Leserbrief zum Beitrag
„Demenz: Einfluss durch Ernährung“

von Dr. Nicolai Worm

Der UGB-Newsletter Mai 2015 stellt eine Arbeit von Marjo Eskelinen1 (2014) zum Einfluss von Fetten auf die kognitive Leistungsfähigkeit vor. Diese Arbeit basiert auf einer einzigen Ernährungserhebung mit einem FFQ. Die chronische Unzuverlässigkeit einer solchen Fragebogenerhebung ist hinreichend bekannt. Diese groben Ernährungsdaten wurden nach Ablauf von 21 Jahren (!) mit der kognitiven Leistung in Beziehung gesetzt. Für die Diagnostik wurden Tests eingesetzt, deren große Störungsanfälligkeit bekannt ist. Diese Details zur Einordnung der Aussagefähigkeit wären sicherlich für die Leser interessant gewesen.

1. Sie schreiben, dass „eine hohe Aufnahme an gesättigten Fettsäuren ... mit einer schlechteren kognitiven Funktion sowie einem schlechteren prospektiven Gedächtnis einherging.“

Tatsächlich fanden sich von 6 getesteten Aspekten nur bei einem eine signifikante und einem weiteren eine marginal signifikante Beziehung.
Beim Mini-Mental-Status-Test* zur allgemeinen kognitiven Funktion sank der MMST-Wert von 26,2 Punkten unter geringerer Zufuhr von gesättigten Fettsäuren (0 – 21,6 g/Tag) auf 25,8 Punkten unter hoher Zufuhr von gesättigten Fettsäuren (> 21,6 g/Tag). Der Unterschied von 0,4 Punkten (auf einer Skala von 0 – 30!) war zwar statistisch signifikant, aber ob das klinisch relevant ist, darf bezweifelt werden.
Der zweite Aspekt bezog sich auf das „prospektive Gedächtnis“, das mittels des „Prospective memory task“ Tests geprüft wurde, der auf einer Skala von 4 (sehr gut) bis 1 (sehr schlecht) ausgewiesen wird. Dass der marginal signifikante Rückgang von 0,1 Punkten – von 2,7 unter geringerer Zufuhr von gesättigten Fettsäuren (0 – 21,6 g/Tag) auf 2,6 unter hoher Zufuhr von gesättigten Fettsäuren (> 21,6 g/Tag) – klinisch relevant ist, darf bezweifelt werden (Tabelle 17, S. 70).

2. Sie schreiben „Gleichzeitig erhöhte sich das Risiko für leichte kognitive Beeinträchtigungen.“

Tatsächlich trifft diese Aussage allein auf die männlichen Teilnehmer zu. Bei der Mehrheit der Teilnehmer, den Frauen, fand sich kein erhöhtes Risiko durch gesättigte Fettsäuren (siehe S. 68)! Das könnte die Leserinnen des UGB-Newsletter möglicherweise interessiert haben.

3. Sie schreiben, dass eine hohe Aufnahme von PUFA „zum Beispiel aus Pflanzenölen mit einem besseren allgemeinen Gedächtnis verbunden“ sei.

Das ist falsch! Wie der Tabelle 17 entnommen werden kann, lag der Wert im Mini-Mental-Status-Test bei geringer Zufuhr von PUFA (0 – 2,1 g/Tag) bei 26,0 und bei hoher Zufuhr (> 2,1 g/Tag) bei 26,1 – wobei der Unterschied von 0,1 Punkten bei einem p-Wert von 0,59 deutlich die statistische Signifikanz verfehlt!
Desweiteren wird in der Arbeit Marjo Eskelinen (2014) nicht zwischen pflanzlichen und tierischen PUFA unterschieden. Der Fischkonsum wirkte sich, wie von Ihnen erwähnt, positiv aus. Zum Zeitpunkt der Ernährungserhebung wurden Margarinen in Skandinavien zu einem hohen Anteil aus marinen Ölen hergestellt! Das bedeutet, dass alle günstigen Effekte auch auf die eingesetzten tierischen Fette (Fischöle) zurück zu führen sein könnten.

4. Zum Einfluss auf das Demenzrisiko schreiben Sie „eine hohe Aufnahme gesättigter Fettsäuren erhöhte besonders das Demenzrisiko von Personen, die das Apolipoprotein E Allel 4 in sich tragen.

Das ist falsch! Wie der Ergebnisbeschreibung auf S. 68 zu entnehmen ist, war das erhöhte Demenzrisiko ausschließlich bei der Minderheit der Träger der Apolipoprotein E Allele 4 zu erkennen! Bei Mehrheit der Teilnehmer (ohne Apolipoprotein E Allele 4) war hingegen kein signifikantes Risiko bei hoher Zufuhr gesättigter Fettsäuren zu sehen!
Weiterhin ist die Darstellung falsch, dass ein erhöhtes Risiko bei „hoher Aufnahme“ von gesättigten Fettsäuren gefunden wurde. Der Ergebnisdarstellung auf den S. 71/72 ist zu entnehmen, dass weder für gesättigte noch für mehrfach ungesättigte Fettsäuren eine Dosis-Wirkungsbeziehung zu Alzheimer und Demenz besteht. Das signifikant erhöhte Risiko durch gesättigte Fettsäuren erkannte man ausdrücklich nur bei „moderatem Konsum“ in der 2. Quartile. Bei höheren Mengen von gesättigten Fettsäuren (3. Quartil) war das Risiko für Demenz deutlich niedriger als bei moderaten im 2. Quartil. In Bezug auf Alzheimer war das Risiko im 3. Quartil und auch noch bei sehr hohem Konsum im 4. Quartil niedriger als im 2. Quartil!
Ihre Ergebnisbeschreibung ist also faktisch falsch! Zudem sollte die völlig fehlende Dosis-Wirkungsbeziehung normalerweise jedem Versuch entgegenstehen, in die gefundenen Korrelationen eine Kausalkette interpretieren zu wollen.

Fazit: Eine methodisch fragwürdige Studie mit schwachen Ergebnissen bei zwei Untergruppen wird im UGB-Newsletter als nennenswerte Neuigkeit verbreitet. Die gefundenen Korrelationen erfüllen nicht die Bradford Hill Kriterien, so dass sich eine kausale Interpretation verbietet. Dass darüber hinaus die Ergebnisse der Studie im UGB-Newsletter auch noch erheblich verfälscht wiedergegeben werden, macht die Angelegenheit mehr als nur bemerkenswert.

München, den 8.5.2015

1 Eskelinen M (2014). The Effects of Midlife Diet on Late-Life Cognition. An Epidemiological Approach. Publications of the University of Eastern Finland. Dissertations in Health Sciences 220

* Mini-Mental-Status-Test von Folstein et al. 1975 ist ein für den klinischen Alltag geeignetes Screening-Verfahren zur Feststellung kognitiver Defizite, der für seine hohe Störanfälligkeit bekannt ist. Die Ergebnis-Skala des Tests reicht von 0 – 30 Punkten, wobei 30 für uneingeschränkte, 0 für schwerstmöglich geschädigte kognitive Funktionen steht. Ab Werten unterhalb von 25 Punkten liegt eine krankheitswertige Beeinträchtigung vor. Eine Punktzahl von unter 20 weist auf eine leichte bis mittlere Demenz hin, eine schwere Form liegt bei einer Punktzahl von unter 10 vor.