Wenn Öko zur Routine wird

Zum Klimaschutz wird von uns verlangt, weniger zu fliegen. Doch realistischer ist es, die Fliegerei insgesamt zu limitieren. Das Konzept der Ökoroutine macht Schluss mit umweltmoralischen Appellen und plädiert dafür, die Verhältnisse zu ändern. Dann wandelt sich auch das Verhalten und ökologisches Handeln wird zum Standard.

Der Ausbau von Sonnen- und Windstrom geht (bisher) gut voran. Auch die Strategien zur Verbesserung der Effizienz sind etabliert, wenngleich unterschiedlich erfolgreich. Worauf es in Zukunft jedoch mehr denn je ankommt ist, die Expansionsziele der wirtschaftlichen Tätigkeit in den Griff zu bekommen. Denn es wird alles größer, komfortabler, schneller und luxuriöser. Die Wohnungen werden immer geräumiger und die Autos wiegen heute doppelt so viel wie vor 30 Jahren. Die Gerätschaften in den Haushalten und deren Wechselraten wachsen ebenso wie der Flugverkehr. Das Marketing der Industrie stimuliert den Überflusskonsum. Jährlich geben die Unternehmen über 30 Milliarden Euro für Werbung aus. Durch den achtsamen Umgang mit Energie ließe sich der Stromverbrauch eines Zwei-Personen-Haushalts theoretisch um bis zu 80 Prozent senken. Allerdings gibt es auch beim Energiesparen zahlreiche systemische und psychologische Hemmnisse. Das beginnt schon bei der Wäsche. Ist ein Trockner vonnöten? Ist die Leine zumindest im Sommer eine Alternative? Doch viele scheuen den zeitlichen Aufwand. Und manchmal fehlen schlichtweg die Möglichkeiten, weil kein Trockenraum vorhanden ist.

Leben mit Widersprüchen

Es gibt viele persönliche Gründe, für das Scheitern von Suffizienz, das heißt für das Bemühen, durch Genügsamkeit weniger Ressourcen und Energie zu verbrauchen. Oft ist es Bequemlichkeit, manchmal Neid und nicht selten verdrängen Menschen die Fakten. Dabei haben sie viele gute Vorsätze für den Klimaschutz. Über 80 Prozent wünschen sich weniger Autoverkehr in den Städten. Neun von zehn begrüßen eine ambitionierte Klimaschutzpolitik. Bei sich selbst anfangen, das möchten allerdings nur wenige. Was bringt es schon, das Auto stehen zu lassen, wenn niemand mitmacht? Seit über drei Jahrzehnten gibt es nun Kampagnen und Bildungsinitiativen für den Umweltschutz. Viele Menschen fliegen inzwischen mit schlechtem Gewissen in den Urlaub. Doch geflogen wird mehr als je zuvor. Fliegen ist Routine.

Offenbar gelingt es vielen Menschen, mit krassen Widersprüchen zu leben. Den Hund verhätscheln und zugleich Billigwürstchen aus martialischer Tierhaltung auf den 800-Euro-Grill legen. Diese Form der gelebten Schizophrenie beherrschen auch viele Politiker. Sie fordern vehement Klimaschutz und lassen Jahr für Jahr neue Straßen und Fluglandebahnen bauen. Sie verabschieden Lärmschutzpläne, um gleich darauf Tempo 30 oder ein Tempolimit auf Autobahnen abzulehnen.

Und wie lässt sich diese verfahrene Situation überwinden? Wie kann geschehen, was alle wollen? Das Konzept der Ökoroutine macht hier einen ganz einfachen Vorschlag: Die Verhältnisse ändern statt das Verhalten. Das erlöst die Konsumenten von den permanenten Moralappellen. Denn die machen nur schlechte Stimmung und bewirken kaum etwas. Stattdessen müssen Standards gehoben und Limits definiert werden. Daher ist politischer Protest die treibende Kraft und nicht privater Konsumverzicht.

EU-Normen sorgen für Entlastung

Elektrogeräte, Häuser und Autos wurden effizienter, weil die Europäische Union (EU) die gesetzlichen Standards schrittweise erhöht hat. Beispielsweise hatten Geräte im Wohnzimmer häufig einen Stromverbrauch von 30 Watt, wenn sie scheinbar ausgeschaltet waren. Die Standby-Verordnung der EU hat den Maximalverbrauch auf 0,5 Watt begrenzt. Von den eingesparten Stromkosten profitieren 500 Millionen Konsumenten.

In der gleichen Form geht der Gesetzgeber bei dutzenden Produkten vor und nimmt die Produzenten in die Pflicht. Kühl- und Gefrierschränke – meist die größten Verbraucher im Haushalt – mit den Effizienzklassen A, B und schlechter gibt es bereits seit Juli 2012 nicht mehr im Handel. Die viel gerühmte Faktor-4-Pumpe für die Zirkulation des Heizungswassers spart im Jahr locker 600 Kilowattstunden und wurde dennoch nur von ambitionierten Handwerkern empfohlen. Nun ist die Spitzentechnologie Standard und weder Handwerker noch Bauherren müssen sich darüber Gedanken machen. Das gleiche Konzept verfolgt die EU auch bei den Energiestandards für Neubauten. Die Anforderungen für Gebäudeeffizienz haben sich schrittweise verschärft. Neubausiedlungen müssen ab 2021 nahezu den Standard für Nullenergiehäuser erfüllen. So wird höchste Energie- und Ressourceneffizienz schrittweise zum Standard für alle und Öko zur Routine.

Standards entlasten die Menschen im Alltag. Sie gehen stillschweigend davon aus, dass die Häuser stabil genug sind und das Wasser sauber ist. Ganz banal zeigt sich das schon auf dem Weg zur Arbeit: Der Wecker ist sicherheitstechnisch geprüft, die Kleidung darf bestimmte Schadstoffe nicht beinhalten, ebenso der Kaffee. Dessen Packung ist standardisiert, wie auch die Kennzeichnungen über die Zutaten und Nährstoffe auf dem Toastbrot. Das Auto wurde nach ISO-Norm hergestellt. Die Produzenten haben dabei zahlreiche staatliche Vorgaben beachtet. All das wird selten als Zwangssystem empfunden, es ist Routine.

Innovationen für clevere Mobilitätskultur

Standards werden auch den Wandel unserer Mobilitätskultur anstoßen. Und das ist auch dringend nötig. Denn einzig der Verkehrsbereich hat in den letzten zwei Jahrzehnten keinen Beitrag zum Klimaschutz erbracht. Unsere Mobilitätsgewohnheiten und der automobile Expansionsdrang sind Deutschlands größtes Hemmnis beim Klimaschutz. Hier wie auch sonst gilt das Leitbild „Verhältnisse ändern Verhalten“.

So könnten durch schrittweise höhere EU-Normen die ab dem Jahr 2033 zugelassenen Autos emissionsfrei sein. Bereits seit 2009 unterliegen Pkw und leichte Nutzfahrzeuge in der EU einer CO2-Regulierung. Das für Pkw-Neuwagen festgelegte Durchschnittsziel von 130 Gramm CO2/km für das Jahr 2015 wurde für 2020 auf 95 Gramm CO2/km verschärft. Eine weitere Anhebung dieses Standards wurde bereits beschlossen. Die nächsten Stufen könnten 60 g und 30 g/km sein, um schließlich im Jahr X das Nullemissionsauto in der EU zur Selbstverständlichkeit zu machen. Wie die Automobilindustrie dieses Ziel erreicht, darüber muss sich die Politik nicht den Kopf zerbrechen. Darum werden sich die Ingenieure kümmern. Denn statt nur mit moralischen Appellen von den Konsumenten das richtige Verhalten einzufordern, ist es viel effektiver, die Produktion zu verbessern.

Steigende Standards für umweltfreundliche Mobilität manifestieren sich auch in infrastrukturellen Innovationen. Es muss einfacher und cleverer sein, mittels Nahverkehr oder Fahrrad in die Stadt zu fahren. Wenn die Planer eine Pkw-Spur in einen Busstreifen verwandeln, wird Autofahrern die neue Option drastisch bewusst. Und sie steigen, das ist erwiesen, genau dann in den Bus um, wenn sie ihr Ziel damit schneller erreichen.

Ähnliches gilt für Radschnellwege. Dafür werden die Planer auch mal Parkstreifen in Radwege umbauen. Das heißt, der Verkehrsraum ist neu aufzuteilen. Die Transformation von der autogerechten zur menschengerechten Stadt realisiert sich nicht durch Absichtserklärungen und moralische Appelle, sondern durch gute Strukturen.

Menschen brauchen Limits

Neben steigenden Standards braucht es Limits, zum Beispiel für den Flugverkehr. Wenn wir uns selbst ernst nehmen beim Klimaschutz, gilt es, die weitere Expansion zu begrenzen. Die Deutschen fliegen schon zu viel. Es darf nicht noch mehr werden, darin sind sich alle Klimaexperten einig. Der schlichte Vorschlag: Starts und Landungen auf das gegenwärtige Niveau limitieren. Was müsste die Regierung dafür tun? Nichts! Wenn sie keine weiteren Lizenzen für Starts und Landungen vergibt, wenn München, Wien und Zürich ihre Flughäfen nicht erweitern, dann wird das Limit automatisch erreicht. Oft geht es darum, etwas besser zu lassen, als es besser zu machen.

Zudem gilt es, den Straßenausbau zu beenden. Nur so lässt sich vermeiden, dass der Lkw-Verkehr weiter drastisch zunimmt. Stattdessen investiert das Verkehrsministerium die frei werdenden Mittel in die Bahn. In der Folge werden Spediteure ihre Routinen ändern.

Politik muss Lösungen vorgeben

Politische Steuerung ist immer dann gefragt, wenn sich gesellschaftliche Probleme nicht individuell lösen lassen. Wie stark sich eine Regierung in die Geschicke des Bürgers einmischen sollte, darüber gehen die Meinungen weit auseinander. Die gesetzliche Krankenversicherung wird in Deutschland auch von Konservativen befürwortet. In den USA gilt sie vielen als staatsautoritär. Doch selbst dort gibt es tausende Standards und selbstverständlich ein Tempolimit.

Veränderungen finden statt, sie fallen aber nicht vom Himmel. Der Schlüssel ist Beharrlichkeit. Es braucht anhaltendes Engagement von Menschen aus Wissenschaft, Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft. Klimaschutz und Ressourcengerechtigkeit lassen sich nicht nebenbei mit einigen technischen Neuerungen erledigen. Vor uns steht ein tiefgreifender gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Wandel. Es geht um konkrete Maßnahmen, nicht um ferne Ziele. Das Konzept der Ökoroutine gibt die Hoffnung nicht auf, dass geschehen kann, was geschehen muss.

Bild © Antonio Guillem/123RF.com

Stichworte: Klimawandel, Nachhaltigkeit, Klimaschutzpolitik, Ökoroutine, Umweltschutz, Suffizienz, Effizienz, Standards, Limits


Klimawandel: clever handeln Dieser Beitrag ist erschienen in:
UGBforum 1/2020
Klimawandel: clever handeln


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