Chrononutrition: Essen nach der inneren Uhr

Wann und in welchen Zeitfenstern wir essen, hat Einfluss auf Stoffwechsel, Körpergewicht und die Entstehung von Erkrankungen. Denn beim Essen spielt nicht nur die Lebensmittel­auswahl, sondern auch der richtige Zeitpunkt eine Rolle.

Das Öffnen von Blüten, die Winterruhe eines Eichhörnchens oder das Zugverhalten von Vögeln – biologische Vorgänge verlaufen nach tages- und jahreszeitlichen Rhythmen. Dass auch Abläufe im menschlichen Stoffwechsel sich nach sogenannten circadianen (circa = etwa und dies = Tag) Mustern richten, gewinnt erst in jüngster Zeit zunehmend an Bedeutung. In der Pharmakologie weiß man bereits bei einigen Wirkstoffen um die tageszeitlich unterschiedliche Wirkung: So gilt beispielweise für Cortisonpräparate die Empfehlung, sie in den Morgenstunden einzunehmen. Dann ist der körpereigene Cortisolspiegel am höchsten, und das Medikament stört den Stoffwechsel am wenigsten...

Neues Gebiet der Ernährungsforschung

Die Chrononutrition, ein relativ neues Forschungsgebiet der Ernährungswissenschaft, erforscht heute, welchen Einfluss die Tageszeit auf die Aufnahme, die Verwertung und den Abbau der Hauptnährstoffe ausübt. Ergebnisse aus aktuellen Studien deuten darauf hin, dass auch beim Essen der Zeitpunkt von Bedeutung ist. Gerade im Hinblick auf die Entwicklung von Übergewicht und Diabetes scheinen die circadianen Abläufe eine mögliche Stellschraube zu sein. Essen entgegen dem inneren Zeitplan kann den Stoffwechsel beziehungsweise die Organe hingegen unnötig belasten.

Heute weiß man, dass eine innere Uhr auf molekularer Ebene das Ablesen von Genen entsprechend der Tageszeit koordiniert. Daher unterliegt auch die Konzentration von Hormonen, Elektrolyten oder der Blutzuckerspiegel einem circadianen Verlauf. Neuere Studien gehen der Frage nach, ob Ernährungsempfehlungen solche Schwankungen in der Aktivität von Organen und Enzymkonzentrationen nicht stärker berücksichtigen sollten. Manche sehen in der Chrononutrition einen neuen Ansatz, um den Stoffwechsel zu optimieren, Erkrankungen vorzubeugen oder sogar zu therapieren.

Uhrengene justieren Abläufe in allen Organen

Die Forschung geht inzwischen davon aus, dass es nicht nur eine innere Uhr gibt, sondern eine Sammlung von Uhrengenen. Offenbar hat jedes Organ ein inneres Steuerungssystem, das seine Aktivität lenkt. Der zentrale Schrittmacher wird als Nucleus Suprachiasmaticus (SCN) bezeichnet – oder auch als Masteruhr. Er ist mit dem autonomen Nervensystem verbunden, das die unbewusst ablaufenden Prozesse wie Herzfrequenz, Atmung, Blutdruck oder Darmbewegung steuert. Die Masteruhr liegt im vorderen Hypothalamus des Gehirns oberhalb der Kreuzung des Sehnervs und ist eng mit dem visuellen System verbunden. Für die meisten Organismen ist daher Licht der zentrale Taktgeber.

Über den Lichteinfall wird unter anderem die Bildung von Melatonin gesteuert. Das Hormon wird bei Dunkelheit ausgeschüttet und gilt als Bindeglied zwischen Licht und Organismus. Es nimmt entscheidend Einfluss auf das Schlaf-Wach-Verhalten. Dazu fährt das Hormon den Energieverbrauch herunter und senkt Blutdruck und Körpertemperatur. Die Blutkonzentration von Melatonin steigt im Laufe der Nacht allmählich an und erreicht gegen zwei bis drei Uhr seinen Höhepunkt. In den frühen Morgenstunden fällt der Spiegel wieder ab.

Innere Uhr steuert den Energiestoffwechsel

Viele haben sich heute von festen Essenszeiten verabschiedet. Statt regelmäßiger Mahlzeiten zu festgelegten Zeiten gibt es rund um die Uhr ein Überangebot an Nahrung. Gerade das späte Abendessen und Knabbern vor dem Fernseher laufen entgegen dem biologischen Rhythmus und können so die Blutzuckerregulation stören und Übergewicht fördern. Vermutlich gibt es ein Zeitfenster, in dem der Stoffwechsel Nahrung besonders effektiv verwertet und andere Zeiträume, in denen er auf Sparflamme läuft. So verwerteten Teilnehmende von Humanstudien, die aufgefordert wurden, nachts aktiv zu sein, Glucose schlechter als unter normalen Bedingungen. Menschen könnten demnach ihre Stoffwechselgesundheit verbessern, wenn sie ihre Mahlzeiten in einem täglichen Zeitfenster von acht bis zwölf Stunden zu sich nehmen.

Lerche oder Eule?

Jeder Mensch tickt etwas anders. Die Wissenschaft unterscheidet dabei drei Chronotypen: Die Frühaufsteher, die sogenannten Lerchen, sind bereits morgens aktiv und starten gerne mit einem Frühstück gestärkt in den Tag. Die Eulen, also die Langschläfer, brauchen dagegen morgens länger, um in die Gänge zu kommen, lassen das Frühstück eher ausfallen und haben ihr Aktivitätshoch in der zweiten Tageshälfte. Die meisten Menschen liegen irgendwo zwischen diesen beiden Chronotypen und zählen zu den Normaltypen.

Eine andere Studie zeigt, dass die Thermogenese morgens 2,5-fach höher ist als am Abend, unabhängig davon, ob kalorienreich oder -arm gefrühstückt wurde. Eine Untersuchung aus den USA bestätigt, dass Lebensmittel im Laufe des täglichen Zyklus unterschiedlich verstoffwechselt werden. Die Forschenden erfassten den Energieverbrauch ihrer Proband:innen über eine Ganzraum-Atemkammer. Dabei stellten sie fest, dass eine ernährungsphysiologisch gleichwertige Mahlzeit am späten Abend im Vergleich zum morgendlichen Essen zu einer signifikant geringeren Fettverbrennung führt. Die Ergebnisse zeigen: Der Zeitpunkt beeinflusst, wie unser Stoffwechsel die Nahrung verwertet.

Mit Intervallfasten gegen Diabetes?

Ob sich zeitlich begrenztes Essen wie intermittierendes Fasten präventiv und therapeutisch gegen Diabetes einsetzen lässt, dem ging aktuell eine Übersichtsarbeit von Wissenschaftler:innen der Technischen Universität München nach. Die Forschenden kommen zu dem Ergebnis, dass intermittierendes Fasten wie das Time-Restricted Eating (mindestens 12 Stunden keine Nahrungsaufnahme), das Alternate-Day Fasting oder die 5:2-Diät (einzelne Fastentage in der Woche) zu einer verbesserten Blutzuckerkontrolle und einer Gewichtsreduktion beitragen können. So zeigte sich in Untersuchungen, dass intermittierendes Fasten wie die 16:8-Methode bei Menschen mit Prädiabetes und Adipositas den Nüchterninsulinspiegel senkt, die Insulinsensitivität erhöht und die Glucosetoleranz verbessert. Verantwortlich dafür zeigten sich eine erhöhte Autophagozytose, der leichte Anstieg von Ketonkörpern, eine Verringerung des oxidativen Stresses sowie die Stimulierung der Reaktionsfähigkeit der insulinbildenden Beta-Zellen. Sogar in der Diabetestherapie halten die Forschenden intermittierendes Fasten für eine unterstützende medikamentenfreie Maßnahme, soweit die Medikation sorgfältig überwacht und bei Bedarf angepasst wird.

Erhöhtes Risiko bei Nacht- und Schichtarbeit

Wer schon einmal über Zeitzonen hinweg geflogen ist, kennt die Beschwerden, wenn der übliche Tagesablauf aus dem Takt gerät. Die inneren Stoffwechselabläufe und Umweltreize wie Tageslicht und Schlaf-Wach-Rhythmus synchronisieren sich in wenigen Tagen wieder. Wenn Menschen aber längerfristig entgegengesetzt zu ihren biologischen Rhythmen leben, kann es zu einer chronischen Desynchronisation mit schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen kommen. Betroffen sind vor allem Flugbegleiter:innen und Pilot:innen, die über Zeitzonen fliegen, oder Nacht- und Schichtarbeiter:innen in Fabriken, Pflege- oder Rettungseinrichtungen. Rund 20 Prozent aller Beschäftigten in Deutschland sind außerhalb der typischen Arbeitszeiten tätig.

Gefahren des Social Jetlag unterschätzt

Gesundheitsschädlich ist aber auch ein sogenannter Social Jetlag. Hier geraten Menschen hinein, die zum Beispiel an den Wochenenden bis in die Nacht aktiv sind und am nächsten Tag bis in die Mittagsstunden schlafen, dann aber im Berufsalltag am Montag wieder früh aufstehen müssen.

Die Forschung geht davon aus, dass solche nicht synchronisierten Lebensstile mit einem signifikant höheren Risiko für verschiedene Erkrankungen einhergehen. Das betrifft chronische Schlafstörungen, Typ-2-Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Offenbar erhöht sich sogar das Risiko, an Krebs zu erkranken. So besteht ein relativ deutlicher Zusammenhang zwischen Nachtarbeit und bösartigen Tumoren der Brust, der Prostata und des Darms. Da aber widersprüchliche Studienergebnisse vorliegen, gilt Nachtarbeit nur als wahrscheinlich krebserregend.

Morgens wie ein Kaiser, abends wie ein Bettler

Für die Gesundheit ist es offensichtlich von Vorteil, die Mahlzeiten an die tageszeitlichen Rhythmen anzupassen. Aktuelle Forschungsergebnisse untermauern heute die altbekannte Regel: „Frühstücke wie ein Kaiser, esse mittags wie ein König und abends wie ein Bettler.“ Zum anderen scheint es ein gesundheitlicher Vorteil zu sein, das Zeitfenster der Nahrungsaufnahme auf maximal zwölf Stunden zu beschränken und die letzte Mahlzeit einige Stunden vor dem Schlafengehen einzunehmen. Die Chrononutrion, das Essen nach der inneren Uhr, könnte somit ein vielversprechender Ansatz sein, um ernährungsbedingten Erkrankungen vorzubeugen.

Auch Menschen, die Gewicht verlieren möchten, kommen damit vermutlich schneller und dauerhaft zum Erfolg. Ein Lebensstil entgegen dem Takt der inneren Uhr verringert dagegen die Lebensqualität und erhöht das Krankheitsrisiko. Schicht- und nachtarbeitenden Menschen ist anzuraten, mithilfe einer Ernährungsberatung einen optimalen Speiseplan zu entwickeln, um Erkrankungen vorzubeugen.

Bild © KI-generiert/Adobe Firefly

Stichworte: Chrononutrition, Uhrengene, innere Uhr, Energiestoffwechsel, Intervallfasten, Chronobiologie


Frauengesundheit: eine Frage der Hormone? Dieser Beitrag ist erschienen in:
UGBforum 1/2025
Frauengesundheit: eine Frage der Hormone?


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