Leserbrief und Stellungnahme

Gezuckerte Schulmilch – Note »mangelhaft«

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Leserbrief

von Dipl. oec. troph. Sigrid Binnenbruck

Grundsätzlich werden in dem Beitrag die Aussagen aus dem 80-seitigen Schulmilch-Report von foodwatch aufgegriffen und Zitate daraus eingebaut. Angegeben ist nur eine einzige Quelle, in diesem Fall der Schulmilch-Report von foodwatch. Als Beispiel sei die sogenannte Ausnahmeregelung erwähnt, die angeblich von der NRW-Landesregierung geschaffen worden wäre. Hätte die Autorin sich die Mühe gemacht, die eigentliche EU-Verordnung zu lesen, hätte sie festgestellt, dass es diese "Ausnahmeregelung" nicht gibt und sich auch eine Landesregierung von NRW nicht über EU-Regelungen stellen darf. Die Umsetzung der Schulmilchförderung ist Ländersache. Da die zur Verfügung gestellten EU-Gelder begrenzt sind, werden in den meisten Bundesländern ausgewählte Schulen einmal pro Woche kostenlos mit Produkten beliefert. Eine flächendeckende Versorgung ist dies nicht.

Auch im Abschnitt "Studien mit mangelhafter Methodik" sind eindeutig nur Aussagen von Foodwatch zitiert, entweder als direktes bzw. indirektes Zitat oder nicht gekennzeichnete oder dem WDR-Fernsehen zugeordnete Zitate. Diese sind erkennbar für jeden, der den Schulmilch-Report oder die diesbezüglichen Pressemeldungen von Foodwatch gelesen hat.

Unabhängig davon ist das Fazit der Autorin mehr als fraglich und in sich widersprüchlich: Sie stellt zwar fest, dass die Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit Calcium und Milchprodukten nicht gedeckt sei, gut versorgte Kinder mit Schulmilch aber den Appetit auf das Pausenbrot verlieren würden. Das ist schon ein Widerspruch in sich, u. a. weil die Schulmilchverpflegung vor allem die nicht so optimal versorgten Kinder im Blick hat. Natürlich kann die schlechte Versorgung mit Calcium von einer 1x-wochentlichen Schulmilchlieferung nicht komplett ausgeglichen werden - es ist aber immerhin ein Weg wie ihn die meisten Bundesländer gehen. In NRW gibt es jedoch eine tägliche Schulmilchlieferung, die durchaus eine Versorgungslücke schließen würde, wie auch Prof. Kersting von Institut für Kinderernährung vor Jahren schon feststellte.

Foodwatch greift in seinem Schulmilch-Report und der dazugehörigen Kampagne Landesregierungen und Schulmilchlieferanten an, verfügt jedoch über kein eigenen Ernährungswissen, wie der Blick auf die Mitarbeiterprofile zeigt. Auch die Aussagen dieser NGO sollten kritisch hinterfragt werden, ganz besonders von Ernährungswissenschaftlern. Die Schlussfolgerung kann durchaus die gleiche sein, jedoch fachlich fundiert.

Köln, August 2019


Stellungnahme der Autorin

M. Sc. Ernährungswiss. Maike Nestle

Was die detailliertere Kritik angeht, möchte ich sagen: Ja, der foodwatch-Report ist eine wesentliche Quelle gewesen, doch bei weitem nicht die einzige und auch nicht ungeprüft. Foodwatch belegt alle Aussagen in Fußnoten und wo für den Artikel nötig, habe ich diese überprüft.

Ich habe mir natürlich auch die Mühe gemacht, die entsprechende EU-Verordnung zu lesen, in der es heißt, dass die förderungsberechtigten Milcherzeugnisse Trinkmilch und laktosefreie Trinkmilch sowie Käse, Quark oder Topfen, Joghurt und andere fermentierte oder gesäuerte Milchprodukte ohne Zusatz von Aromastoffen, Früchten, Nüssen oder Kakao und ohne Zusatz von Zucker sind. Das ist erstmal sehr klar!

In einem weiteren Absatz (Artikel 23/6) heißt es dann jedoch: "Ungeachtet des Unterabsatzes 1 können Mitgliedstaaten beschließen, dass die in Betracht kommenden Erzeugnisse im Sinne der Absätze 4 und 5 in begrenzten Mengen Zusätze von Zucker, Salz und/oder Fett enthalten dürfen, sofern ihre für Gesundheit und Ernährung zuständigen Behörden zuvor im Einklang mit den nationalen Verfahren die entsprechende Genehmigung hierfür erteilt haben." So hat NRW beschlossen, Zusätze von Zucker zuzulassen, setzt sich damit nicht über EU-Regelung hinweg, sondern schöpft die Möglichkeiten komplett aus. Ob dies für die Gesundheit der Kinder sinnvoll ist, darüber lässt sich freilich diskutieren.

Die Argumentation der Leserin ist es ja dann, dass es besser sei, jedem Kind täglich einen Kakao anzubieten, statt einmal in der Woche nur Milch. So würden ja auch die schlecht mit Calcium versorgten Kinder erreicht. Das mag einerseits stimmen, andererseits verliert man so die Hälfte der Kinder aus dem Blick, die gut mit Calcium versorgt sind, aber keine weiteren 50 g Zucker pro Woche benötigen. Die Kritik von foodwatch richtet sich auch nicht pauschal gegen Landesregierungen und Schulmilchlieferanten, sondern gegen einige wenige Landesregierungen und Schulmilchlieferanten.

Ich habe übrigens sämtliche Internetseiten aller Bundesländer aufgerufen und mir in einer Tabelle festgehalten, wie das EU-Programm in den einzelnen Ländern umgesetzt wird. Dabei fiel insbesondere auf, dass die meisten Bundesländer kostenlos einmal Milch pro Woche verteilen und diese Länder den Verkauf der gelieferten Produkte ausdrücklich verbieten. NRW, Hessen und Berlin/Brandenburg verkaufen die Schulmilch. Ist es bloß ein Zufall, dass dies gerade die Länder sind, die von foodwatch kritisiert wurden, weil sie gezuckerte Milchprodukte fördern? Man muss noch dazu kein Rechenkünstler sein, um festzustellen, dass die Kosten für die Milchpäckchen von 250 ml à 0,30 € trotz EU-Subvention den Ladenpreis für konventionelle Vollmilch im Liter-Pack überschreiten. Foodwatch sieht es so: "Durch kleine Packungen und einen hohen Logistikaufwand versickern die staatlichen Fördergelder und kommen bei den Eltern praktisch nicht mehr an." Also darf man sich ja wohl fragen, wer am Ende daran verdient, oder?
Auch interessant ist, dass das im Rahmen des EU-Programms verteilte Gemüse und Obst in NRW kostenfrei für die Schüler und Eltern verteilt wird, die Milch aber nicht. Es spricht aus meiner Sicht einiges dafür, dass die Foodwatch-Kritik völlig berechtigt ist.

Ich habe auch nicht das EU-Schulprogramm generell kritisiert, sondern sehe seine Chancen darin, tatsächlich gesündere Ernährungsgewohnheiten ALLER Schüler zu fördern, sofern die Produkte naturbelassen sind und der Unterricht nicht von Marketinginteressen beeinflusst wird. Ich finde es sehr gut, dass an der Schule meiner Tochter den Schülern jeden Tag frisches Obst und Gemüse eines lokalen Erzeugers angeboten wird - dank EU-Schulprogramm.

Heidelberg, September 2019