Technische Hilfsstoffe - Zutaten undercover

Ob Klärstoffe im Wein, Fleischkleber im Schinken oder Frischhaltemittel in Brot und Brötchen – in etlichen verarbeiteten Lebensmitteln stecken Stoffe, von denen Verbraucher nie erfahren, weil sie nicht gekennzeichnet werden müssen.

Technische Hilfsstoffe

Das deutsche Lebensmittelrecht füllt ein viele Hundert Seiten starkes Kompendium. Da fällt es schwer, sich vorzustellen, dass Lebensmittel hierzulande unzureichend gekennzeichnet sind. Und doch gibt es eine Grauzone. Zwar müssen laut Gesetz alle Zutaten in absteigender Reihenfolge ihres Gehalts deklariert werden. Aber trotzdem ist oft etwas drin, was nicht drauf steht. Ganz legal. Denn auch die Schlupflöcher sind hierzulande mit Paragrafen gesichert. Daran ändert auch der Beschluss der EU-Verbraucherminister vom Dezember 2010 wenig, wonach die Kennzeichnung punktuell verbessert werden soll.



Schlupfloch technischer Hilfsstoff

In den meisten Fällen trägt das Schlupfloch den Namen Verarbeitungshilfsstoff oder technischer Hilfsstoff. Das sind Stoffe, die aus technologischen Gründen bei der Verarbeitung von Lebensmitteln verwendet werden und in Rückständen zurück bleiben können, soweit sie gesundheitlich unbedenklich sind. Die Stoffe erhalten so einen Freifahrtschein und müssen nicht aufs Etikett. Einige Hundert dieser Stoffe soll es geben. Genau weiß das niemand. Denn eine Zulassung brauchen sie bisher nicht. Diese versteckten Inhaltsstoffe gibt es in nahezu allen verarbeiteten Waren. Auch dort, wo man sie wahrlich am allerwenigsten vermutet, zum Beispiel auf Walnüssen. Rainer Gürtler vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) erklärt: „Natriumhypochlorit wird zum Bleichen der Schale verwendet, auch zum Bleichen von Stärke. 500 Milligramm je Kilogramm Nuss dürfen nach dem Aufhellen enthalten sein. Das muss nicht auf dem Etikett genannt werden.“ Unbehandelt sind die Walnüsse oft von unansehnlichen schwarzen Rillen gezeichnet.

Natriumhypochlorit ist ein weißes aggressives Pulver. In Abflussreinigungsmitteln ätzt es das verstopfte Rohr frei. Doch mit Nüssen und Stärke, auch mit stärkehaltigen Fertigprodukten isst man diese Chemikalie in Spuren mit. Schädlich ist das nicht, beteuert Gürtler und beruft sich auf das Gesetz: Alles, was in deutschen Supermärkten steht, muss von Rechts wegen unbedenklich sein. Bezeichnenderweise beschäftigt sich aber eine Expertenkommission im BfR, der Gürtler vorsitzt, zurzeit damit, ob Extraktions- und Bleichmittel neu bewertet werden müssen. Die bisherigen Regelungen beruhen nämlich auf fünfzehn bis zwanzig Jahre alten Daten, erzählt Gürtler. Sofern die Grenzwerte angepasst oder Verbote ausgesprochen werden sollen, muss das aber auf EU-Ebene geschehen. Das kann noch Jahre dauern.

Unsichtbare Zutaten in Milchprodukten

Längst nicht so viel versteckte Substanzen, aber doch einige lauern in Milchprodukten im Kühlregal. In Fruchtzubereitungen von Joghurt und Quarkspeisen liegt der Obstanteil oft nur im niedrigen Prozentbereich. Dabei kann der Kunde nie sicher sein, ob ihm Aroma- oder Konservierungsstoffe untergeschoben werden. Diese müssen nicht angegeben werden, wenn sie im Dessert keine Wirkung mehr entfalten. Sprich: Wenn ein Konservierungsstoff die Fruchtmasse haltbar macht, aber nicht den Joghurt, dann taucht er nicht auf dem Etikett auf. Dieses gesetzlich erlaubte Schlupfloch gilt generell für alle zusammengesetzten Zutaten. Keksstückchen im Pudding oder im Eis, Schinken auf der Pizza – all das sind mögliche Quellen versteckter Zusatzstoffe, die nicht gekennzeichnet werden müssen, wenn sie im Endprodukt funktionslos sind. Nicht einmal bei schlichtem weißem Joghurt kann man vor Verborgenem sicher sein. „Zugesetzte Lactose macht Naturjoghurt stichfest“, erzählt Milchforscher Michael de Vrese vom Max-Rubner-Institut in Kiel. Das Pulver ist ein bewährtes Verdickungsmittel. Für Menschen mit Lactoseintoleranz ist das ein echtes Problem. Nur mildem Naturjoghurt wird keine Lactose hinzugefügt, dadurch ist er wesentlich cremiger.

Klärmittel für Wein

Die Liste an Verarbeitungshilfsstoffen für Wein ist in den letzten Dekaden immens gewachsen. Mehr als fünfzig Produkte listet beispielsweise die Firma Erbslöh in Geisenheim auf, die sich auf die chemischen und biologischen Helfer für Wein und Säfte spezialisiert hat. Vor allem die Notfallkits, die einen Fehler bei der Vergärung ausmerzen, verkaufen sich glänzend. Schon 1903 entdeckte Wilhelm Möslinger, seines Zeichens Wein-Chemiker, wie man zu viel Eisen, das aus Versehen durch Pumpen und Armaturen ins Getränk geraten ist, mit gelbem Blutlaugensalz entfernt. Die Chemikalie ist als Zusatzstoff nur für Kochsalz zugelassen. Was im Reagenzglas geht, funktioniert auch in der Gäranlage. Gekennzeichnet wird die chemische Korrektur nicht. Jüngeren Datums ist beispielsweise der Sanitäter Polyvinylpyrrolidon. Der pulverförmige Kunststoff hebt einen kratzigen und bitteren Wein auf ein trinkbares Niveau an. In der EU ist er ohne Grenzwert zugelassen, weil die Behörden ihn unbedenklich finden. Auch Schwefel, der den Rebensaft haltbar macht, muss erst ab zehn Milligramm je Liter auf dem Etikett genannt werden, obwohl einige Menschen eine Al­lergie auf Sulfite haben.

Fleischkleber für Schinken nach Maß

Ein weit verbreiteter Hilfsstoff der Lebensmittelindustrie ist der Fleischkleber Transglutaminase. Mit dem Enzym kann Schinken aus einzelnen Fleischteilen zusammengeklebt werden, ohne dass der Laie das erkennt. Transglutaminase ist ein Verarbeitungshilfsstoff und vernetzt die Eiweiße zwischen den Stücken miteinander. So kann die Wurstindustrie mühelos Scheiben mit einheitlichem Durchmesser liefern und mehr als nur zwei Hinterschinken je Schwein anbieten, verteidigt der Bund der Deutschen Fleischwarenindustrie die Flickmethode. In den Laboren experimentiert man schon, Würstchen mit Transglutaminase bissfester zu machen.
Bereits 2009 deckte das Landeslabor Berlin-Brandenburg auf, dass nicht nur Kochschinken, sondern auch roher Lachsschinken und Nussschinken geleimt werden. Es handle sich um eine Verbrauchertäuschung, monierte das Amt. Detlef Horn vom Chemischen und Veterinäruntersuchungsamt Rhein-Ruhr-Wupper ist sogar der Ansicht, dass Transglutaminase in der Zutatenliste erwähnt werden muss. Nur, wenn der Schinken gekocht wird, denaturiert das Enzym und wird damit unwirksam. In rohem Lachs- und Nussschinken verspeist der Verbraucher jedoch ein noch aktives Enzym, das weiterhin Eiweiße miteinander verkleben kann – mit unbekannten Folgen. Zwar sind bedenkliche Nebenwirkungen von Enzymen bisher nicht bekannt geworden. Aber systematische oder gar Langzeituntersuchungen fehlen. Einige Menschen könnten auf Enzyme allergisch reagieren, warnen Kritiker. Doch erst seit Neuestem müssen alle Enzyme EU-weit zugelassen werden.
„Die Verbraucher regt die Klebetechnik auf“, weiß Silvia Bilan, Pressesprecherin der Verbraucherzentrale Berlin, die sich intensiver mit Transglutaminase beschäftigt hat. 90 Prozent wollen laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa eine klare Kennzeichnung. Das Europäische Parlament verlangt ebenfalls, die geflickte Ware als Schinkenimitat zu entlarven. Die EU-Verbraucherminister folgten zumindest in diesem Punkt: Analogkäse und Klebeschinken sollen künftig als solche ausgewiesen werden. Frühestens aber ab 2014 könnte dies vorgeschrieben sein.

Beispiele für technische Hilfsstoffe

GruppeEinsatz Anwendungsbeispiele
Antiklumpmittelverhindern das Verklumpen von LebensmittelnCalciumcarbonat als Trennmittel im Salz
Extraktionslösungsmittelentfernen unerwünschte Stoffe aus Lebensmittelnlösen Coffein, Reiz- und Bitterstoffe aus Kaffee oder Tee
Kutterhilfsmittelerhöhen das Wasserbindevermögen von Fleisch oder Fisch und damit das VolumenPhosphate, Casein oder Milchsäure in Brühwürsten und Aufschnitt
Trennmittelverhindern das Zusammenkleben von LebensmittelnÜberzug von Dragees, Bonbons
Klärmittelhelfen, trübe Stoffe aus Flüssigkeiten abzuscheidenKlärung von Wein mit Hilfe von Tannin
Antischaummittelverhindern SchaumbildungGetränkeproduktion
Fraktioniermitteltrennen Fraktionen und entfernen unerwünschte StoffeAktivkohle als Entfärber bei der Kakaobutterherstellung
Oberflächenbehandlungsmittel1. schützen Oberflächen vor Verderb
2. senken die Oberflächenspannung von Flüssigkeiten
Wachse auf Zitrusfrüchten und Äpfeln
Antischaumbildnerverhindern Schaumbbildungbei Getränken oder der Zuckerherstellung
Reaktionsbeeinflusserbeschleunigen Prozesse und Reaktionenschnellere/langsamere Reifung von Käse oder Obst
Transporthilfsstoffesorgen für stabile Rohstoffe bei der Verarbeitung und LagerungSchutzatmosphäre für Fleisch, Salat
Quelle: www.lebensmittellexikon.de/t0002160.php

Jodsalz muss nicht deklariert sein

Doch es ist bei Weitem nicht der einzige Inhaltsstoff, der einem in der Wurst undercover begegnet. Jede Wurst ist reichlich gesalzen. Darin versteckt, weil undeklariert, ist Siliziumdioxid als Rieselhilfe und natürlich Jod, manchmal zudem Fluor. „Bei den Rieselhilfen gibt es sogar schon solche in Nanometergröße“, weiß Bilan.
Weil die Produkte nicht gekennzeichnet werden müssen, kann man dem Nanoessen bisher kaum entgehen. Dabei entfalten alle Substanzen in Nanometerskala, also tausendmal feiner als ein menschliches Haar, ganz neue Eigenschaften. An sich harmlose Substanzen wie Kohlenstoff reizen in Nanoform die Lunge oder lagern sich im Gehirn ab. Vor diesem Hintergrund beschlossen die EU-Verbraucherminister im Dezember 2010, dass Nanozusätze in Brühe, Salz, Wurst und Ketchup gekennzeichnet werden sollen – aber frühestens in vier Jahren.

Enzyme in Brot und Brötchen

Mit Abstand die meisten undeklarierten Stoffe kauft man mit Brötchen und Gebäck ein. Längst ist Brot nicht mehr nur Wasser, Mehl und Hefe. Die Zahl der Bäckereien hat sich in den vergangenen fünfzig Jahren von 55.000 in der Bundesrepublik Deutschland auf 15.000 im gesamten Bundesgebiet dezimiert. Es sind überwiegend Maschinen, die am Fließband unser täglich Brot backen. Alles, was den Vorgang beschleunigt und für uniforme Laiber sorgt, ist dabei willkommen.
Fünf bis zwanzig verschiedene Enzyme können in einem Brötchenteig zusammenkommen. Amylasen zerlegen die Stärke in Zucker und sorgen dafür, dass der Teig schneller geht. Sie halten die Kruste knusprig und weich zugleich. Das Brötchen schmeckt länger frisch. Xylanasen zerlegen die Gerüstsubstanzen aus dem Korn. Eigentlich sind das wertvolle Ballaststoffe. Aber in zerlegter Form verleihen sie dem Teig Elastizität. Er bleibt nicht in den Maschinen kleben. Lipasen spalten wiederum pflanzliche Fette im Getreide. Die entstehenden Stoffe wirken wie Emulgatoren. Sie stabilisieren die Luftbläschen im Brötchen. „Die Krume wird wattiger, die Poren feiner. Dadurch erscheint das Brötchen innen heller“, schildert Lutz Popper von SternEnzym in Ahrensburg den kosmetischen Effekt. Sein Unternehmen verkauft die Politur fürs Backwerk. Je Kilogramm Mehl genügen wenige Milligramm Enzym, weil diese stets hochwirksam sind.
Der Markt für Lebensmittelenzyme boomt. Schätzungen zufolge geht ihre Zahl in die Hunderte. Gekennzeichnet werden müssen sie als Verarbeitungshilfsstoff nicht, obwohl mindestens die Hälfte laut dem Verein Deutscher Ingenieure mit gentechnisch veränderten Bakterien oder Pilzen erzeugt wird.

Gutes Geschäft für Enzymproduzenten

Der Katalog der Hilfsmittel wächst. So arbeitet beispielsweise der dänische Enzymgigant Novozymes an einer neuartigen Amylase, die Brot und Gebäck länger frisch halten soll. Zwei Wochen alte Toastschnitten mit dem Enzym schmeckten wie vom ersten Tag. Brioche wirke zwanzig Tage lang wie neu. „Der Absatz dieser Novamyltechnik floriert in Europa“, so Anders Espe Kristensen, Marketingchef für das Segment Enzyme bei Novozymes. Doch auf die Frage, ob mit dem Frischhalteenzym dem Kunden bald ein alter Laib als frische Kruste verkauft wird, pocht auch er darauf, dass Hygienevorschriften und Qualitätsstandards eingehalten würden.
Aufwendige Backtechniken und Handwerk sorgten einst dafür, dass man ganz ohne Enzyme auskam. „Der Müller kann das Getreide so auswählen, dass das Mehl einen hohen Anteil an Eigenamylase mitbringt“, erklärt Lutz Popper. Als das Korn noch in Steinmühlen gemahlen wurde, erhitzte es sich. Die Inhaltsstoffe oxidierten leicht, wodurch die Teige formbarer wurden. „Heute müsste man das Mehl einige Wochen liegen lassen, um denselben Effekt zu erzielen.“ Doch Zeit ist Geld. Auch beim Backen. Enzyme sind da die preiswertere Lösung in der industriellen Fertigung.
Wer all den versteckten Stoffen entfliehen will, der ist gut beraten, auf eine handwerkliche Fertigung der Lebensmittel zu achten und nicht unnötig beim Essen zu sparen. Bilan ergänzt: „Möglichst unverarbeitete, ursprüngliche Nahrungsmittel enthalten tendenziell weniger Verarbeitungshilfsstoffe.“ Neben dem Fertiggericht zählen auch Saft, Wein und Wurst zu den stark verarbeiteten Produkten. Ökologische Lebensmittel werden grundsätzlich mit weniger Hilfsstoffen hergestellt. Es gibt allerdings Unterschiede zwischen Produzenten, die nach den Richtlinien der EG-Öko-Verordnung arbeiten und denen, die sich an die Richtlinien der deutschen Anbauverbände halten. So erlaubt die EG-Öko-Basisverordnung die Verwendung von technischen Enzymen beim Brotbacken ebenso wie den Einsatz von Fleischkleber und die Klärung von Bio-Wein und -Saft durch Verwendung von Gelatine. Die Hilfsstoffe dürfen nicht mittels Gentechnik gewonnen sein. Bei den großen deutschen Anbauverbänden wird dagegen auf den Einsatz von Enzymen beim Brotbacken verzichtet, Fleischkleber kommt ebenfalls nicht zum Einsatz. Bio-Wein und -Saft werden aber auch hier häufig mit Gelatine von Trübstoffen befreit. Ganz entkommen kann man den versteckten Zutaten deshalb kaum.

Gesetzliche Regelung

Technische Hilfsstoffe werden bei der industriellen Verarbeitung von Lebensmitteln verwendet, um technische Prozesse zu erleichtern. Sie dürfen nach dem Lebensmittelgesetzbuch (LFGB) im Endprodukt nicht oder nur in unvermeidbaren Mengen enthalten sein, soweit eventuell verbleibende Rückstände oder deren Umwandlungsprodukte gesundheitlich unbedenklich sind. Die Hilfsstoffe müssen nicht deklariert werden. Ihr Einsatz wird durch die Technische Hilfsstoff-Verordnung geregelt, kurz THV. Diese legt allerdings lediglich die Anwendungsbereiche und Höchstmengen von Extraktions- und Bleichmitteln fest.

Quelle: Donner, S.: UGB-Forum 4/11, S. 172-175
Foto: BLE, T. Stephan