiten im Laufe der Jahre bei Frauen dennoch deutlich erhöht.

Scharfkantige Kristalle

Im Vergleich zu früher kommt die Gicht heute eher unspektakulär daher. Der Blick auf das Blutbild bescheinigt Menschen, die oft bislang beschwerdefrei waren, erhöhte Harnsäurewerte. Kritisch wird es bei Konzentrationen über 0,4 mmol/l oder mehr als 6,5 mg/dl im Blutserum. Diese Werte liegen über der Grenze der Löslichkeit, das heißt, es fallen Harnsäurekristalle (Uratkristalle) aus. Ohne Ernährungsumstellung und/oder Medikamente bilden sich immer mehr Harnsäureablagerungen in den Gelenken, Weichteilen und Sehnen sowie in den Nieren und Harnwegen. Die scharfkantigen Kristalle reizen vor allem in den bewegten Gelenken das Gewebe. Durch die Reizung strömen Abwehrzellen ein und setzen Botenstoffe frei, die die Entzündung verschlimmern.

Der Beitrag ist im UGBforum spezial Ernährungs- therapie – gut informiert erschienen.

Unter ungünstigen Voraussetzungen und Harnsäurekonzentrationen über 9-10 mg/dl mündet die Entzündung in einen Gichtanfall. Der erste Anfall tritt häufig ohne Vorwarnung nachts im Grundgelenk des großen Zehs auf. Dann ist die Körpertemperatur an den Körperenden leicht gesunken, die Harnsäure bleibt schlechter in Lösung und kristallisiert aus. Der Anfall kann aber auch Daumengrundgelenk, Sprung- oder Kniegelenk betreffen. Das Gelenk wird heiß und rot und schwillt stark an, die Haut beginnt zu spannen und übt zusätzlichen Druck auf das Gelenk aus. Das führt zu extrem starken Schmerzen und hoher Druckempfindlichkeit, so dass die Betroffenen nicht einmal ein Tuch tolerieren. Fieber zieht den ganzen Organismus in Mitleidenschaft. Der Anfall erreicht innerhalb von 24 Stunden sein Maximum und ist in der Regel nach drei Tagen vorbei. Wenn sich die Gichtanfälle wiederholen, spricht man von chronischer Gicht.

Gendefekt möglich

Längst nicht jeder, der erhöhte Harnsäurewerte zeigt, erkrankt an Gicht. Statistisch entwickelt sich nur aus jeder zehnten Hyper-urikämie eine manifeste Gicht. Begünstigt wird dies durch einen genetischen Defekt, der ganz überwiegend die Harnsäure-Ausscheidung über die Niere betrifft. Sehr viel seltener sind angeborene Enzymdefekte, die zu einer vermehrten Harnsäureproduktion führen. Manche Ethnien sind stärker betroffen als andere. In Afrika ist Gicht quasi unbekannt, bei den Pima-Indianern in Nordamerika oder Maori in Neuseeland kommt sie relativ häufig vor.

Hilfreiche Links:

www.gichtliga.de
www.rheuma-liga.de, Stichwort Gicht
www.bsk-ev.org (Bundesverband Selbsthilfe Körperbehindeter e.V.)
www.gichtinfo.de

Zur Diagnose Gicht gehören neben zu hohen Harnsäurewerten Harnsäurekristalle in der Gelenkflüssigkeit und erhöhte Entzündungsparameter. Die Entzündungen beginnen, Knochen und Knorpel zu zerstören. Gelenke können dadurch so deformieren, dass sie nicht mehr beweglich und belastbar sind, erkennbar beispielsweise an knotigen, gekrümmten Fingern. Harnsäurekristalle können sich auch in den Weichteilen einlagern, sogenannte Gichttophi bilden sich zum Beispiel an den Ohrmuscheln. Spätestens dann sind auch die Nieren betroffen. Etwa 40 Prozent aller Harnsäurekristalle lagern sich in den Nieren ab. Es bilden sich Nierengrieß oder Nierensteine, die die Niere schließlich verstopfen; Mediziner sprechen von der Uratnephropathie, der Gichtniere. Bluthochdruck, Harnstau und Harnwegsinfektionen sind die Folgen; im Endstadium kann es zum Nierenversagen kommen und die Patienten werden dialysepflichtig.

Krankheitsrisiko erhöht

Hinzu kommt, dass Menschen mit Hyperurikämie überdurchschnittlich häufig ein Metabolisches Syndrom (Adipositas, Bluthochdruck, Insulinresistenz und Fettstoffwechselstörung) entwickeln. Die erhöhten Harnsäurewerte sind gleichsam ein Warnsignal für eine sich ankündigende Entgleisung des Stoffwechsels. Hat sich das Metabolische Syndrom erst einmal ausgebildet, braucht es häufig eine ganze Batterie von Medikamenten wie Blutdruck- und Cholesterinsenker, eventuell Herzmedikamente, Magenschoner und Antidiabetika, um das stark erhöhte Herz-Kreislauf-Risiko zu senken.

Studiendaten aus den USA lassen darauf schließen, dass auch Menschen mit erhöhten Harnsäurewerten ohne Gicht ebenso wie Gichtpatienten ein höheres Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen haben. Über einen Zeitraum von 16 Jahren erhöhte bei 6000 anfangs gesunden Amerikanern jeder Anstieg des Harnsäurespiegels um 1 mg/dl die kardiovsakuläre Sterblichkeit von Männern um 9 Prozent und bei Frauen sogar um 26 Prozent. Möglicherweise sind auch hier Entzündungsreaktionen der Gefäßwände beteiligt.

Niere ist der Engpass

Dass es überhaupt zu Gicht kommt, liegt daran, dass Menschen Harnsäure nur eingeschränkt ausscheiden können. Andere Säugetiere verfügen dagegen über ein Enzym, das Harnsäure zu einem 5-bis 10-fach besser löslichen Stoff abbaut, dem Allantoin. Nicht so der Mensch. Er muss Harnsäure hauptsächlich über die Nieren (80 Prozent) und den Darm (20 Prozent) ausscheiden, was ein störungsanfälliges Nadelöhr darstellt. Denn Harnsäure kristallisiert auch bei Gesunden schnell aus. Es ist ungewöhnlich, dass die Natur für einen natürlich auftretenden Stoff so wenig Reservekapazität bereit hält.

Harnsäure entsteht natürlicherweise als Endprodukt des Purinabbaus. Purine kommen in den Zellen von Menschen, Tieren und Pflanzen als Bausteine der genetischen Information (DNA und RNA) vor. Sie fungieren zudem als Bestandteil von Enzymen oder energieübertragenden Substanzen. Es gibt zwei Quellen für Harnsäure: Zum einen stammt sie aus den Purinen, die beim Abbau der körpereigenen Zellen anfallen. So hat eine Darmzelle eine Lebensdauer von 1-2 Tagen, eine Hautzelle von 2-4 Wochen, viele andere Körperzellen regenerieren sich innerhalb eines Jahres. Zum anderen liefern zellhaltige Nahrungsmittel Purine; besonders viele stecken in Innereien, Fleisch und Wurst, Fisch und Meeresfrüchten, Haut von Fisch und Geflügel oder Hefe (siehe Tabelle).

Im Körper fällt vermehrt Harnsäure an, wenn außergewöhnlich viele Körperzellen abgebaut werden, zum Beispiel beim Fasten oder sehr rascher Gewichtsabnahme. Die dann womöglich gebildeten Ketonkörper behindern zusätzlich die Ausscheidung der Harnsäure. Erhöhte Harnsäurespiegel oder sogar Gicht können auch die Folge anderer Krankheiten sowie deren Therapie sein, wenn zum Beispiel durch Krebserkrankungen des blutbildenden Systems Bestrahlung oder Chemotherapie viele Zellen zerstört werden.

Die richtige Auswahl

Ganz entscheidenden Einfluss hat die Ernährung auf die Entstehung und den weiteren Verlauf von Hyperurikämie und Gicht. Viele Gichtpatienten sind übergewichtig, essen gerne und viel Fleisch und trinken regelmäßig Alkohol. Ungünstige Mahlzeitenzusammenstellungen in Kombination mit Alkohol sind besonders problematisch. Alkohol an sich ist schon ein Risiko, denn er regt die Harnsäureproduktion an und bremst zugleich die Ausscheidung; nichtzuletzt macht er Lust auf herzhaftes fettes Essen. Bier enthält über die Hefe zudem Purine. Kommt dann noch purinreiches Essen hinzu, zum Beispiel gegrillte Steaks und Würstchen, sind schnell zu viele Purine im Spiel. Auch fettreiches Essen kann sich ungünstig auswirken. Denn Stoffwechselprodukte beim Fettabbau können die Harnsäureausscheidung hemmen. Daher ist eine Ernährungsumstellung unausweichlich.

Langfristig ist unbedingt das Übergewicht abzubauen. Betroffene sollten außerdem wissen, welche Lebensmittelgruppen einen hohen Puringehalt haben.

Lebensmittel mit viel Purin
pro 100g Lebensmittelgebildete Harnsäure (mg)
Forelle, Matjes mit Haut310-320
Ölsardinen345
Sprotten, geräuchert800
Muscheln370
Innereien (Leber, Nieren, Kalbsbries)220-920
Geflügelhaut300
Fleischextrakt, Bratensoßen3500
Hefe und Produkte daraus wie Hefeextrakt, Instantbrühwürfel750-1810
Sojafleisch, trocken355
Weizenkeime, 1 EL, 10g85
Umrechnungshilfe für andere Tabellen:
1 mg Harnsäure = 0,42 mg Purine
1 mg Purine = 2,4 mg Harnsäure
Purinreiche Lebensmittel mit einem Gehalt von mehr als
250 mg Harnsäure solten Betroffene besser ganz meiden,
vor allem Innereien.


Als Leitbild für eine sinnvolle Lebensmittelauswahl dient eine fettarme, ovo-lacto-vegetarische Ernährung, denn bis auf wenige Ausnahmen wie Hülsenfrüchte enthalten pflanzliche Lebensmittel deutlich weniger Purine. Studien deuten zudem darauf hin, dass der Puringehalt pflanzlicher Lebensmittel keinen negativen Einfluss ausübt. Zusätzlich zu einem geringen Verzehr lassen sich Purine im Fleisch und Fisch durch Kochen reduzieren, denn sie gehen ins Kochwasser über. Die Brühe sollte dann selbstverständlich nicht weiterverwendet werden. Auch auf Bratensoßen sollte verzichtet werden. Der Puringehalt von Fisch und Geflügel verringert sich drastisch, wenn man die Haut weglässt.

Wichtig ist zudem, viel zu trinken:mindestens 2,5 Liter am Tag. Auf Alkohol sollte aufgrund der genannten Gründe besser verzichtet werden. Auch wer Acetylsalicylsäure zur Schmerzlinderung oder Blutverdünnung nimmt, schränkt die Purinausscheidung ein, da der Wirkstoff um den gleichen Transporter in der Niere konkurriert.

Fruktose und Gicht

Die reichliche Aufnahme von mit Fruktose gesüßten Lebensmitteln erhöht indirekt den Harnsäurespiegel. Hier könnte einer der Gründe liegen, warum die Fallzahlen für Gicht so rapide gestiegen sind. Besonders im Verdacht stehen Getränke, die viel Fruktose und/oder Haushaltszucker liefern, letzterer besteht ja zur Hälfte aus Fruktose.

Fruchtzucker aus Limonaden lässt den Purinspiegel ansteigen. Daher sollten besser Mineralwasser oder Tee den Durst löschen.

Bei einer Untersuchung im Rahmen der US-amerikanischen Nurses Health Study hatten bereits diejenigen Frauen ein 2,4-fach erhöhtes Gichtrisiko, die zwei Gläser zuckerhaltige Getränke pro Tag zu sich nahmen. Der starke Anstieg der Gicht-Fallzahlen bei den genetisch vorbelasteten Maori in Neuseeland in den letzten 100 Jahren ging einher mit einem um 50 Prozent gesteigerten Zuckerkonsum.
Fruktose wirkt noch auf eine zweite Art ungünstig. Der Zucker fördert eine Insulinresistenz, was die Harnsäure-Ausscheidung über die Niere behindert. Dies erklärt auch, warum die Hyperurikämie als Vorbote eines drohenden Metabolischen Syndroms gesehen wird. In vieler Hinsicht ähnlich wie Fruktose wirken die Zuckeraustauschstoffe Sorbit und Xylit. In besagter amerikanischer Studie konnte jedoch kein Nachweis für den Einfluss von mit Zuckeraustauschstoffen gesüßten Getränken gefunden werden.

Konsequent purinarm

Über eine lebenslange Ernährungsumstellung kann der Harnsäurewert in vielen Fällen gesenkt werden. Eine purinarme und fettreduzierte Kost mit 500 mg Harnsäure pro Tag oder 3000 mg pro Woche ist dafür ausreichend. Lediglich ein akuter Gichtanfall erfordert eine stärkere Einschränkung auf 300 mg/Tag bzw. 2000 mg/Woche. Die Ernährung umzustellen lohnt sich auf jeden Fall, am besten mit Hilfe einer kompetenten Ernährungsberatung. Denn die Alternative lautet lebenslange Einnahme von Medikamenten, was deutlich mehr Risiken und Nebenwirkungen birgt.
Die überwiegende Zahl der Betroffenen hat das Ass im eigenen Ärmel. Selbst wenn eine genetische Disposition für Hyperurikämie vorliegt, kann eine dem Gewicht angepasste vegetarische oder betont pflanzliche Ernährung der Gicht vorbeugen. Bewusst essen, ausreichend trinken und viel bewegen hilft, Schlimmeres zu vermeiden.


Onlineversion von:
Gaster, C.: "Wohlstandskrankheit Gicht" UGB-Forum Spezial Ernährungstherapie S. 24-27, 2013

Foto:pixelstore/Fotolia.com

Literatur:

  • Biesalski HK, Bischoff SC, Puchstein C. Ernährungsmedizin, Thieme Verlag Stuttgart 2010
  • Deutsche Gesellschaft für Ernährung (Hrsg). Ernährung bei Gicht, 2009, www.dge.de/modules.php?name=News&file=article&sid=994 aufgerufen 10.09.13
  • Grätzel von Grätz P. Gicht – eine Systemerkrankung. Ärzte Zeitung online, 02.05.2012
  • Müller SD, Weissenberger, C. Ernährungsratgeber Gicht, Schlütersche Verlagsgesellschaft Hannover 2009
  • www.helmholtz-muenchen.de/news/pressemitteilungen2013/pressemitteilung/article/20550/index.html
  • www.zentrum-der-gesundheit.de/gicht-durch-fructose-ia.html