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Patientenschulung - Diabetes selbst managen

In Deutschland leiden etwa acht Prozent der Bevölkerung an Diabetes. Nur wer seine Krankheit ernst nimmt und sich aktiv an der Therapie beteiligt, kann Folgeschäden vermeiden. In speziellen Schulungen lernen die Betroffenen, eigenverantwortlich mit ihrer Erkrankung umzugehen.

Blutzuckermessgerät

Bertram Meyer war mitten im Examensstress. Da es Sommer war und sehr heiß, dachte der 25-Jährige sich zunächst nichts dabei, dass er jeden Tag mindestens drei Liter trank. Etwas nervig war nur, dass er so häufig auf die Toilette musste. Nachdem das Examen vorbei war, die Symptome aber blieben, ging er zu seinem Hausarzt. Der nahm sofort eine Blutzuckermessung vor. Diagnose: Diabetes. Noch am selben Tag kam Bertram Meyer in das städtische Krankenhaus. Während des zweiwöchigen Aufenthaltes lernte er, seine Blutzuckerwerte selbst zu messen, den Kohlenhydratgehalt seines Essens einzuschätzen und sich nach Bedarf Insulin zu spritzen. Mittlerweile gehören Messen und Spritzen zu seinem Alltag dazu wie Zähneputzen.

Hohe Blutzuckerwerte tun nicht weh

Während der Typ 1 Diabetes wegen seiner deutlichen Symptome meist relativ schnell entdeckt wird, kann es beim Typ 2 bis zu fünf Jahren dauern, bis es zur Diagnose kommt. Oft haben die Patienten dann schon die ersten Folgeerkrankungen wie Veränderungen an der Netzhaut oder Durchblutungsstörungen bzw. Nervenschädigungen an den Füßen. Eine frühzeitige Diagnose wird dadurch erschwert, dass erhöhte Blutzuckerwerte nicht weh tun. Meist kündigt sich die Stoffwechselerkrankung mit starkem Durst, erhöhtem Harndrang, Müdigkeit, Antriebslosigkeit, Störungen der Wundheilung und Juckreiz an. Langfristig führen hohe Blutzuckerwerte zu Veränderungen an den Gefäßwänden und wegen der mangelhaften Durchblutung zu Schäden an Augen, Füßen, Nieren und Nerven.

Derzeit sind in Deutschland mehr als sechs Millionen Menschen von der chronischen Störung des Kohlenhydratstoffwechsels betroffen. Rund 95 Prozent erkranken am Typ 2, der meist nach dem 40. Lebensjahr auftritt. Die Patienten bilden zwar Insulin, das jedoch nicht richtig wirksam ist. Der Typ 1 Diabetes wird häufig zwischen dem 15. und 25. Lebensjahr entdeckt. Er zeigt zwar ähnliche Symptome und Folgen wie der Typ 2, hat jedoch ganz andere Ursachen. Hierbei handelt es sich um eine in geringem Maß erblich bedingte Erkrankung, bei der die insulinproduzierenden Zellen zerstört werden, so dass die Bauchspeicheldrüse kein Insulin mehr bilden kann.

Diabetes ist Einstellungssache

Ziel jeder Diabetestherapie ist es, die Konzentration des Blutzuckers zu normalisieren. Als physiologisch gelten folgende Werte:
nüchtern: 60 - 110 mg/dl
1 Stunde nach der Mahlzeit: bis 140 mg/dl
Eine gute Einstellung des Blutzuckers ist nur mit der aktiven Mitarbeit des Betroffenen möglich. Denn er ist es, der im Alltag in eigener Regie seine Nahrung berechnen und entsprechend Tabletten einnehmen oder Insulin spritzen muss. Daher ist die Schulung ein unverzichtbarer Baustein jeder Diabetesbehandlung. Es reicht nicht aus, wenn der Arzt nach der Diagnose den Patienten mit Tabletten, Insulin und einigen Ernährungshinweisen halbherzig einstellt. Nur wenn der Betroffene genug Wissen und Handlungsbereitschaft hat, kann er verantwortungsbewusst mit seiner Krankheit umgehen und Langzeitschäden vermeiden.

Typ 2: Abnehmen ist oberstes Gebot

Bei der Schulung wird zunächst unterschieden, ob es sich um Typ 1 oder Typ 2 Diabetes handelt. Typ 2 Diabetiker sind in der Regel übergewichtig, wodurch die Wirksamkeit des Insulins beeinträchtigt wird. Zusätzlich leiden sie häufig an Fettstoffwechselstörungen und Bluthochdruck. Bei der Behandlung müssen also mehrere Stoffwechselstörungen berücksichtigt werden. Neben den verschiedenen Formen der Insulintherapie stellt die Ernährung die Basis für jede Behandlung dar. Für den übergewichtigen Typ 2 Diabetiker steht an erster Stelle, Gewicht zu reduzieren. Oft lassen sich allein dadurch die Blutzuckerwerte wieder normalisieren. Im Rahmen der Diabetikerschulung wird in einer ausführlichen Anamnese das Essverhalten des Patienten erfasst. Diätpläne mit festgelegten Kalorienmengen sind heute out. Vielmehr soll der Patient seine Ernährungsgewohnheiten langfristig umstellen und so schrittweise Übergewicht abbauen. Meist schafft er es besser, sein reduziertes Gewicht zu halten, wenn er nicht zu schnell abnimmt. In der Regel reicht ein Gewichtsverlust von ein bis zwei Kilogramm pro Monat aus. Je nach Stoffwechsellage des Patienten entscheidet der Arzt, ob eine reine Ernährungstherapie ausreicht oder Tabletten oder Insulin eingesetzt werden müssen. Bei den Tabletten handelt es sich um Wirkstoffe, die die Kohlenhydratresorption im Darm hemmen (Disaccharidasehemmer), die Funktion der Bauchspeicheldrüse unterstützen (Sulfonylharnstoffe) oder die Wirkung des körpereigenen Insulins verbessern sollen (Biguanide).

Erst bei der Therapie mit Insulin ist es erforderlich, dass der Betroffene den Kohlenhydratgehalt seiner Nahrung selbst einschätzt. Ob die Größe und Menge der Mahlzeiten streng eingehalten oder flexibel gestaltet werden können, hängt von der Form der Insulintherapie ab. Bei der noch häufig angewandten "konventionellen Therapie", spritzt der Patient zum Frühstück und zum Abendessen eine Mischung aus Verzögerungs- und Normalinsulin, die jeweils für ca. zwölf Stunden ausreicht. Er muss dann seine Mahlzeiten regelmäßig einnehmen und auf den Kohlenhydratgehalt achten. Damit der Patient das tägliche Essen flexibler gestalten kann, werden heute vermehrt kurzwirksame Insuline und noch kürzer wirksame Insulinanaloga direkt zu den Hauptmahlzeiten eingesetzt.


Gesunde Ernährung statt Diät

Nach heutigen Erkenntnissen müssen Diabetiker keine spezielle Diät mehr einhalten. Günstiger ist es, wenn sie sich an den allgemeinen Empfehlungen einer gesunden Ernährung orientieren. Viele Ballaststoffe und Vitamine, weniger Protein, wenig Fett in der richtigen Zusammensetzung sowie Alkohol in Maßen lauten die wichtigsten Empfehlungen. Die Proteinzufuhr sollte etwa I0-20 Prozent der Energieaufnahme betragen. Ein höherer Proteinanteil gilt als ungünstig, weil er die Niere zusätzlich belastet, die beim Diabetiker ohnehin gefährdet ist. Kohlenhydrathaltige Lebensmittel, die reich an löslichen Ballaststoffen sind, lassen den Blutzucker nur langsam ansteigen und sind daher besonders empfehlenswert. Dazu zählen Hülsenfrüchte, Vollkornprodukte sowie einige Obstsorten. Wegen ihres positiven Effektes auf die Bluttfettwerte sollte der Anteil an einfach und mehrfach ungesättigten Fettsäuren in einem günstigen Verhältnis stehen. Gesättigte Fettsäuren und trans-Fettsäuren sind zu reduzieren. Dies erreicht man mit einer Kost, die reich an pflanzlichen Fetten und Ölen, insbesondere Oliven- oder Rapsöl, ist. Spezielle Diabetikerprodukte sind bei einer gesunden Ernährung überflüssig.


Typ 1: Insulintherapie steht im Vordergrund

Bei Menschen mit Typ 1 Diabetes ist eine sofortige Behandlung mit Insulin erforderlich. Die meist schlanken Typ 1 Diabetiker werden überwiegend auf die so genannte Intensivierte Insulintherapie eingestellt. Mit Hilfe von langwirkendem Verzögerungsinsulin als Basis und schnell wirksamem Normalinsulin zu den Mahlzeiten wird versucht, die Funktion einer gesunden Bauchspeicheldrüse nachzuahmen. Dabei kann der Betroffene die Insulindosis individuell an seinen aktuellen Blutzuckerspiegel und die Kohlenhydratmenge seiner Mahlzeit anpassen. Weil er Umfang und Zeitpunkt einer Mahlzeit weitgehend frei wählen kann, ist er im Alltag viel ungebundener. Dafür muss er aber täglich mindestens viermal seinen Blutzuckerspiegel messen und sich fünfmal Insulin spritzen. Dies erfordert ein enormes Engagement und ein hohes Maß an Eigenverantwortlichkeit.
Eine Variante der Intensivierten Insulintherapie sind so genannte Insulinpumpen, mit denen dem Körper über einen Katheter in der Haut Insulin zugeführt wird. Auch hier muss der Blutzucker regelmäßig gemessen und die Insulindosis angepasst werden.

Diabetiker sind ihre eigenen Manager

Die Schulung soll den Diabetiker in die Lage versetzen, die Therapie eigenverantwortlich durchzuführen. Neben den theoretischen Grundlagen lernt der Patient daher vor allem, wie er sein Wissen konkret im Alltag umsetzen kann. Praktische Übungen und individuelle Absprachen bilden den Schwerpunkt der Schulung. Die Teilnehmer trainieren, wie und wann sie ihren Blut- und Urinzucker am besten messen. Anschließend üben sie, die Werte richtig zu interpretieren: Was habe ich gegessen? Welches Insulin wirkt gerade? Habe ich mich mehr bewegt als sonst? Anhand der Ergebnisse muss der Patient entscheiden, wieviel Insulin er sich vor der nächsten Mahlzeit zuführt. Auch den richtigen zeitlichen Abstand zum Essen gilt es herauszufinden.

Da heute keine spezielle Diabetes-Diät mehr empfohlen wird, sondern eine allgemein gesunde Ernährung, können die Patienten ihre Mahlzeiten weitgehend frei bestimmen. Selbst der Verzehr von zuckerhaltigen Lebensmitteln ist kein Tabu mehr. Sie müssen allerdings lernen, den Kohlenhydrat- und Kaloriengehalt ihres Essens richtig zu beurteilen, um die Insulingaben daran anzupassen. Schätzungen gehören daher zu den wichtigsten Übungen im Rahmen der Diabetikerschulung. Dies geschieht heute mit Hilfe von Kohlenhydrat-Schätzeinheiten (früher BE, Broteinheiten). Eine Kohlenhydrat-Schätzeinheit entspricht 10-12 Gramm Kohlenhydraten, das sind etwa eine halbe Scheibe Vollkornbrot, eine hühnereigroße Kartoffel oder ein kleiner Apfel. Erschwert wird die Bewertung dadurch, dass auch körperliche und geistige Beanspruchung, Krankheit oder Reisen den Blutzuckerspiegel beeinflussen. Die Teilnehmer lernen zudem, Symptome akuter Entgleisungen wie Über- und Unterzuckerung rechtzeitig zu erkennen. Auch Angehörige sollten miteinbezogen werden, damit diese im Notfall richtig handeln können.

Die Schulung von Diabetikern endet nicht nach Abschluss eines einzelnen Kurses. Vielmehr stellt sie einen fortwährenden Prozess dar, der eine konsequente Diabetesbehandlung, regelmäßiges Wiederauffrischen des Diabeteswissens und einen guten Dialog von Patient und Therapeut beinhaltet. Im Diabetes-Schulungszentrum der Universität Giessen werden auf diese Weise Menschen mit Diabetes mellitus seit Jahren erfolgreich betreut. Das Engagement der Betroffenen und ihre positive Rückmeldung bestärken das Team in seiner Arbeit.

LITERATUR:
HIEN, P. : Diabetes Handbuch, Springer, Berlin 1997
JÄCKLE, R. : Gut leben mit Typ 1 Diabetes. Arbeitsbuch zur Basis-Bolus-Therapie. 3. Aufl., GustavFischer, 1999
TEUSCHER, A.: Handbuch für das Diabetes-Team. Hans Huber, 1998

Quelle: Liersch, J.: UGB-Forum 2/00, S. 72-74


Dieser Beitrag ist dem UGB-Archiv entnommen.

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