Interview: Klimaschutz ist Gesundheitsschutz

Die Auswirkungen der Klimakrise auf die Gesundheit sind erst in letzter Zeit verstärkt in den Fokus gerückt. Die Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG e.V.) beschäftigt sich unter anderem mit den Auswirkungen unserer Ernährung auf den Planeten. Dort aktiv ist Dr. Lisa Pörtner. Wir haben die Internistin gefragt, was passieren muss, um dem Klimawandel entgegenzusteuern.

Welche Folgen hat die Klimaerwärmung auf die Gesundheit des Menschen?

Die Auswirkungen der Klimakrise auf die menschliche Gesundheit sind bereits jetzt mannigfaltig und werden mit steigenden Temperaturen immer weiter zunehmen. Am stärksten spürbar, auch hierzulande, sind bereits heute die häufiger auftretenden und intensiveren Hitzewellen. Diese verursachen mittlerweile regelmäßig eine erhöhte Anzahl an Todesfällen von zum Teil über zehntausend Menschen pro Sommer – auch in Deutschland. Sie werden in der Zukunft immer mehr Teile des Planeten unbewohnbar machen. Auch Naturkatastrophen werden weltweit häufiger und extremer und verursachen daher mehr Todesfälle und andere gesundheitliche Folgen – das hat sich im Jahr 2022 beispielsweise bei Überschwemmungen in Südafrika oder in Pakistan gezeigt, oder 2021 im deutschen Ahrtal.

Was wir außerdem beobachten, ist eine Zunahme der Allergien in Häufigkeit und Schwere sowie eine Verlängerung der Allergiesaison. Krankheitserreger breiten sich zudem mit steigender Erwärmung immer weiter in den Norden aus – das wird bereits in vielen Regionen für Tropenkrankheiten wie Dengue oder Malaria beobachtet, hierzulande für die FSME oder Borreliose, da die Überträgerorganismen – wie Zecken oder Mücken – ihre Brutgebiete ausweiten. Und auch das Pandemierisiko steigt durch die Klimaerhitzung, das zeigen neue Studien ganz deutlich.

Dr. Lisa Pörtner referiert zum Thema „Klima- und Gesundheitsschutz beim Essen“ auf der UGB-Tagung vom 12.-13. Mai 2023 in Gießen.

Für die Wasser- und Nahrungsversorgung bedeutet die Klimakrise in vielen Regionen der Welt bereits heute eine zunehmende Bedrohung. Die Vorhersagen diesbezüglich sind extrem bedenklich – mit jedem Zehntel Grad weiterer Erwärmung steigt das Risiko für Ernteausfälle und Hungersnöte weiter an. Wichtig ist hierbei: Die gesundheitlichen Folgen der Klimakrise treffen jeden von uns, niemand ist davon ausgenommen. Menschen im globalen Süden sind jedoch bereits heute häufiger und intensiver betroffen. Dies ist eine Entwicklung, die sich weiter verschärfen wird, die die globale Ungleichheit verfestigt und in zunehmendem Maße Ursache für Konflikte und Migrationsbewegungen sein wird.

Wirkt sich die Klimakrise auch auf die psychische Gesundheit aus?

Die Klimakrise bedeutet nicht nur eine Bedrohung für die körperliche, sondern auch für die psychische Gesundheit – Beispiel hierfür ist eine Traumatisierung durch Extremwettereignisse und/oder den Verlust der Heimat. Aber auch die Klima- und Zukunftsangst spielt eine immer größere Rolle und ist eine völlig berechtigte Reaktion auf die aktuelle Situation und die politische und gesellschaftliche Untätigkeit. Diese Klimagefühle bemerke ich in meinem Umfeld immer häufiger und ich finde den Umgang damit auch persönlich sehr herausfordernd. Wenn man sich mit den Auswirkungen der Klimakrise auf unser Leben und mit den Zukunftsprognosen beschäftigt, dann sind Gefühle wie Angst, Wut und Verzweiflung einfach ganz normal und natürlich. Daher habe ich auch großes Verständnis für die friedlichen Protestformen, die vor allem jüngere Menschen gerade einsetzen und finde es extrem bedenklich, diese zu kriminalisieren.

Was müsste aus Ihrer Sicht passieren, damit die Klimafolgen abgemildert werden?

Wir haben den Klimaschutz so lange herausgezögert, dass wir jetzt sofortige und umfassende Veränderungen unserer Gesellschaft in Angriff nehmen müssen. Nur so lassen sich die weitere Erwärmung und ihre Auswirkungen begrenzen und das Erreichen kritischer Klimakipppunkte – ab denen sich der Temperaturanstieg unkontrolliert verselbstständigt – vermeiden. Hierzu gehört ganz zuvorderst der schnellstmögliche Ausstieg aus der Nutzung fossiler Energieträger. Außerdem brauchen wir dringend eine Verkehrswende hin zu einer nachhaltigen Mobilität und auch eine Ernährungswende – kein Bereich kann ausgespart werden, wenn wir eine katastrophale Erderhitzung vermeiden wollen. Auch unser Konsumverhalten muss sich ändern, weniger und besser ist hier das Motto. Wichtig ist hierbei: Wir können so viel gewinnen durch diese Veränderungen: Mehr Gesundheit, mehr Lebensqualität und vor allem eine sichere und lebenswerte Zukunft.

Welche Rolle spielt dabei eine pflanzenbasierte Ernährung wie die Vollwert-Ernährung?

Die Veränderung des Ernährungssystems ist tatsächlich einer der wichtigsten Hebel, um die planetare Gesundheit zu schützen. Unser Ernährungssystem ist nämlich einer der Hauptgründe für die Überschreitung der sogenannten planetaren Grenzen: Etwa ein Drittel aller menschengemachten Treibhausgasemissionen sind Ernährung und Landwirtschaft zuzuordnen. Außerdem ist unsere Ernährung der Haupttreiber der globalen Entwaldung und damit der Zerstörung natürlicher Lebensräume und des Artensterbens. Letzteres ist neben der Klimakrise eine weitere dramatische Entwicklung, die das Leben auf der Erde mittel- und langfristig bedroht.

Der weltweite Wechsel zu stärker pflanzenbasierten Ernährungsweisen, beispielsweise im Sinne der Planetary Health Diet, wäre ein ganz wichtiger Schritt, um die negativen Auswirkungen des Ernährungssystems auf unsere Umwelt zu reduzieren. Zentral ist hierbei die deutliche Reduktion des Konsums tierischer Lebensmittel, die hauptverantwortlich sind für die negativen Umweltfolgen – allein 80 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche weltweit dienen der Herstellung von Fleisch- und Milchprodukten.

Und welche Vorteile hat eine pflanzenbasierte Vollwert-Ernährung aus gesundheitlicher Sicht?

Alle Fachgesellschaften weltweit empfehlen eine stark pflanzenbasierte, vollwertige Ernährung als optimal gesundheitsfördernde Kost. Zahlreiche Studien zeigen mittlerweile die vielfältigen Vorteile einer solchen Ernährung, von besseren Stoffwechselparametern bis hin zu einem geringeren kardiovaskulären Risiko. Eine kürzlich erschienene Modellierungsstudie berechnet, dass die Lebenserwartung sich durch einen hohen Anteil pflanzlicher Lebensmittel in der Ernährung um bis zu zehn Jahre verlängern lässt (siehe UGBforum 6/22, S. 303). Umgekehrt sehen wir aktuell, dass der zu geringe Konsum vollwertiger pflanzlicher Lebensmittel und der zu hohe Konsum von rotem und verarbeitetem Fleisch für eine steigende Krankheitslast und einen großen Teil der vorzeitigen Todesfälle verantwortlich ist. In Europa ist es mehr als ein Viertel aller vorzeitigen Todesfälle, die auf eine ungesunde Ernährung zurückzuführen sind.

Warum ist es so wichtig, dass sich auch Ärzt:innen verstärkt mit diesem Thema beschäftigen?

Die Klimakrise ist ein gesundheitlicher Notfall. Die Weltgesundheitsorganisation schätzt sie als größte Bedrohung für die menschliche Gesundheit im 21. Jahrhundert ein. Damit ist es auch ureigene Aufgabe der Mediziner:innen, sich für den Klimaschutz einzusetzen. Viele Fortschritte der modernen Medizin werden durch die zunehmende Umweltzerstörung zunichtegemacht und es ist unsere Aufgabe als Ärzt:innen, unsere Patient:innen davor zu schützen. Zudem genießen Gesundheitsberufe ein hohes Vertrauen in der Bevölkerung. Wir können hier also effektive Aufklärungsarbeit leisten und haben auch auf politischer Ebene Gewicht. Und nicht zuletzt führen viele Klimaschutzmaßnahmen zu einer Verbesserung der individuellen Gesundheit, was aus medizinischer Sicht natürlich sehr begrüßenswert ist: Der Ausstieg aus fossilen Energieträgern würde zahlreiche Menschenleben retten, die heute der Luftverschmutzung zum Opfer fallen. Und aktive Fortbewegung oder eine gesündere Ernährung sind extrem wirksame Hebel, um das individuelle Krankheitsrisiko zu senken.

Auch im Gesundheitswesen müssen wir uns zudem auf die Folgen der Klimakrise einstellen, um für die oben beschriebenen Veränderungen gewappnet zu sein. Und da das Gesundheitswesen in Deutschland etwa fünf Prozent der Treibhausgasemissionen beisteuert, ist auch hier aktives Handeln erforderlich, um sobald wie möglich ein klimaneutrales und damit gesundheitsschützendes System zu erreichen.

Was kann jede:r Einzelne von uns tun?

Wir alle haben einen ökologischen Fußabdruck und können diesen verkleinern – indem wir beispielweise auf Flugreisen verzichten, den Konsum tierischer Lebensmittel reduzieren und unseren materiellen Konsum einschränken. Fast noch wichtiger ist jedoch der persönliche Handabdruck, also das, was man erreichen kann, wenn man sich aktiv einbringt. Dieses Engagement kann von Gesprächen mit Familie und Freund:innen über den Einsatz für Veränderungen im eigenen beruflichen Umfeld bis hin zur Organisation in Gruppen reichen. Wir stehen vor einer riesigen Herausforderung. Nur wenn wir alle gemeinsam beitragen, haben wir eine Chance, eine gesunde und lebenswerte Zukunft für alle sicherzustellen.

Wie sind Sie sie persönlich dazu gekommen, bei der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit – KLUG – aktiv zu werden?

Ich engagiere mich seit vielen Jahren in der Umwelt- und Klimabewegung. Über die Planetary Health Academy bin ich irgendwann auf KLUG aufmerksam geworden und fand den Ansatz, meine Arbeit als Medizinerin mit dem Einsatz für mehr Klima- und Umweltschutz unter einen Hut zu bringen, sehr schlüssig und motivierend.

Liebe Frau Dr. Pörtner, vielen Dank für das Interview.

Bild © lucid dream/stock.adobe.com

Stichworte: Klimaschutz, Klimaschutzpolitik, Gesundheitsförderung, Psychische Gesundheit, Umweltschutz, Pflanzenbasierte Ernährung


Vollwert-Ernährung –  aktuell wie nie Dieser Beitrag ist erschienen in:
UGBforum 1/2023
Vollwert-Ernährung – aktuell wie nie


Heft kaufen