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Low-carb kontrovers

Seit Jahrzehnten empfehlen Ernährungswissenschaftler fettarmes Essen, um Übergewicht und Diabetes vorzubeugen. Mehr als 30 Energieprozent soll der Fettanteil des täglichen Speiseplans nicht betragen. Kohlenhydrate gelten dagegen als ideal, um das Gewicht zu halten und sollen mindestens die Hälfte der Nahrungsenergie ausmachen.

low carb und Diabetes Typ 2

Jetzt glauben amerikanische Wissenschaftler genug Hinweise dafür gesammelt zu haben, die geltende Lehrmeinung zu revidieren. Die beiden Ernährungswissenschaftler Dr. Nicolai Worm, Autor der LOGI-Methode, und Prof. Dr. Helmut Heseker, Abteilungsleiter Wissenschaft im Präsidium der Deutschen Gesellschaft für Ernährung, bewerten die neuen Erkenntnisse ganz unterschiedlich.

Pro Low-carb: Nicolai Worm

In Deutschland leidet etwa die Hälfte der Bevölkerung an Übergewicht. Die meisten haben chronischen Bewegungsmangel. Da auch das Durchschnittsalter zunimmt, sind als Folge schon etwa 30 Millionen Deutsche von einer mehr oder weniger ausgeprägten Insulinresistenz betroffen. Die geringere Empfindlichkeit der Insulinrezeptoren der Zellen bewirkt eine Glucoseintoleranz, woraus wiederum eine chronische Überproduktion von Insulin (Hyperinsulinämie) resultiert. Die Menge der verzehrten Kohlenhydrate und ihr glykämischer Index beeinflussen diesen Prozess. Denn je ausgeprägter die Glucoseintoleranz, desto stärker steigen bei hoher glykämischer Last (GL) die Konzentrationen von Blutzucker und Insulin nach dem Essen (postprandial). Solche hohen Werte sind unabhängige Risikofaktoren für Übergewicht, Typ 2 Diabetes, Herz-Kreislauferkrankungen und Krebs.

Mit Low-carb Übergewicht vorbeugen

Mit einer gezielten Ernährung lässt sich die glykämische Last verringern. Günstig ist es, den Kohlenhydratanteil zu senken, Dazu wird der Verzehr von Stärketrägern (z. B. Kartoffeln, Nudeln) und Zuckern reduziert und im Austausch dagegen die Eiweiß- (20-30 En%) und Fettzufuhr (40-50 En%) erhöht, wie es beispielsweise die LOGI-Methode empfiehlt. Einfach ungesättigte Fettsäuren sollten bevorzugt und auf ein niedriges Omega-6- zu Omega-3-Verhältnis geachtet werden. Als verbleibende Kohlenhydratquellen sind Gemüse, Früchte, Beeren und Hülsenfrüchte ideal. Sie haben einen niedrigen glykämischen Index und einen hohen Anteil an Ballaststoffen. Damit ergibt sich nicht nur eine niedrige glykämische Last, sondern gegenüber einer herkömmlich empfohlenen Ernährung auch eine besonders hohe Nährstoffdichte. Eine solche Kost erzielt im Vergleich zu einer fettreduzierten, kohlenhydratbetonten Ernährung günstigere Stoffwechseleffekte: Denn durch die niedrige glykämische Last kann sich die Insulinsensitivität wieder steigern. In der Folge sinken sowohl die postprandialen als auch die Nüchtern-Blutzuckerwerte und die Blutfettwerte normalisieren sich. Der Gesamtcholesterinspiegel, das LDL- und VLDL-Cholesterin wie auch die Triglyceride sinken. Gleichzeitig wird das HDL-Cholesterin angehoben. Insgesamt mindert sich damit das kardiovaskuläre Risiko.

Eine solche Ernährungsumstellung schont außerdem die Insulin produzierenden Beta-Zellen der Bauchspeicheldrüse und senkt damit das Risiko, dass sich ein Typ 2 Diabetes entwickelt. Zudem hilft diese kohlenhydratreduzierte und -modifizierte Kost Typ 2 Diabetikern, ihren Blutzucker besser zu kontrollieren, und mindert häufig die erforderliche Medikamentendosis deutlich.

"Artgerechte" Ernährung des Menschen

Bei der LOGI-Methode ist die Energiedichte trotz relativ hoher Fettzufuhr sehr niedrig. Das große Nahrungsvolumen und die hohe Eiweißzufuhr bedingen eine ausgeprägte Sättigung. Damit fällt es auch übergewichtigen Menschen verhältnismäßig leicht, auf Dauer eine negative Energiebilanz zu erzielen und abzunehmen. Wie eine Vielzahl kontrollierter Studien belegt, ist der Abnahmeeffekt tatsächlich umso größer, je niedriger der Kohlenhydratanteil ist. Andererseits erschweren rigorose Low-carb-Formen mit einem Kohlenhydratanteil von nur 10 Energieprozent, wie sie die Atkins-Diät in ihrer Einstiegsphasen vorsieht, das Durchhaltevermögen. Ihr Langzeiterfolg ist ähnlich fraglich wie der von Low-fat-Diäten. Vor diesem Hintergrund versprechen "sanfte" Low-carb-Formen wie LOGI mit moderaten Kohlenhydratanteilen auf Dauer größeren Erfolg. Das Ausmaß der präventiven und therapeutischen Wirkung solcher oder ähnlicher Ernährungsformen in Bezug auf Erkrankungs- und Todesrisiken wird zurzeit an verschiedenen Forschungszentren der Welt untersucht.

Dass die physiologische Wirkung von kohlenhydratreduzierten Kostformen so günstig ausfällt, dürfte kein Zufall sein: Die Menschheit hat Millionen Jahre lang in ihrer Entwicklungsgeschichte "Low-carb" gelebt. Dass wir auch heute daran immer noch optimal adaptiert sein könnten, dass dies also eine "artgerechte" Ernährung darstellt, ist eine biologisch plausible These, deren Erforschung zukunftsweisend sein wird.

Näheres zur Logi-Methode finden Sie hier

Kontra Low-carb: Helmut Heseker

Weltweit steigt die Zahl der Übergewichtigen und Diabetiker. Abnehmende körperliche Aktivität sowie eine an den verringerten Energiebedarf nicht angepasste, ungünstige Ernährung sind dafür die zentralen Ursachen. Schon länger wird nach Ernährungsformen gesucht, die auch bei Menschen mit weniger aktivem Lebensstil nicht zu Übergewicht führen. Dabei steht neuerdings die Frage im Mittelpunkt, ob der Kohlenhydratanteil in der Nahrung zu Gunsten der Fett- und Proteinanteile drastisch reduziert werden sollte.

Besonders die beiden Forscher der Harvard University Walter Willett und David Ludwig vertreten die Hypothese, dass Lebensmittel mit einem hohen glykämischen Index (GI) das Risiko für Adipositas und möglicherweise Typ 2 Diabetes erhöhen. Einige randomisiert-kontrollierte Low-carb-Studien scheinen diese Hypothese auf den ersten Blick zu stützen. Durch Begriffe wie "low carb", "Atkins-friendly" oder "Glyx-Diät" sind entsprechende Ernährungsratschläge auch bei uns inzwischen populär geworden. Verschiedene Buchautoren und "fortschrittliche" Ernährungsberater nutzen die "Low-carb-Mania" bereits für eigene geschäftliche Erfolge. Dabei ist die Datenlage keinesfalls so eindeutig, wie dies von den Low-carb-Befürwortern gern dargestellt wird.

Ergebnisse werden von Low-carb-Befürwortern überinterpretiert

Wenn nach Zusammenhängen zwischen Ernährung und Erkrankungen gesucht wird, liefern randomisiert-kontrollierte oder prospektive Kohortenstudien zwar die zuverlässigeren Ergebnisse. Oft wird aber übersehen oder ignoriert, dass diese Studien nicht immer im Sinne einer "good clinical practice" durchgeführt werden. In zwei häufig angeführten Low-carb-Interventionsstudien (Samaha et al. und Foster et al. 2003) wurden zum Beispiel keine "Intention-to-treat-Analyse" durchgeführt. Das heißt, dass Probanden, die die Diät vorzeitig abbrachen, nicht bis zum Studienende verfolgt wurden. In den genannten Studien lag der Anteil der Studienabbrecher bei 40 Prozent, der nicht in die Auswertung der Untersuchungsergebnisse einging.

Besonders in Studien zur Gewichtsreduktion scheiden häufig viele Testpersonen aus, weil sie die Diät nicht länger einhalten wollen oder weil das Gewicht trotz der Intervention ansteigt. Eine nicht an strengen wissenschaftlichen Kriterien ausgerichtete Bewertung von Studienergebnissen führt jedoch schnell zu einer Fehlinterpretation und bewährte Ernährungsempfehlungen werden zur allgemeinen Verunsicherung in Frage gestellt. Gravierende Probleme ergeben sich auch dadurch, dass Ernährungsstudien nicht als echte Doppelblindstudien durchgeführt werden können. Anders als bei einem Placebo wissen die Testpersonen, was sie essen. Dies führt dazu, dass Probanden, die eine protein- und fettreiche Atkins-Diät erhalten, in der Regel stärker motiviert sind, eine Gewichtsreduktion zu erreichen, weil sie schon viel über die vermeintlichen Erfolge der Diät gehört haben ("self-fulfilling prophecy").

Deutsche essen nicht amerikanisch

Eine hohe Kohlenhydratzufuhr hat sich in amerikanischen Studien möglicherweise deshalb als problematisch herausgestellt, weil Verbraucher dort in den letzten Jahren ihre Fettaufnahme teilweise sehr drastisch zugunsten von Kohlenhydraten reduziert haben. Allerdings handelt es sich dabei vorwiegend um leicht resorbierbare Kohlenhydrate in Form von Maissirup, Haushaltszucker und Weißmehlprodukten. Gleichzeitig war die Zufuhr an ballaststoffreichen Kohlenhydratträgern reduziert.

Hierzulande empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE), mindestens 50 Prozent der Nahrungsenergie als Kohlenhydrate aufzunehmen. Die Betonung liegt dabei auf kohlenhydratreichen Lebensmitteln mit langsamer Blutzuckerwirksamkeit, wie beispielsweise Vollkornprodukten. Es liegen keine Studienergebnisse vor, dass eine vollwertige Kostform mit einem hohen Anteil ballaststoffreicher Kohlenhydratträger und moderater Fettzufuhr zu einem erhöhten Risiko für Adipositas oder Diabetes führt. Auch Walter Willett betont daher, dass die in seinem Land gewonnenen Studienergebnisse und daraus abgeleitete Empfehlungen nicht unbedingt auf ein anderes Land mit anderen Essgewohnheiten übertragen werden können.

GI kein allgemeines Maß für Lebensmittelqualität

Zur Bewertung der Nahrungsqualität wird von interessierter Seite neuerdings der GI herangezogen - vielleicht weil fett- und proteinreiche Lebensmittel hier besonders gut abschneiden. Der GI ist zwar geeignet, die Qualität von kohlenhydratreichen Lebensmitteln partiell zu beschreiben. Für die Beurteilung der ernährungsphysiologischen Qualität protein- oder fettreicher Lebensmittel ist dieses Instrument aber völlig ungeeignet.

Selbstverständlich besitzen die gegenüber einer hohen Fettaufnahme seit Jahren bestehenden und wissenschaftlich gut begründeten Argumente auch weiterhin ihre volle Gültigkeit! Eine hohe Zufuhr an gesättigten Fettsäuren, Transfettsäuren oder Cholesterin führt zu einem Anstieg der Gesamtcholesterin- und LDL-Serumspiegel sowie einem erhöhten Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen.

Auch die nachweislich ungünstigen Effekte einer proteinreichen Ernährung gelten weiterhin. Zudem dürfte eine deutliche Erhöhung des Proteinverzehrs die sich aus der Massentierhaltung ergebenden Probleme - auch im Hinblick auf das ungelöste Welternährungsproblem - weiter verschärfen.

Entgegen anderen Behauptungen liegt keinesfalls eine überzeugende Evidenz vor, dass eine protein- und fettreiche, aber kohlenhydratarme Ernährung mittel- oder langfristig einen bedeutsamen Beitrag zur Lösung des Adipositas- oder Diabetesproblems leisten kann - im Gegenteil. Eine ausgewogene Ernährung in Kombination mit reichlich körperlicher Bewegung ist langfristig am ehesten geeignet, Adipositas und damit einhergehende Folgeerkrankungen zu verhindern. Die Ernährung sollte reich an Gemüse, Obst und langsam resorbierbaren Kohlenhydraten und Ballaststoffen im botanischen Verbund sein, aber moderat in der Zufuhr von Fetten, insbesondere tierischen Fetten. Eine solche Auswahl liefert reichlich Vitamine und sekundäre Pflanzenstoffe und sorgt gleichzeitig für eine gute Magenfüllung und somit Sättigung.

Quelle: Worm, N.; Heseker, H.: UGB-Forum 1/05, S. 16-19