Zugesetzte Aromen: Geschmacksverführer mit großer Wirkung
Etwa die Hälfte aller Lebensmittel in einem deutschen Supermarkt ist als hochverarbeitet einzustufen. Die Industrie setzt eine aufwendige Verarbeitung ein, um bequeme, äußerst schmackhafte und hochprofitable Produkte herzustellen. Während diese meist einen hohen Anteil an Fett, Salz und Zucker aufweisen, sind sie arm an Ballaststoffen, Proteinen und Mikronährstoffen. Weltweit machen sie einen zunehmenden Anteil der täglichen Energiezufuhr aus.

Die Zahl an Übergewichtigen steigt stetig an. Parallel nimmt der Konsum an hochverarbeiteten Lebensmitteln weltweit kontinuierlich zu, ebenso wie die Umsätze der Aromastoff-Industrie. Denn hochverarbeitete Lebensmittel kommen in der Regel nicht ohne Zusatzstoffe aus, vor allem Aromen. Die Frage drängt sich auf, ob diese Komponenten miteinander verknüpft sind. Neben Aromen gelten auch Zusatzstoffe wie Geschmacksverstärker, Süßungsmittel, Farbstoffe, Emulgatoren und Fruktose gemäß der NOVA- und SIGA-Klassifikationen (siehe Seite 218) als sogenannte Hochverarbeitungsmarker. Ein Lebensmittel wird demnach als hochverarbeitet eingestuft, wenn seine Zutatenliste mindestens einen dieser Hochverarbeitungsmarker aufweist.
Gute Marker für hochverarbeitete Produkte
Wissenschaftler:innen haben mehr als 100 verschiedene Hochverarbeitungsmarker beschrieben. Entsprechende hochverarbeitete Produkte beim Einkauf zu erkennen, ist also nicht einfach, sowohl für Verbraucher:innen als auch Ernährungsfachkräfte. Eine Studie unserer Arbeitsgruppe untersuchte daher anhand einer Analyse des Lebensmittelmarktes in Großbritannien, welche Hochverarbeitungsmarker am besten geeignet sind, um hochverarbeitete Produkte zu identifizieren. Am häufigsten traten zugesetzte Aromen auf, die in rund 58 Prozent der Produkte nachweisbar waren, gefolgt von Emulgatoren (36 Prozent) und Farbstoffen (27 Prozent). Zusammengenommen ermöglichten diese drei Zusatzstoffe die Identifizierung von knapp 80 Prozent aller hochverarbeiteten Lebensmittel. Eine weitere repräsentative Untersuchung unserer Arbeitsgruppe zum deutschen Lebensmittelmarkt kam zu ähnlichen Ergebnissen: Auch hier waren zugesetzte Aromen der häufigste Hochverarbeitungsmarker, nachweisbar in knapp 56 Prozent aller hochverarbeiteten Produkte.
Wirkung der Aromen bisher wenig untersucht
Aber warum werden Aromen so häufig Lebensmitteln zugesetzt? Sie kompensieren die Geschmacksverluste, die durch die industrielle Verarbeitung von Lebensmitteln entstehen. Ihr Einsatz spart zudem Kosten für hochwertige Zutaten ein und soll den Geschmack von Produkten verbessern, verändern oder ergänzen; sie können auch unerwünschte Geschmackseigenschaften überdecken. Aromen dienen ebenso dazu, den Geschmack von Produkten mit weniger Zucker, Fett und Salz auszugleichen.
Trotz ihrer häufigen Verwendung in Lebensmitteln gibt es nur begrenzte Daten, wie zugesetzte Aromen die Kalorienaufnahme und das Körpergewicht beim Menschen beeinflussen. In der Tierhaltung ist dagegen eindeutig nachgewiesen, dass zugesetzte Aromen die Futteraufnahme sowie das Körpergewicht erhöhen; Hersteller von Futtermittelzusatzstoffen werben damit. Zwei unabhängige Mechanismen sind daran beteiligt, dass zugesetzte Aromen übermäßiges Essen und eine daraus resultierende Gewichtszunahme auslösen: Förderung des hedonischen Essens und Störung des Geschmack-Nährstoff-Lernens.
Aromen fördern das sogenannte hedonische Essen, also das reine Genussessen. Dabei wird die homöostatische Kontrolle der Nahrungsaufnahme außer Kraft gesetzt. Das homöostatische und das hedonische System steuern die Nahrungsaufnahme und das Körpergewicht. Die homöostatische Kontrolle zielt darauf ab, das aktuelle Körpergewicht durch metabolische Regulation der Nahrungsaufnahme und des Energieverbrauchs zu halten. Ihr primäres Ziel ist das Essen zum Überleben. Hedonisches Essen hingegen wird durch das Belohnungssystem gesteuert und ist unabhängig von der Energiebilanz. Das primäre Ziel ist also das Essen zum Vergnügen. In Situationen mit Energiemangel arbeiten beide Systeme zusammen, um die Nahrungsaufnahme anzukurbeln und den Energiebedarf zu decken. In Umgebungen mit ständiger Verfügbarkeit aller Genüsse und durch das aggressive Marketing der Lebensmittelkonzerne können sie jedoch kollidieren.
Aromen fördern das hedonische Essen
Das hedonische Essen wird durch zugesetzte Aromen in hochverarbeiteten Lebensmitteln aktiviert. Diese aromatisierten Lebensmittel sind oft energiereich und schmecken besonders lecker, zum Beispiel Soft Drinks, Fast Food, Süßigkeiten oder Desserts. Hedonisches Essen kann auch durch emotionales Essen ausgelöst werden. Negative Emotionen wie Ärger, Angst oder Trauer können zu einer erhöhten Aufnahme von sehr schmackhaften, aromatisierten Lebensmitteln und über die Aktivierung des Belohnungssystems und die Ausschüttung von Dopamin zu einer kurzfristigen Stimmungsverbesserung führen.
Geschmack-Nährstoff-Lernen gestört
Zugesetzte Aromen beeinträchtigen die Fähigkeit, Nährstoffe in Lebensmitteln vorherzusagen. Geschmack-Nährstoff-Lernen beschreibt den Prozess, dass sich unbewusste Assoziationen zwischen Geschmack und Nährstoff durch wiederholte Erfahrungen mit sogenannten orosensorischen Eigenschaften eines Lebensmittels entwickeln. Diese Sinneswahrnehmungen entstehen im Mund- und Rachenraum durch die Reize von Geschmack, Berührung, Temperatur und Schmerz.
Aufgrund dieser erlernten Assoziationen kann sich die Nahrungsaufnahme an den Ernährungsbedarf anpassen. So sind die orosensorischen Eigenschaften frischer Erdbeeren stets untrennbar mit ihrer spezifischen Nährstoffzusammensetzung verknüpft. Der Organismus kann dadurch lernen, dass der Geschmack von Erdbeeren typischerweise mit einem zuckerhaltigen und Vitamin-C-reichen Lebensmittel verbunden ist. Diese Konsistenz zwischen erwarteten und verfügbaren Nährstoffen ist die Grundlage für ein intaktes Geschmack-Nährstoff-Lernen. Wird dagegen der Erdbeergeschmack durch zugesetzte Aromen ausgelöst, zum Beispiel bei Erdbeereis und -joghurt oder bei Getränken mit künstlichem Erdbeergeschmack, kommt es zu einer Inkonsistenz zwischen erwarteten und verfügbaren Nährstoffen. Die Unfähigkeit, Nährstoffe richtig vorherzusagen, führt in der Folge zu kompensatorischem Überessen und Gewichtszunahme.
Ähnliche Mechanismen finden sich auch bei kalorienarmen oder -freien Süßungsmitteln. So nehmen Ratten, die inkonsistenten Geschmack-Kalorien-Paarungen ausgesetzt sind, mehr Gewicht zu als Kontrollratten, die eine konsistente Geschmack-Kalorien-Beziehung erleben.
Mehr Transparenz bei Aromen erforderlich
Im Rahmen der Zulassungsverfahren von Aromen werden Untersuchungen zu Essverhalten und Gewichtsentwicklung bislang nicht gefordert. Unsere Arbeitsgruppe konnte kürzlich anhand von Daten der UK Biobank mit rund 200.000 Teilnehmenden zeigen, dass ein hoher Anteil aromatisierter Lebensmittel in der Ernährung mit einem erhöhten Risiko für vorzeitige Sterblichkeit verbunden ist. Vergleichbare Zusammenhänge fanden sich auch für zugesetzte Süßungsmittel und Farbstoffe.
Somit legt inzwischen eine breite Evidenzbasis aus Tierexperimenten, grundlagenwissenschaftlichen Arbeiten und Kohortenstudien nahe, dass Aromen wesentlich zur Entstehung von Überessen, Übergewicht und damit verbundenen Folgeerkrankungen beitragen. Daher sollte ihre Rolle bei der Regulierung der Nahrungsaufnahme und der Kontrolle des Körpergewichts in zukünftigen Studien weiter untersucht werden. Darüber hinaus sind politische Strategien gefragt, die es Verbraucher:innen erleichtern, sich für nicht aromatisierte Lebensmittel zu entscheiden. In den meisten Ländern sind zugesetzte Aromen auf der Zutatenliste von verpackten Lebensmitteln gekennzeichnet. In Speisen, die außer Haus zubereitet werden, sind sie jedoch in der Regel nicht ohne weiteres zu erkennen.
Kostenloses Ernährungsprogramm
Aufgrund der vielen ungünstigen Auswirkungen eines hohen Konsums an hochverarbeiteten Lebensmitteln lohnt es sich, den Fokus auf wenig Verarbeitetes zu setzen. Derzeit müssen jedoch umfangreiche und schwer verständliche Zutatenlisten studiert werden, um hochverarbeitete Lebensmittel eindeutig zu erkennen.
Um gesündere Kaufentscheidungen zu erleichtern, entwickelte unser Team aus Ernährungsmediziner:innen, Ernährungswissenschaftler:innen und Diätassistent:innen der Universität Gießen federführend das kostenfreie Ernährungsprogramm Neatic (Natural eating with three ingredients checked; www.neatic.de). Neatic richtet seinen Fokus anhand von drei Grundsätzen auf drei zentrale Dickmacher-Zutaten, die typischerweise in hochverarbeiteten Lebensmitteln enthalten sind: Aromen, Süßungsmittel und freie Zucker. Der erste Grundsatz besagt, dass Aromen, der zweite, dass Süßungsmittel so weit wie möglich gemieden werden sollen. Der dritte Grundsatz empfiehlt, die Aufnahme freier Zucker auf maximal 40 Gramm pro Tag bzw. 280 Gramm pro Woche zu begrenzen. Die praktische Umsetzung im Alltag unterstützt eine kostenlose, werbefreie App mit einer integrierten Datenbank von über 80.000 Lebensmitteln (www.neatic.de/app).
Ernährung langfristig umstellen
Allein durch das Vermeiden von Lebensmitteln mit zugesetzten Aromen wird mehr als die Hälfte aller hochverarbeiteten Lebensmittel erkannt. Alle drei Neatic-Grundsätze zusammen erhöhen diese Rate auf knapp 80 Prozent. Das Programm erkennt aber nicht nur hochverarbeitete Lebensmittel, sondern hilft auch dabei, die Ernährung langfristig umzustellen. Das Konzept mit einem detaillierten Arbeitsbuch und zwölf Wochen-Lektionen steht für alle Interessierten online kostenlos zur Verfügung (www.neatic.de/programm).
Derzeit erfolgt die Entwicklung eines methodisch-didaktischen Leitfadens, um das Programm auch im Rahmen einer Ernährungsberatung nutzen zu können.
Bild © IgorVetushko/depositphotoscom
Den vollständigen Beitrag lesen Sie in: UGBforum 5/2025
Hochverarbeitete Lebensmittel: riskanter Genuss
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