Krebsrisiko: Jeder kann handeln

Die Mehrheit aller Krebserkrankungen wird durch ungesunde Lebensgewohnheiten und schädliche Umwelteinflüsse verursacht. Laut Hochrechnungen der Weltgesundheitsorganisation wird sich dieser Trend zukünftig noch weiter verschärfen. Die Hälfte dieser modernen Krebserkrankungen könnte verhindert werden. Dafür muss allerdings jeder selbst aktiv werden.

Jeder Zweite von uns wird zumindest einmal in seinem Leben eine Krebsdiagnose erhalten. Für die meisten Krebserkrankungen nimmt man heute an, dass sie aus einem Zusammenspiel von genetischer Veranlagung, erworbenen genetischen Veränderungen (zum Beispiel durch zufällige Fehler bei der DNA-Vervielfältigung und -Reparatur, Karzinogene oder oxidativen Stress) und sogenannten Krebsförderern hervorgehen. Dazu zählen Stoffe aus der Umwelt, Übergewicht, chronische Entzündungen oder Infektionen. Nach aktuellem Erkenntnisstand sind beispielsweise 14-20 Prozent aller Krebserkrankungen auf Übergewicht zurückzuführen.

Wirksame Schutzsysteme im Körper

Wenn vor Karzinogenen gewarnt wird, klingt das für viele Menschen nach echter Gefahr und solider Wissenschaft. Wenn ihnen jemand zu mehr Sport oder einer gesünderen Ernährung rät, klingt dies bestenfalls nach einem gut gemeinten Rat, im schlimmsten Fall nach einer Kränkung. Dabei verhalten sich die Dinge in der Realität vollkommen anders. Die wissenschaftlichen Daten zu der Frage, in welchem Ausmaß Nahrungsmittelbestandteile, Schwermetalle und andere chemische Substanzen aus unserer Umwelt die Krebsentstehung fördern, sind weitaus weniger klar und eindeutig als die unzähligen epidemiologischen und experimentellen Daten über die positiven Effekte von Sport und einer gesunden Ernährung.

Zwar sind einige Substanzen aus unserer Umwelt in der Lage, unsere DNA direkt zu schädigen. Dazu gehören die chemischen Verbindungen in angebrannten Speisen oder inhalierte Schadstoffe. Dennoch ist die alleinige Wirkung dieser potenziell krebserregenden Stoffe deutlich geringer als wir intuitiv vermuten. Dies liegt an den extrem zuverlässigen und mehrschichtigen Schutzmechanismen unseres Körpers. Krebs kann nur entstehen, wenn es einer Körperzelle gelingt, mehrere bedeutende genetische Veränderungen anzusammeln und (!) alle „Sicherheitsnetze“ zu durchbrechen.

Das erste Sicherheitsnetz bilden Enzyme, die auf die Reparatur von genetischen Schäden spezialisiert sind. Scheitern diese Reparaturversuche, wird die geschädigte Zelle aussortiert oder in eine Art Ruhestand geschickt, den man als Seneszenz bezeichnet. Unsere Körperzellen erreichen aber auch ohne solche genetischen Schädigungen im Laufe ihres Lebens irgendwann den Zustand der Seneszenz, wenn die Telomere an den Enden der Chromosomen aufgebraucht sind. Telomere kann man sich am besten als Schutzkappen an den Enden unserer Chromosomen vorstellen, die mit jeder Zellteilung ein kleines Stückchen kürzer werden. Sind sie aufgebraucht, nimmt das Erbgut direkten Schaden und die Zelle stirbt ab oder wird seneszent. Diese pensionierten Zellen leben zwar noch, können sich jedoch nicht mehr teilen und somit auch nicht mehr an der Erneuerung von Geweben teilnehmen.

Tempo der Zellalterung beeinflussbar

Die Seneszenz unserer Zellen ist einer der Hauptgründe, warum wir im Alter zunehmend an Regenerationspotenzial verlieren. Völlig untätig sind die pensionierten Zellen dabei jedoch nicht, denn sie produzieren und sekretieren weiterhin verschiedene Substanzen, die einer unterschwelligen Entzündungsreaktion ähneln und unter anderem für einen beschleunigten Alterungsprozess verantwortlich gemacht werden. Bei uns Menschen beobachten wir den Alterungsprozess ab Mitte 30 meistens zuerst an unseren Haaren. Wir ergrauen, weil die Stammzellen in der Haarwurzel, die für die Produktion des braunen Farbstoffs Melanin zuständig sind, ihren Dienst für immer aufgeben.

Aber wir werden mit dem Alter nicht nur grauer – uns trifft auch, statistisch gesehen, immer häufiger das Schicksal einer Krebserkrankung. Die Menge an geschädigten und seneszenten Zellen in unserem Körper steigt und damit auch das Risiko, dass bei einer dieser Zellen der Ruhestand in eine neue Selbstständigkeit ausartet. Über viele Jahre bis Jahrzehnte entwickeln sich diese Zellen in aller Stille in Richtung zunehmender Bösartigkeit. Den Platz für ihr unkontrolliertes Wachstum verschaffen sich Krebszellen, indem sie spezielle Schneide-Enzyme ausschütten, die das umliegende Gewebe auflockern. Um ihren Nahrungsbedarf zu sichern, regen sie das Wachstum neuer Blutgefäße an, die derartig missgebildet sind, dass Immunzellen oder Medikamente kaum noch in den Tumor gelangen. Irgendwann ist der Zeitpunkt gekommen, an dem sich stillschweigend eine gefährliche Invasionsfront auf ihren Weg macht.

Einige dieser invasiven Krebszellen sind so autark geworden, dass sie sich in benachbarte Organe oder im schlimmsten Fall sogar über die Blutbahn oder Lymphe ausbreiten können. Dort, wo ihre Reise sie hinführt, siedeln sie sich an und bilden neue Kolonien. Sie wachsen so lange weiter, bis die Ressourcen verbraucht sind und der Zyklus der Metastasierung von Neuem beginnt. Aus einem anfangs harmlosen primären Tumor werden bösartige sekundäre und metastasierte Tumoren. Von nun an versprechen Therapien kaum mehr Heilung, sondern in erster Linie einen Gewinn an wertvoller Lebenszeit.

Übergewicht als wichtiger Krebsförderer

Die wenigsten Menschen wissen, wie sehr wir das Tempo, mit dem diese Prozesse ablaufen, durch unseren Lebensstil beeinflussen können. Dass wir es können, haben unzählige wissenschaftliche Studien und auch Untersuchungen an besonders langlebigen Bevölkerungsgruppen gezeigt. Allein durch eine begrenzte Kalorienzufuhr kann die Lebensspanne vieler untersuchter Tierarten, darunter auch Säugetiere, zuverlässig verlängert werden. Die Tiere leben nicht nur länger, sondern bleiben auch länger von Alterserscheinungen und Krankheiten verschont. Die Forschungsergebnisse der letzten Jahrzehnte haben eindrücklich bewiesen, dass Krebserkrankungen und unser gesamter Alterungsprozess unweigerlich miteinander zusammenhängen.

Der Effekt einer kalorienreduzierten Ernährung beruht auf einer Reduktion von Stoffwechselprodukten, veränderten Signalwegen innerhalb von Körperzellen, niedrigeren Leveln von Wachstumshormonen und einem ungestörten zellulären Aufräumprozess namens Autophagie. Autophagie ist wichtig für die Gesundheit unserer Zellen und somit für die Gesundheit unseres gesamten Körpers. Eine hohe Kalorienzufuhr und starkes Übergewicht stören den Vorgang der Autophagie und erhöhen dadurch das Risiko, an Krebs zu erkranken. Übergewicht ist einer der wichtigsten und zugleich am stärksten unterschätzten Krebsförderer unserer Zeit. Insbesondere starkes Übergewicht fördert zahlreiche Krankheitsprozesse, darunter Herz-Kreislauf-Erkrankungen, neurodegenerative und entzündliche Erkrankungen sowie nahezu alle Krebsarten. Zusätzlich kurbelt es den Alterungsprozess an und kann anscheinend sogar den Stoffwechsel unserer Nachkommen verändern.

Wie anfällig wir für Stoffwechselstörungen sind, wird jedoch nicht nur durch unsere Ernährungsgewohnheiten bestimmt. Auch unser Lebensstil, unsere Darmflora und unsere Gene entscheiden mit, wie schnell wir auf ein übermäßiges Nahrungsangebot mit Stoffwechselstörungen und Übergewicht reagieren.

Krebsprävention auch bei erhöhtem Risiko nutzen

Dieses Wissen bedeutet nicht, dass wir schuld an einer Krebserkrankung sind. Es bedeutet, dass wir unser persönliches Krebsrisiko minimieren können, wenn wir unseren Lebensstil bereits in jungen Jahren anpassen. Es erteilt uns eine hohe Verantwortung, aber es macht auch Mut und Hoffnung, denn wir müssen uns nicht kampflos einem familiären Krebsrisiko ergeben. Wir werden uns niemals völlig vor Mutationen schützen können, denn sie ereignen sich auch ganz spontan während der Zellteilung und noch viel häufiger durch natürliche, aber chemisch angriffsfreudige Nebenprodukte unseres Stoffwechsels. Wir können jedoch zu jeder Zeit unseres Lebens dazu beitragen, dass geschädigte Körperzellen durch ein gesundes Immunsystem erkannt werden und gefährliche Krebsvorläufer keine zusätzlichen Wachstumsimpulse durch Krebsförderer wie einen ungesunden Lebensstil erhalten.

Selbst Menschen, die in ihrem Erbgut die Genmutation für eine bestimmte genetisch bedingte Krebsform tragen, müssen während ihrer Lebenszeit nicht zwangsweise erkranken. So lag beispielsweise das Risiko, im Laufe des Lebens an Brustkrebs zu erkranken, für Trägerinnen einer gefährlichen, für die erbliche Form von Brust- und Eierstockkrebs verantwortlichen Genmutation (BRCA1/2), vor 1940 bei lediglich 24 Prozent. Trägerinnen der gleichen Genmutation, die nach 1940 geboren wurden, haben ein Erkrankungsrisiko von 67 Prozent. Damit hat sich das Erkrankungsrisiko selbst bei dieser genetisch bedingten Krebsform trotz der heutigen Untersuchungsmöglichkeiten (inklusive der DNA-Analyse) inzwischen mehr als verdoppelt. Die Autoren dieser Studie mit mehr als 1000 von der Genmutation betroffenen Frauen führen die steigende Erkrankungsrate unter anderem auf Bewegungsmangel und Übergewicht zurück.

Selbst aktiv werden ist unabdingbar

Um Krebserkrankungen vorzubeugen und den Alterungsprozess zu verlangsamen, müssen oftmals Lebensgewohnheiten verändert werden. Und zwar dauerhaft. Mit diesem neuen Wissen haben wir erstmals die Möglichkeit, verlangsamend in den Prozess der Krebsentstehung einzugreifen. Dafür benötigen wir weder Wunderheiler noch Wundermittel, sondern lediglich etwas Disziplin und Motivation. Denn die erfolgreichsten Methoden der Krebsprävention sind völlig kostenlos, aber niemand kann sie uns abnehmen. Wir müssen selbst mehr Sport treiben, uns gesünder ernähren und rechtzeitig zur Vorsorge gehen. Wenn wir diese Aufgabe als Gesellschaft gemeinsam angehen, haben wir beste Chancen, dass der jungen Generation und unseren Kindern viele leidvolle Krebserkrankungen erspart bleiben und sie in einer modernen und gesunden Gesellschaft aufwachsen.

Bild © bodnarphoto/stock.adobe.com

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Krebs - was Ernährung kann Dieser Beitrag ist erschienen in:
UGBforum 4/2023
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