Kinderernährung: Vegetarisch und vegan – kann das gesund sein?

In Deutschland ernähren sich schätzungsweise acht Prozent der Erwachsenen vegetarisch oder vegan – bei Kindern und Jugendlichen liegt die Zahl bereits darüber. Doch ist eine Ernährungsweise, die teilweise oder sogar vollständig auf tierische Produkte verzichtet, für Heranwachsende geeignet? Die VeChi-Youth-Studie geht dieser Frage auf den Grund.


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Mit der Ernährungsstudie EsKiMo II erfasste das Robert Koch-Institut im Zeitraum von 2014 bis 2017 die Essgewohnheiten von Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Demnach ernähren sich 0,1 Prozent der Heranwachsenden vegan und 3,4 Prozent vegetarisch. Bei den 12- bis 18-Jährigen liegt die Zahl der Vegetarier bereits bei 5 Prozent und hat sich im Vergleich zur ersten Studie 2006 deutlich erhöht. Bisher liegen allerdings nur wenige verlässliche Arbeiten über die gesundheitlichen Vor- und Nachteile einer vegetarischen beziehungsweise veganen Ernährung bei Kindern und Jugendlichen vor. Die Vegetarian and Vegan Children and Youth Study (VeChi-Youth-Studie) nimmt daher die Nährstoffversorgung erstmals genauer unter die Lupe.

Im Zeitraum zwischen Oktober 2017 und Januar 2019 nahmen insgesamt 401 Kinder und Jugendliche im Alter von sechs bis achtzehn Jahren an der Studie teil – 172 Jungen und 229 Mädchen. Das Team von Wissenschaftlern untersuchte unter anderem, ob es Unterschiede in Größe, Gewicht und Body Mass Index (BMI) zwischen Veganern, Vegetariern und Mischköstlern gab. Außerdem verglichen sie die Energie- und Nährstoffzufuhr sowie den Versorgungsstatus einiger Nährstoffe mit Hilfe von Blut- und Urinproben.

Erhöhter Nährstoffbedarf im Wachstum

Da Kinder und Jugendliche sich noch im Wachstum befinden, haben sie im Verhältnis zum Körpergewicht einen höheren Bedarf an Energie und Nährstoffen als Erwachsene. Die Frage, ob sich eine vegetarische oder vegane Ernährungsform auch für Heranwachsende eignet, ist daher berechtigt. Denn eine eingeschränkte Lebensmittelauswahl birgt das Risiko einer unzureichenden Nährstoffzufuhr. Die VeChi-Youth-Studie gibt bezüglich der altersgemäßen Entwicklung Entwarnung: Die Ergebnisse zeigen, dass sich unabhängig von der Ernährungsweise wichtige Körpermaße wie Größe, Gewicht und BMI der Heranwachsenden nicht unterscheiden.

Dank Wiegeprotokollen, Ernährungsinterviews und Fragebögen zum Ernährungsverhalten stellten die Wissenschaftler fest, dass bei vegan und vegetarisch lebenden Kindern und Jugendlichen im Mittel mehr Getreide, Gemüse und Obst auf den Tellern landen. Bei den Hülsenfrüchten fanden sie besonders große Unterschiede: Die veganen Teilnehmer aßen mit durchschnittlich 28 Gramm am Tag die drei- bis siebenfache Menge im Vergleich zu Mischköstlern. Auch der Nussverzehr unterschied sich deutlich: Die Veganer knabberten etwa 20 Gramm Nüsse pro Tag, die Mischköstler nur drei Gramm.

Entwarnung bei der Proteinversorgung

Die Versorgung mit Protein wird bei Vegetariern und Veganern oft als kritisch eingestuft. Die VeChi-Youth-Studie zeigt nun: Im Mittel erreichten die Teilnehmer aller Altersklassen die Referenzwerte der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE). Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass eine ausreichende Proteinversorgung auch bei fleischfreier Ernährung möglich ist. Zwar weist das Protein aus einzelnen pflanzlichen Lebensmitteln – ausgenommen Sojaprotein – eine geringere Qualität auf als aus tierischen Quellen. Bei einer Kombination aus verschiedenen pflanzlichen Lebensmitteln stellt das allerdings kein Problem dar. Um eine ausreichende Versorgung sicherzustellen, empfiehlt die amerikanische Academy of Nutrition and Dietetics die Proteinzufuhr für vegane Kinder im Alter von zwei bis sechs Jahren um 20 bis 30 Prozent zu erhöhen und für über Sechsjährige um bis zu 20 Prozent. Für Säuglinge und Kinder bis zu zwei Jahren schlagen die Wissenschaftler ein Mehr von 30 bis 35 Prozent vor.

Aufgrund des höheren Verzehrs von (Vollkorn-)Getreide, Hülsenfrüchten, Gemüse, Obst und Nüssen fiel die Qualität der verzehrten Kohlenhydrate und Fette bei pflanzenbetonter Kostform besser aus. Veganer nahmen im Mittel mit bis zu 6,5 Energieprozent am wenigsten zugesetzten Zucker auf und mit bis zu 25 Gramm pro tausend Kilokalorien fast doppelt so viele Ballaststoffe wie die Fleischesser. Bei diesen kamen dagegen häufiger Fertiggerichte auf den Tisch und sie konsumierten durchschnittlich mehr Süßigkeiten und Knabbereien als die veganen Teilnehmer.

Kritische Nährstoffe

Mit den meisten Vitaminen und Mineralstoffen waren die Kinder und Jugendlichen unabhängig von ihrer Ernährungsform gut versorgt. Bei den vegan lebenden Teilnehmern stachen die Vitamine C, E sowie B1 und Folat mit einer besonders hohen Zufuhr heraus. Das gilt auch für die Mineralstoffe Magnesium und Eisen. Um den tatsächlichen Versorgungsstatus abzubilden, erfassten die Wissenschaftler einige Nährstoffe anhand von Blutparametern – darunter Eisen, Vitamin D, B12, Riboflavin (Vitamin B2) und Folat sowie die Blutlipide. Jod wurde mittels Spontanurin bestimmt. Anhand dieser Analysen zeigten sich keine spezifischen Risikonährstoffe für Vegetarier oder Veganer.

Unabhängig von der Ernährungsweise stellte sich die Versorgung mit Riboflavin, Vitamin D und Jod bei einem nennenswerten Teil als kritisch heraus. Riboflavin wird hauptsächlich über Milch und Milchprodukte aufgenommen. Geringere Werte waren daher für Veganer zu erwarten. Fast 55 Prozent wiesen einen niedrigen Status auf. Allerdings lagen auch 51 Prozent der Vegetarier und knapp 39 Prozent der Mischköstler unter den empfohlenen Werten. Die Forscher vermuten, dass dahinter der abnehmende Konsum von Milch und Milchprodukten stecken könnte.

Zu wenig Vitamin D und Calcium

Auch den empfohlenen Versorgungsstatus für Vitamin D unterschritten 30 Prozent der Kinder aller drei Ernährungsformen. Das Vitamin spielt eine wichtige Rolle für die Knochengesundheit und ist maßgeblich an der Aufrechterhaltung des Calciumhaushalts beteiligt. Im Normalfall reicht für eine ausreichende Vitamin-D-Versorgung die Eigensynthese in der Haut. Besonders in den Wintermonaten kann es jedoch aufgrund der geringeren Sonneneinstrahlung zu einem Mangel kommen. Laut den Autoren könnten besonders Veganer von einer Vitamin-D- Supplementierung profitieren, da sich das Vitamin positiv auf die Calciumaufnahme auswirkt.

Der Knochenbaustein zeigte sich als weiterer kritischer Nährstoff. Die Referenzwerte für Calcium erreichten nur knapp 46 Prozent der Veganer, 56 Prozent der Vegetarier und rund 67 Prozent der Mischköstler. Bei den vegan essenden Teilnehmern waren die Werte mit rund 529 Milligramm pro Tag am geringsten. Angereicherte Milchersatzprodukte und calciumreiches Mineralwasser sollten bei ihnen daher täglich auf den Tisch kommen.

Jod nicht nur bei Pflanzenkost problematisch

Hinsichtlich der Zufuhr von Jod fiel die Versorgung ebenfalls bei allen Ernährungsformen kritisch aus; auch hier wiesen die Veganer die niedrigsten Werte auf. Bei einer Mischkost liefern Milch und Milchprodukte etwa 38 Prozent des zugeführten Jods. Daneben stellt jodiertes Speisesalz eine der wichtigsten Quellen dar.

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Der bekannteste kritische Nährstoff für Veganer ist Cobalamin (B12). Das Vitamin, das unter anderem an der Aufrechterhaltung der Nervenfunktion, Blutbildung, Zellteilung und dem Energiestoffwechsel beteiligt ist, muss bei einer rein pflanzlichen Ernährung durch Vitaminpräparate ergänzt werden. Von den veganen Teilnehmern nahmen insgesamt rund 88 Prozent B12-Präparate zu sich. Damit ist die Versorgung bei der Mehrheit der Teilnehmer zwar sichergestellt, jedoch sind immerhin 12 Prozent von einer Unterversorgung bedroht. An dieser Stelle sind besonders die Eltern gefragt, sich um eine gesicherte Versorgung zu kümmern und Heranwachsende ausreichend über die Notwendigkeit der B12-Aufnahme zu informieren. Die Blutuntersuchungen zeigen im Mittel zwar bei allen drei Ernährungsformen eine ausreichende Versorgung. Dennoch sollte die Gefahr einer Unterversorgung stets berücksichtigt und konsequent B12-Supplemente verwendet werden.

Es geht auch rein pflanzlich

Die VeChi-Youth-Studie deutet darauf hin, dass bei einer bewussten und abwechslungsreichen veganen Ernährungsweise keine Mangelzustände zu befürchten sind. Voraussetzung ist dabei allerdings, kritische Nährstoffe wie Vitamin B12 über Supplemente in ausreichender Menge zuzuführen. Auch die Versorgung mit Vitamin B2, Calcium und Jod ist im Auge zu behalten. Das gilt aber auch für nicht vegan lebende Kinder. Zu bedenken bleibt, dass die Studie zwar nachvollziehbare Hinweise zur Nährstoffversorgung liefert, aber nicht repräsentativ ist. Fast alle Teilnehmer stammen aus der mittleren bis oberen Sozialschicht. Außerdem handelt es sich um eine Querschnittsstudie, die lediglich eine Momentaufnahme der Studienpopulation zu einem bestimmten Zeitpunkt abbildet. Für die Zukunft ist bereits eine Langzeitstudie geplant, die die langfristigen Effekte einer pflanzenbasierten Kostform untersuchen soll.

Besonders vor dem Hintergrund der aktuellen Klimadiskussionen stellt eine überwiegend pflanzliche Ernährungsweise eine nachhaltige Alternative zur derzeit üblichen Mischkost dar. Unter Beachtung der wichtigsten Nährstoffe und mit einem vollwertigen Speiseplan ist eine pflanzenbasierte Kost auch für die Jüngsten umsetzbar. Dazu braucht es jedoch eine nachhaltige Ernährungsbildung durch ausgebildete Fachkräfte und das notwendige Wissen der Eltern.

Bild © C. Yeulet/123RF.com

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