Fabrik statt Farm: Tierische Proteine durch Fermentation

Wie wäre wohl die Welt, wenn wir übliche tierische Lebensmittel wie Milch, Eier und Fleisch ganz ohne Tier herstellen würden? Präzisionsfermentation scheint die Lösung zu bieten. Mit der gezielten Produktion tierischer Proteine ließe sich Tierleid vermeiden und das Klima schützen.

Die Produktion tierischer Lebensmittel verschlingt enorme Mengen an Ressourcen und belastet das Klima. Sie ganz ohne Tier herzustellen, klingt zunächst mal illusorisch. Proteine mittels Fermentation herzustellen, könnte Abhilfe schaffen. Als Fermentation bezeichnet man eine chemische Umwandlung von Stoffen durch Mikroorganismen. Klassisches Beispiel ist die Herstellung von Sauerkraut. Die natürlich vorkommenden Milchsäurebakterien auf dem Kohl wandeln die im Gemüse enthaltenen Kohlenhydrate zu Milchsäure um. Dadurch erhält Sauerkraut seinen typischen Geschmack, wird haltbar und bekömmlicher. Das Gleiche passiert bei der alkoholischen Gärung, wobei nicht Milchsäurebakterien, sondern Hefepilze Zucker in Alkohol umwandeln. Die kleinen Lebewesen sind also wahre Alchemisten.

Gewünschte Proteine durch Genschere

Die Präzision kommt dann ins Spiel, wenn die kleinen Helfer genau die Substanzen herstellen, die man haben möchte – auch wenn sie diese Substanzen von Natur aus gar nicht produzieren können. Das gelingt, wenn man die jeweiligen Mikroorganismen mit Hilfe gentechnischer Verfahren umprogrammiert. Das heißt, es wird eine DNA-Sequenz in ihr Erbgut eingebaut, die das gewünschte Protein codiert, zum Beispiel Milch- oder Hühnereiproteine. Die Produktion erfolgt in sogenannten Bioreaktoren, auch Fermenter genannt. Hier werden die Mikroorganismen kultiviert und mit entsprechenden Nährstoffen versorgt, die sie anschließend in die gewünschten Proteine umwandeln. Ist die geplante Proteinmenge erreicht, wird dieses aus dem Bioreaktor isoliert, konzentriert und zu Pulver verarbeitet. Es kann dann in nachfolgenden Produktionsschritten der Lebensmittelindustrie eingesetzt werden.

Die produzierten Proteine sind auf molekularer Ebene identisch mit ihren herkömmlichen Originalen aus Milch oder Eiern und verfügen somit über dieselben Eigenschaften. Daher ist es für die Lebensmittelindustrie letztendlich egal, ob derartige Proteine direkt vom Tier stammen oder per Präzisionsfermentation erzeugt werden. So fungieren mikrobiell produzierte Hühnereiproteine als Lebensmittelzutat überall dort, wo sonst Hühnerei eingesetzt wird, zum Beispiel in Back- oder Teigwaren. Aus entsprechenden Milchproteinen lassen sich viele klassische Milchprodukte wie Käse, Joghurt oder Eiscreme herstellen. Ein Unternehmen aus den USA bringt diese bereits auf den Markt.

Fermentation mit besserer Klimabilanz

Die Erzeugung tierischer Proteine in der Fabrik statt auf der Farm geht mit großem ökologischen Einsparpotenzial einher. So könnte laut einer finnischen Studie der Flächenbedarf um bis zu 90 Prozent und die Treibhausgasemissionen um bis zu 55 Prozent reduziert werden, wenn die Produktion von Eiprotein mit Hilfe der Präzisionsfermentation statt der Henne erfolgt. Eiklarprotein setzt die Lebensmittelindustrie in vielen Bereichen ein, zum Beispiel in Gebäck. Um ein Kilogramm Eiklarpulver herzustellen, werden schätzungsweise neun Kilogramm Eier benötigt werden. Würde Milchprotein durch Präzisionsfermentation erzeugt, könnten über 90 Prozent der Treibhausgase und Wasser eingespart werden – verglichen mit der herkömmlichen Produktion von Milchprotein, die die Aufzucht von Kühen einschließt. Es muss aber betont werden, dass die Schätzungen bezüglich der ökologischen Aspekte mit sehr großen Unsicherheiten verbunden sind, da noch kein großflächiger Einsatz dieser Technologie stattfindet.

Pilzmyzel als Fleischersatz

Auch Fleischalternativen können per Fermentation erzeugt werden. Hier dienen nicht die von Mikroorganismen produzierten Proteine als Grundlage, sondern die Mikroorganismen selbst. Meist werden Mikroalgen, Hefen oder andere Pilze verwendet. Manche Unternehmen verwenden das sogenannte Myzel (Pilzwurzelwerk) von Fruchtkörper bildenden Pilzen. Ob Mikroorganismus oder Myzel, in beiden Fällen erfolgt das Vermehren der Biomasse in Bioreaktoren. Die entstandene Biomasse wird dann als Hauptzutat für die Herstellung von Fleischalternativen verwendet, wobei meist noch andere Zutaten sowie Zusatzstoffe hinzukommen. Quorn ist die älteste Fleischalternative auf Basis von Pilzprotein (Mykoprotein) und ist bereits seit 1985 auf dem Markt.

Bezüglich der Produktion von Treibhausgasen schneidet Mykoprotein ähnlich ab wie Hühnerfleisch, das als „klimafreundlichstes“ Fleisch gilt. In Bezug auf den Land- und Wasserverbrauch sind die Vorteile deutlicher. Wenn Rückstände aus der Lebensmittel- oder Agrarindustrie – z. B. aus der Kaffee-, Bier-, Soja- oder Maisproduktion – eingesetzt werden, um den Pilz zu nähren, könnten die ökologischen Auswirkungen weiter reduziert werden. In geringem Umfang wird das bereits umgesetzt. Der ökologische Fußabdruck fällt insgesamt auch geringer aus als die Produktion von Insekten als Fleischalternative. Das Pilzmyzel kann aber nicht nur in der Lebensmittelindustrie, sondern auch im Modebereich oder als Verpackung genutzt werden – als Lederalternative, Plastiksurrogat oder als Holzersatz. Auch hier reichen Industrieabfälle wie Sägemehl oder Kork aus, um den Pilz wachsen zu lassen. Einige kleinere Firmen bieten bereits entsprechende Produkte an.

Ist ein Umdenken nötig?

Das klingt alles zunächst nach einer rosigen und nachhaltigen Zukunft. Dem entgegen steht vor allem die fehlende Verbraucherakzeptanz. Viele würden eine derartige Lebensmittelproduktion wie die Präzisionsfermentation als unnatürlich bezeichnen. Auch der Einsatz von Gentechnik ist hochumstritten. Darüber hinaus geht es meist um die Produktion von hochverarbeiteten Lebensmitteln, deren gesundheitliche Nachteile immer mehr Studien aufzeigen. Zu bedenken ist dabei allerdings, dass die Entkoppelung des Menschen von der Natur bereits zu einem viel früheren Zeitpunkt begonnen hat. Die Art und Weise, wie wir heute Tiere halten und Lebensmittel produzieren, hat meist nichts mit Natürlichkeit zu tun. Zudem wächst der Konsum tierischer Lebensmittel in wirtschaftlich aufblühenden Entwicklungsländern wie China oder Indien derzeit enorm an. Hier könnten die neuen Technologien durchaus zu einer geringeren Klimabelastung beitragen. Aus Sicht der Vollwert-Ernährung gilt es, den Konsum tierischer Produkte zugunsten pflanzlicher Lebensmittel insgesamt zu reduzieren, egal ob diese traditionell oder durch neuartige Technologien erzeugt wurden.

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Stichworte: Tierische Proteine, Fermentation, Labor, Fleischersatz, Genschere, Klimaauswirkung, Pilze, pflanzliche Alternativen, pflanzliche Proteine


Fasten – Leichtigkeit gewinnt Dieser Beitrag ist erschienen in:
UGBforum 1/2024
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