Wechselwirkungen: Ernährung und Medikamente

Medikamente wirken nur unter idealen Bedingungen optimal. Nahrungsbestandteile können ihre Wirkung stark beeinträchtigen oder sogar unwirksam werden lassen. Beipackzettel klären hier oft nur unzureichend auf.

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Wechselwirkungen zwischen Medikamenten und Nährstoffen sind komplexer als die zwischen verschiedenen Medikamenten. In der Therapie mit Arzneimitteln wird es bereits unübersichtlich, sobald mehr als zwei Mittel eingesetzt werden. Jede einzelne Mahlzeit enthält schon mehrere Hundert potenziell interagierende chemische Verbindungen. Um Wechselwirkungen zu erkennen und zu vermeiden, sind die Beipackzettel nur bedingt hilfreich. Die Formulierungen sind oft unpräzise oder es fehlen gänzlich Hinweise auf den Einfluss der Ernährung. Trotz aller Komplexität kann bereits das Beachten weniger entscheidender Aspekte helfen, gesundheitliche Schäden zu vermeiden.

Vielzahl von Mechanismen nimmt Einfluss

Die Einnahme zum Essen kann für einige Arzneimittel eine verzögerte oder abgeschwächte Wirkung bedeuten, für andere das Gegenteil. Pharmakologen sprechen von negativem oder positivem Food-Effekt. So können Bestandteile der Nahrung Wirkstoffe binden und deren Aufnahme verzögern oder sogar verhindern. Auch der Füllungszustand des Magens oder das Verhältnis von Säuren und Basen beeinflussen die Wirkung der Medikamente ebenso wie die Konkurrenz mit den Nahrungsmitteln um den Abbau im Darm. Die Zusammensetzung des Essens verändert zudem Transport und Resorptionsgeschwindigkeit sowie den Gallen- und Leberstoffwechsel.

Wird der Arzneiüberzug von verzögert wirkenden Medikamenten – sogenannten Retardpräparaten – durch den Speisebrei im Magen beschädigt, können Wirkstoffe ungewollt frühzeitig freigesetzt werden. Folge ist eine überschießende Wirkung. Ein Beispiel sind die Opioide wie Morphium in der Therapie schwerster Schmerzzustände.

Individuelle Faktoren schwer einschätzbar

Viele Medikamente mindern den Appetit, häufig als Folge von verändertem Geschmackssinn, Irritation der Mundschleimhaut oder medikamentös bedingter Übelkeit. Mundtrockenheit, zum Beispiel durch Psychopharmaka, ist ein oft nicht erkannter Grund für Appetitverlust. Selbst die Behandlung eines erhöhten Augeninnendrucks mit Augentropfen kann den Geschmackssinn beinträchtigen. Dagegen wirken insbesondere ältere Antidepressiva wie Amitriptylin appetitsteigernd. Indirekte Folgen sind mitunter starke Veränderungen des Körpergewichts. Unmittelbar gewichtssteigernd wirken Anabolika, Glucocorticoide und Insulin. Oft weisen Ärzte nicht genügend auf solche weitreichenden Folgen hin.

Alter und Geschlecht des Patienten, Erkrankungen und genetische Varianten der Enzyme und Transportsysteme des Darms sind weitere und in ihrer Bedeutung unterschätzte Einflussfaktoren bei Arzneimittelwirkungen. Im Gegensatz zu diesen sogenannten intrinsischen Faktoren wird den extrinsischen wie Lebensstil oder Fehlinterpretation der Gebrauchsinformation eine vergleichsweise zu hohe Bedeutung zugeschrieben.

Grapefruitprodukte oft problematisch

Relativ bekannte Lebensmittel, die die Wirkung von Medikamenten beeinflussen, sind Grapefruit und Pomelo. Bitterstoffe der Früchte hemmen verschiedene Enzyme im Darm, die auch den Abbau bestimmter Medikamente steuern. Das kann deren Wirkung verstärken und zu einer arzneimittelbedingten Schädigung führen. Betroffen sind zum Beispiel die zur Blutdrucksenkung eingesetzten Calciumkanalblocker oder die Statine in der Therapie von Fettstoffwechselstörungen. So drohen gefährliche Blutdrucksenkungen oder schwere Muskelschäden, wenn Patienten gleichzeitig Grapefruit essen. Es gibt keine unbedenkliche Mindestmenge an Grapefruitprodukten. Auch ein zeitlicher Abstand zum Verzehr der Früchte verhindert die unerwünschte Wirkung nicht, da die Pflanzeninhaltsstoffe die Enzyme dauerhaft binden.

Grapefruit und Pomelo erhöhen auch die Plasmaspiegel verbreiteter Schlafmittel wie Benzodiazepine (Valium) oder sogenannter Z-Substanzen (Zolpidem, Zopiclon). Die sedierende Wirkung und der morgendliche Overhang, also die Müdigkeit am folgenden Tag, nehmen zu. Auch bei anderen Psychopharmaka (Quetiapin) und bei Arzneien zur Behandlung von Epilepsie (Carbamazepin) werden verstärkte Wirkungen beobachtet mit zum Teil lebensbedrohlichen Herzrhythmusstörungen, erhöhter Müdigkeit, vermehrtem Schwindel und Doppeltsehen. Eine häufige und in der Ursache verkannte Folge ist eine erhöhte Sturzgefahr.

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Clopidogrel, ein sehr häufig verordnetes Medikament zur Vermeidung von Herzinfarkt oder Schlaganfall bei Patienten mit Atherosklerose, wird ebenfalls durch die Inhaltsstoffe der Grapefruit beeinträchtigt. Sie verhindern, dass das Medikament im Darm in seine aktive Arzneiform umgewandelt wird, so dass die gewünschte präventive Wirkung ausbleibt. Die Fachinformationen der Pharmahersteller zu Clopidogrel weisen darauf jedoch nicht ausreichend hin. Darüber hinaus gibt es noch eine Vielzahl weiterer Medikamente, bei denen Patienten auf Grapefruitprodukte verzichten müssen.

Bestimmte Mineralstoffe wie Calcium, Magnesium, Zink, Eisen oder Aluminium können mit etlichen Arzneistoffen stabile Komplexe eingehen. Durch Milch, Mineralwässer und andere Lebensmittel sowie Nahrungsergänzungen, die solche Mineralstoffe enthalten, droht ein Wirkverlust für verschiedene Arzneien. Dazu zählen etwa das Schilddrüsenhormon Levothyroxin, bestimmte Antibiotika (Ciprofloxacin, Doxycyclin) oder Osteoporosemedikamente (Alendronsäure). Ein Abstand von mindestens 30 Minuten zwischen Arzneieinnahme und Mahlzeit, wie in der Gebrauchsinformation angegeben, ist deshalb unbedingt einzuhalten. Auf keinen Fall sollte der Milchkonsum bei der Einnahme von Eisenpräparaten eingeschränkt werden, wie bisherige Empfehlungen nahelegen.

Vorsicht bei Kaffee, Tee und Sojaprodukten

Isoflavone aus der Sojabohne vermindern die Aufnahme von Schilddrüsenhormonen (Levothyroxin). Patienten droht somit eine Unterfunktion mit körperlichem und geistigem Leistungsabfall, Verstopfung und Organschäden. Gefährdet sind nach bisherigen Erkenntnissen Säuglinge, die kommerziell erhältliche Nahrungen mit hohem Sojaanteil erhalten. Die Isoflavone können außerdem die Behandlung bei Brustkrebs gefährden, da sie aufgrund ihrer Ähnlichkeit mit den Östrogenen entsprechende Tumoren in ihrem Wachstum fördern können. Brustkrebspatientinnen sollten keine sojahaltigen Nahrungsergänzungsmittel einnehmen, die zum Beispiel bei Beschwerden in den Wechseljahren oder Sportlern als pflanzliches Proteinpräparat angeboten werden. Den Verzehr üblicher Mengen sojahaltiger Lebensmittel bis zu zwei Portionen täglich stufen Experten als unbedenklich ein.

Kaffee und Tee enthalten reaktionsfreudige Gerbstoffe. Diese können selbst mit chemischen Verbindungen stabile Komplexe bilden und so die Aufnahme von bestimmten Wirkstoffen beeinträchtigen. Dazu zählen Rheumamittel (Methotrexat), Osteoporosemedikamente (Bisphosphonate) und Schilddrüsenhormone. Die immer häufiger bei psychiatrischen Erkrankungen eingesetzten Neuroleptika und Antidepressiva können sogar wirkungslos werden. Oft fehlen in den Beipackzetteln entsprechende Hinweise. Patienten sollten vor und nach der Medikamenteneinnahme einen Abstand von mindestens 60 Minuten zum Genuss von Kaffee und Tee einhalten. Dies gilt auch für die Einnahme von Calcium in der Therapie der Osteoporose oder Eisenpräparaten bei Blutarmut.

Alkohol bei vielen Medikamenten tabu

Damit der Wirkstoff über einen längeren Zeitraum wirken kann, erhalten manche Medikamente eine Schutzhülle. Alkohol kann die Hülle solcher Retardtabletten auflösen und damit eine viel zu rasche Freisetzung bewirken. Seine ohnehin leberschädigende Wirkung wird durch verschiedene Arzneimittel verstärkt, beispielsweise durch das weit verbreitete Schmerzmittel Paracetamol. Ähnlich verhält es sich bei bestimmten Rheumamitteln (Methotrexat), bei Statinen in der Behandlung von Fettstoffwechselstörungen und Arzneimitteln für Typ-2-Diabetiker (Metformin). Bei letzteren erhöht sich durch alkoholische Getränke das Risiko schwerster und sogar lebensbedrohlicher Stoffwechselentgleisungen (Laktatazidose) des Diabetespatienten.

Ferner verstärkt Alkohol die beruhigende, aber auch müde und unkonzentriert machende Wirkung aller Medikamente, die auf das psychische Befinden wirken. Dazu gehören Schlafmittel, Arzneien zur Angstlinderung oder zur Behandlung psychiatrischer Erkrankungen wie Schizophrenie. Deutlich häufiger sind es aber Medikamente gegen Heuschnupfen (Cetirizin, Loratadin) oder gegen Übelkeit und Erbrechen (Vomex), bei denen diese Wechselwirkungen zu beobachten sind.

Besonders problematisch ist die gegenseitige Verstärkung schädlicher Wirkungen mit Schmerzmitteln, den sogenannten nicht-steroidalen Antirheumatika (NSAR). Die bekanntesten sind Ibuprofen, Diclofenac und Acetylsalicylsäure (ASS). Zusammen mit Alkohol erhöhen sie die Blutungsgefahr in Magen und Darm. Die verminderte Bildung von Gerinnungsfaktoren in der Leber durch Alkohol verstärkt diesen Effekt. So besteht eine erhöhte Gefahr für Magen- und Darmgeschwüre. Ibuprofen & Co. sind diejenige Wirkstoffgruppe, die am häufigsten arzneimittelbedingte Notaufnahmen in der Klinik verursachen.

Die gesundheitsfördernden Eigenschaften der Ballaststoffe beruhen vor allem auf ihrer Fähigkeit, Wasser und unerwünschte Stoffe im Darm zu binden. Auf diese Weise können sie theoretisch auch Arzneistoffe binden und in ihrer Wirkung beeinträchtigen. Dennoch lassen weder die praktische Erfahrung noch die derzeitige Forschung den Schluss zu, aus diesem Grunde Ballaststoffe aus der Ernährung zu verbannen. Vielmehr überwiegen die gesundheitlichen Vorteile einer ballaststoffreichen Ernährung. Eine allgemeine Empfehlung zu einem generellen Abstand der Arzneieinnahme bei ballaststoffreicher Ernährung kann nicht gegeben werden, da einige Medikamente zu den Mahlzeiten einzunehmen sind. Da hilft letztlich nur der Hinweis auf den Beipackzettel.

Oft fehlen wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse

Unzureichend sind auch die Erkenntnisse zu Goji-Produkten. Als Superfood mit Heilsversprechen beworben und längst medial omnipräsent, ist das Wissen über Interaktionen mit Arzneimitteln eher dürftig. Bekannt ist bislang die Wechselwirkung mit gerinnungshemmenden Medikamenten wie Marcumar: Die Wirkung wird verstärkt und erhöht so die Blutungsgefahr. Nach wie vor wird mit Marcumar behandelten Patienten unverdrossen erklärt, sie sollten grünes, Vitamin-K-haltiges Gemüse und Salate möglichst meiden, um die Wirksamkeit der lebenswichtigen Gerinnungshemmung nicht zu gefährden. Dabei müssten Patienten mindestens ein Kilogramm (!) Spinat verzehren, um die gerinnungshemmende Wirkung effektiv einzuschränken. So halten sich einerseits hartnäckig längst überholte Ernährungsempfehlungen, andererseits fehlt es oft an aussagefähigen Studien.

Kompetente Beratung erforderlich

Die Liste möglicher Interaktionen zwischen Medikamenten und der Ernährung ist lang. Einige der wichtigsten wurden hier vorgestellt. Die Vielzahl intrinsischer Faktoren des Menschen beeinflussen die hochkomplexen biologischen Schritte von Aufnahme, Verstoffwechselung und Ausscheidung von Medikamenten. Hier besteht großer Forschungsbedarf, der in den Studien der Pharmaindustrie bislang keine ausreichende Berücksichtigung findet. Entsprechend dürftig und mangelhaft sind die Gebrauchsinformationen vieler Arzneimittel. Umso mehr kommt es auf eine verantwortliche Ernährungsberatung durch den behandelnden Arzt und spezialisierte Ernährungsberater an, die den einzelnen Patienten möglichst genau in den Blick nimmt.

Quelle: Schwarz G. UGBforum 5/17, S. 242-245