Laborfleisch: Klimafreundlich, gesund und ohne Tierleid?

Das Thema „in-vitro-Fleisch“ nimmt in der Diskussion um zukünftige Ernährungstrends eine wachsende Rolle ein. Tier­ethische Gründe und Klimaschutzaspekte scheinen auf den ersten Blick klar für das Kunstfleisch zu sprechen. Doch lassen sich die Probleme, die durch den hohen Fleischkonsum weltweit entstehen, damit wirklich lösen?

Verschiedene Forschungsgruppen und Start-Ups vor allem in den USA versprechen, dass Laborfleisch die negativen Umweltwirkungen, die mit konventioneller Fleischproduktion einhergehen, vermeiden und gleichzeitig das Tierwohl sichern könne. Befürworter sind sich zudem einig, dass die neuartigen Produkte zukünftig die weltweit wachsende Nachfrage nach Fleisch stillen kann. Vor allem in den sogenannten Schwellenländern wie China oder Indien macht sich ein Anstieg des Fleischkonsums schon jetzt bemerkbar. Die wachsende Weltbevölkerung verschärft die Situation. Bis zum Jahr 2050 ist mit einer Bevölkerungsgröße von knapp 10 Milliarden Menschen zu rechnen.

Was ist Laborfleisch eigentlich?

Die Idee, Fleisch unabhängig vom Tier zu produzieren, ist gar nicht so neu. Bereits in den 1930er Jahren sagte Winston Churchill, der damalige Premierminister von Großbritannien, dass wir der Absurdität entrinnen sollten, Tiere zu züchten, um dann nur gewisse Teile zu verzehren. Stattdessen sollten diese Tierteile in einem Medium erzeugt werden, wobei sich das Ergebnis nicht vom Fleisch lebender Tiere unterscheiden würde. Ein paar Jahre zuvor, 1927, hatte der britisch-indische Wissenschaftler John Burdon Sanderson Haldane ein Zukunftsszenario beschrieben, in dem das Steak mittels Tissue-Engineering – englisch für Gewebezüchtung – hergestellt wird. Und in der Tat wird die heutige Produktion von Laborfleisch mittels dieser Methode umgesetzt. Bisher wurde dieses Verfahren vor allem im medizinischen Bereich eingesetzt, zum Beispiel um Hautgewebe für Patient:innen mit großflächigen Verbrennungen oder um Gewebe für Toxizitätstests zu züchten. Niederländische Wissenschaftler stiegen in den 1990er Jahren in die Forschung an Laborfleisch ein.

Um in-vitro-Fleisch zu produzieren, wird einem lebenden Spendertier zunächst Muskelgewebe mittels Biopsie entnommen. Anschließend erfolgt daraus die Isolation von Stammzellen. Diese wenige Mikrometer großen Zellen werden dann auf ein kollagenbasiertes Trägergerüst aufgetragen, in einem Bioreaktor mit einem Nährmedium versorgt und gegebenenfalls stimuliert. Der Bioreaktor schafft optimale Umgebungsbedingungen für die Zellen, zum Beispiel über die passende Temperatur oder den richtigen Sauerstoffgehalt, sodass sie sich schließlich vermehren und das gewünschte Gewebe ausbilden. Das Trägergerüst bietet den Zellen eine Stützstruktur, während sie sich teilen und sich zu den gewünschten Zelltypen, meist Muskelzellen, entwickeln.

Umstrittenes Nährmedium aus Kälberserum

Für das Nährmedium wird fetales Kälberserum genutzt. Es enthält unter anderem Vitamine, Aminosäuren sowie Wachstumsfaktoren und Hormone, um das Zellwachstum überhaupt zu ermöglichen. Für die Gewinnung des Serums muss eine Punktion aus dem Herzen ungeborener, noch lebender Kälber ohne Narkose erfolgen. Der Fötus stirbt bei der Entnahme des Serums, das Muttertier wird geschlachtet. Berechnungen gehen allerdings davon aus, dass aus 500 Milligramm Biopsieprobe insgesamt 5000 Kilogramm Rindfleisch produziert werden können, was dem Fleisch von 20 Rindern entspricht. Aus ethischen Gründen greifen viele Unternehmen mittlerweile dennoch auf tierfreie Nährmedien wie etwa Pilze oder Algen zurück.

Momentan lässt sich Muskelgewebe nur in einer Stärke von wenigen Mikrometern erzeugen. Durch das Zusammenbringen vieler dieser einzelnen Gewebeschnipsel entsteht beispielsweise ein hackähnliches Fleischprodukt. Für die Produktion eines Steaks müssten komplexere dreidimensionale Trägergerüste aus geeigneten Biomaterialien eingesetzt werden, die sich aktuell noch in der Entwicklung befinden. Ebenso wird intensiv an pflanzlichen Trägergerüsten geforscht, die die tierischen ersetzen sollen.

Wie gesund ist Retortenfleisch?

Wie gesund oder ungesund Laborfleisch ist, lässt sich zum aktuellen Zeitpunkt aufgrund fehlender Daten nicht sagen. Allerdings wäre es theoretisch möglich, derartige Fleischprodukte anhand des passenden Nährmediums mit entsprechenden Nährstoffen wie Vitaminen, Mineralstoffen oder essenziellen Fettsäuren anzureichern und gleichzeitig den Gehalt an schädlichen Inhaltsstoffen wie gesättigten Fettsäuren oder Cholesterin gering zu halten. Hierzu besteht jedoch zusätzlicher Forschungsbedarf.

Ob Laborfleisch sich wirklich klimafreundlicher als konventionelles Fleisch produzieren lässt, ist ebenfalls noch Gegenstand der Forschung. Der Energieverbrauch der Bioreaktoren zum Heizen und Kühlen ist momentan noch sehr hoch. Es wird jedoch angenommen, dass sich hier in den nächsten zehn Jahren erheblich Energie einsparen lässt. Hypothetische Berechnungen zeigen allerdings, dass die Produktion von Laborfleisch mehr Treibhausgase produziert als die Herstellung von konventionellem Schweine- oder Hühnerfleisch. Verglichen mit Rindfleisch entstehen dagegen geringere Emissionen.

Weniger Tierleid, weniger Abfälle

Wobei die Laborfleischproduktion ohne Frage deutlich punktet, ist im Landverbrauch sowie aus tierethischer Sicht. Darüber hinaus könnte nach Ansicht der Unternehmen mit einer derartigen Methode bedarfsgerecht und ohne Schlachtabfälle produziert werden. Das würde zusätzlich der Lebensmittelverschwendung entgegenwirken. Bis Laborfleisch jedoch großflächig angeboten werden kann, müssen die Hersteller noch einige Hürden überwinden. Hier ist vor allem die Identifizierung von Stammzellarten notwendig, die hinsichtlich Wachstum und Zelleigenschaften optimiert sind. Erforderlich ist zudem die Entwicklung eines kostengünstigen und tierfreien Nährmediums, der Bau von energieeffizienten Bioreaktoren, die eine Massenproduktion ermöglichen, sowie die Optimierung und Entwicklung der bereits angesprochenen Trägergerüste.

Auch Milch- und Eiprotein aus dem Labor

Inzwischen sind neben Kunstfleisch auch Laborfisch, fermentiertes Milchprotein (flora-based milk protein) und Eiprotein (cultured egg whites) in den Fokus der Unternehmen gerückt. Die Produktion von Fischersatz basiert auf dem gleichen Prinzip wie das in-vitro-Fleisch. Beide kommen ohne den Einsatz von Gentechnik aus und zählen zur zellulären Produktionsmethode. Bei dem azellulären Verfahren zur Herstellung von fermentiertem Milch- und Eiprotein greifen die Produzenten dagegen auf gentechnisch veränderte Mikroorganismen (GVO) zurück. Durch entsprechend genetische Anpassungen sind diese Mikroorganismen wie Hefen oder Pilze in der Lage, Molke- und Kaseinproteine oder auch Eiproteine zu produzieren, aus denen alternative Milch-, Käse- oder Eiprodukte hergestellt werden können. Auch wenn hierfür GVO eingesetzt werden, sollen im finalen Produkt keine gentechnisch veränderten Zellen enthalten sein.

Markteinführung noch unklar

Labor-, Kunst- oder in-vitro-Fleisch umfasst auch im Englischen viele Synonyme, unter anderem clean meat, lab-grown meat, cell-based meat, cultured meat oder auch cultivated meat. Eine einheitliche Bezeichnung haben Wissenschaftler, Entwickler oder Medien noch nicht festgelegt. Dabei konnte eine Befragung von 2019 zeigen, dass die Bezeichnung clean meat, das heißt sauberes Fleisch, die größte Verbraucherakzeptanz erreicht. Ob ein solches Produkt rein rechtlich als „Fleisch“ überhaupt gekennzeichnet werden dürfte, müsste vor Markeinführung ebenfalls noch abgeklärt werden. Wann diese im europäischen Raum zu erwarten ist, ist noch unklar. Noch hat keines der zahlreichen Start-Up innerhalb der EU eine Zulassung beantragt. In Singapur fand diese bereits Ende 2020 statt. Ein amerikanischer Hersteller erhielt eine Zulassung für den Verkauf von kultivierten Chicken Nuggets in einem Restaurant. Dieser Hühnchenersatz beinhaltete jedoch als weitere Zutat auch Pflanzenproteine, um die Verkaufskosten gering zu halten.

Die Hersteller solcher Produktionsmethoden, die unter dem Begriff zelluläre Landwirtschaft zusammengefasst werden, betonen vor allem die Vorteile hinsichtlich ökologischer sowie tierethischer Aspekte. Ähnlich wie bei Fleisch aus dem Labor wird es jedoch noch einige Zeit dauern, bis solche Produkte großflächig auf dem Markt angeboten werden und preislich erschwinglich sind. In den USA bietet eine Firma bereits in über 5000 Geschäften seine Produkte auf Basis von flora-based milk protein in Form von Eiscreme an. Die Lebensmittelüberwachungs- und Arzneimittelbehörde der USA (FDA) hat die Produkte als sicher eingestuft.

Jüngere zeigen weniger Vorbehalte

Jeder Zweite in Deutschland würde Laborfleisch probieren. Das hat eine Studie des Meinungsforschungsinstituts forsa mit rund 1000 Befragten im letzten Frühjahr gezeigt. Jüngere Menschen zwischen 18 und 29 Jahren stehen diesem Thema insgesamt offener gegenüber als Ältere.

Wie sich die Zukunft des Fleischersatzes darstellen wird, bleibt abzuwarten. Die größten Fleischproduzenten in den USA investieren jedenfalls kräftig in die Entwicklung. Einfacher und aus ökologischer sowie gesundheitlicher Sicht sinnvoller ist es ohne Frage, wenn alle weniger Fleisch konsumierten. Aus Perspektive der Vollwert-Ernährung bleibt festzuhalten: Eine überwiegend pflanzliche und vollwertige Ernährungsweise stellt mit Abstand die gesündeste und umweltfreundlichste Alternative zu konventionellen tierischen Produkten ebenso wie zu Produkten aus dem Labor dar.

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