Ist Mineralwasser radioaktiv?

Mineralwasser ist in die Schlagzeilen geraten. Mehr als 500 Milli-Becquerel des radioaktiven Radium-226 wurden in einigen handelsüblichen Marken nachgewiesen. Die Experten streiten, ob eine Gefahr für die Gesundheit zu befürchten ist.




Viele Verbraucher trinken statt Leitungswasser lieber prickelnden Sprudel aus der Flasche. Mineralwasser galt bisher als gesundes Getränk, da es vor Verunreinigungen geschützt in tiefen Erdschichten lagert und direkt an der Quelle abgefüllt wird. In der Tiefe löst das Wasser aber nicht nur wertvolle Mineralien und Spurenelemente, sondern auch natürliche Radioisotope aus dem Gestein. Es handelt sich dabei vor allem um Uran und seine Zerfallsprodukte Radium-226 und Radon-222.Dass es dadurch zu einer radioaktiven Anreicherung kommen kann, ist schon seit langem bekannt. Einen aufsehenerregenden Fernsehbericht machte daraus im April das ARD-Magazin Plusminus. Es hatte 17 mitteldeutsche Mineral- und Heilwässer auf ihren Gehalt an stark strahlendem Radium-226 untersuchen lassen. Über die Hälfte der untersuchten Marken war erheblich mit natürlicher Radioaktivität belastet. Besonders bei mineralstoffreichen Wässern wurden größerer Mengen Radium gefunden. Da es in Deutschland keine Grenz- oder Richtwerte für Radium in Trink- oder Mineralwasser gibt, orientierte sich das Wirtschaftsmagazin bei der Bewertung an Österreich. Dort dürfen Mineralwässer nicht mehr als 100 mBq/l des Radioisotops enthalten.

Gefahr für Kinder und Schwangere?

Das Bremer Institut für Präventionsforschung und Sozialmedizin (BIPS) hält die Ergebnisse für besorgniserregend und warnt Kinder sowie werdende Mütter vor dem Genuss besonders belasteter Wässer. Ihr Experte Wolfgang Hoffmann verglich die ermittelten Werte gar mit den Abwässern einer Brennelementefabrik. Ein solcher Betrieb müsste nach der neuen Strahlenschutzverordnung geschlossen werden, wenn seine Abwässer mehr als 200 mBq/l Radium aufweisen. Denn Radium, das früher auch für Leuchtzifferblätter von Uhren verwendet wurde, gilt als hoch toxisches Element. Der Alpha-Strahler wird vom Körper mit dem lebensnotwendigen Calcium verwechselt und ähnlich wie dieses in die Knochen eingebaut. Dort reichert es sich Jahr für Jahr an, wenn es regelmäßig über Lebensmittel aufgenommen wird. In den Knochen sind nach knapp 50 Jahren noch die Hälfte der Atome vorhanden. Bereits einige Mikrogramm reichen aus, um das Knochenmark zu schädigen und Knochenkrebs auszulösen. Kinder sind besonders gefährdet, da sie sich noch im Knochenaufbau befinden. Darüber hinaus ist bei ihnen die Zellteilungsaktivität höher als beim erwachsenen Menschen und damit die Gefährdung durch radioaktive Strahlen.

Internationale Studien deuten auch einen Zusammenhang zwischen Radium-kontaminiertem Trinkwasser und einer erhöhten Leukämierate bei Kindern an. Ende der 80er Jahre waren in der Region Ellweiler - in unmittelbarer Nähe einer Uranfabrik - vermehrt Fälle von Blutkrebs aufgetaucht. Vier der sieben Kinder stammten aus zwei kleinen Gemeinden, deren Trinkwasser mit Radium-226 belastet war. Einen ähnlichen Befund ermittelten Wissenschaftler in Florida. Auch hier war die Leukämierate bei Kindern erhöht, deren Trinkwasser hohe Radium-Werte aufwies. Als Grund für die Erkrankung der Kinder vermuten die Experten eine Radium-Anreicherung des Fetus über die Plazenta der Mutter.

Natürliche Strahlung ist überall

Der Verband Deutscher Mineralbrunnen bewertet diese Aussagen als reine Panikmache: Von den geringen Mengen an Radioaktivität in Mineralwässern gehe keine Gefahren für die menschliche Gesundheit aus. Experten, die von dem Unternehmensverband zitiert werden, verweisen vor allem auf die natürliche Strahlenbelastung in Deutschland, zu der der Konsum von Trink- oder Mineralwasser nur unbedeutend beitrage. Tatsächlich ist jeder Bundesbürger einer durchschnittlichen Strahlendosis von 2,4 Milli-Sievert (mSv) pro Jahr ausgesetzt. Ursachen sind kosmische und terrestrische Strahlung sowie vor allem das Einatmen von natürlichem Radon mit der Luft. Die Einheit Sievert ermöglicht eine Beurteilung der biologischen Strahlenwirkung auf den Organismus, während Becquerel lediglich die Belastung des jeweiligen Materials angibt.

Experten sind sich uneins

Ein Säugling, der jährlich 50 Liter des am stärksten belasteten Mineralwassers trinkt, hat eine zusätzliche Strahlenbelastung von 0,1 mSv pro Jahr. Das entspricht in etwa der Strahlenbelastung bei einem Fernflug, so Rolf Michel, Leiter des Zentrums für Strahlenschutz und Radioökologie der Universität Hannover. Er verweist auch auf die natürliche Strahlenbelastung in den skandinavischen Ländern, die etwa dreimal so hoch ist wie in Deutschland. Dennoch könnten dort keine höheren Leukämieraten als in anderen Ländern festgestellt werden. Zu Krebserkrankungen könne Radium nur bei einer weit höheren Strahlung führen, die mit natürlichen Quellen nicht erreichbar sei. Wolfgang Hoffmann vom BIPS ist da anderer Meinung. "So etwas wie eine unschädliche Strahlendosis gibt es nicht", betont der Mediziner. "Zwar hat der Mensch im Laufe der Evolution verschiedene Reparaturmechanismen entwickelt, dennoch ist natürliche Strahlung nicht ungefährlich, und jede weitere Belastung stellt ein zusätzliches Risiko dar." Viele Länder haben daher Radium-Grenzwerte festgelegt, die sich an dem WHO-Wert von rund 100 mBq/l orientieren. Das Bundesgesundheitsamt, das zahlreiche Trinkwasserproben und 140 Mineralwässer untersuchen ließ, kam dagegen 1987 zu dem Schluss, dass die natürliche Konzentration von Radium in Trink- oder Mineralwasser so niedrig ist, dass in Deutschland Grenz- oder Richtwerte nicht empfohlen werden müssen. Zumindest für die öffentliche Wasserversorgung wird es Ende des Jahres Richtwerte geben. Dann soll die europäische Trinkwasserrichtlinie in der neuen deutschen Trinkwasserverordnung umgesetzt werden. Walter Schwerdtfeger vom Bundesgesundheitsministerium kündigt an, dass dann für Deutschland eine Gesamtrichtdosis für alle Radioisotope von 0,1 mSv pro Jahr gelten wird.

Die Lösung: Radium herausfiltern

Das Problem der belasteten Mineralwässer könnte ganz einfach gelöst werden: Die Getränkeindustrie wäre nämlich in der Lage, das schädliche Radium herauszufiltern. Dann dürfte sie ein solches Wasser allerdings nicht mehr als natürliches Mineralwasser verkaufen. Das verbietet die Mineralwasserverordnung. Sie schreibt vor, dass die natürliche Zusammensetzung eines Mineralwassers nicht verändert werden darf. Erlaubt ist lediglich, nicht-stabile Stoffe wie Eisen und Schwefel zu entziehen oder die Kohlensäurekonzentration zu verändern. Hier sollte der Gesetzgeber aktiv werden und die Verordnung entsprechend ändern. Für Verbraucher gilt: Wer mineralstoffreichen Sprudel bevorzugt, sollte sich genau anschauen, welche Sorte er trinkt und im Zweifelsfall beim Hersteller nach dem Gehalt an Radium-226 fragen.

Quelle: Heblik, D.: UGB-Forum 3/00, S. 164-165


Dieser Beitrag ist dem UGB-Archiv entnommen.

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