Apotheken: Neutrale Beratung - Fehlanzeige

"Fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker!" Nicht zuletzt dieser Werbeslogan ist dafür verantwortlich, dass Apotheker ein fast unerschütterliches Vertrauen genießen. Doch der weiße Kittel schützt nicht vor Eigennutz. Einer unabhängigen Beratung steht der Verkauf von Produkten im Weg.

Ernährungsberatung, Apotheken, Beratung

Übergewicht hat sich zu einer regelrechten Volkskrankheit entwickelt. Was für den Einzelnen und das Gesundheitswesen von Nachteil ist, entwickelt sich für die Pharma- und Lebensmittelindustrie zum lohnenden Geschäft. Vor allem Anbieter von Diätprodukten und Nahrungsergänzungsmitteln profitieren von den Ernährungsfehlern der Verbraucher. Viele dieser Produkte gibt es in Apotheken. Gleichzeitig bieten Apotheker immer öfter ihre Dienste als Ernährungsberater an. Für seriöse Ernährungsfachkräfte ist ein Verkauf von Abnehmprodukten jeglicher Art jedoch tabu, da sonst keine objektive Beratung gewährleistet ist. Das ist ein wesentliches Kriterium der neuen Rahmenvereinbarung zur Qualitätssicherung in der Ernährungsberatung, die von den führenden deutschen Ernährungsinstitutionen im April 2005 verabschiedet wurde. Darin wird ausdrücklich Werbung für ein Produkt oder eine Beratung, die an einen Produktverkauf gekoppelt ist, ausgeschlossen. Das heißt in der Konsequenz, dass Apotheker per se für eine neutrale Ernährungsberatung nicht geeignet sind. Denn sie verfolgen aus wirtschaftlichem Interesse das Ziel, ihre Produkte an den Kunden zu bringen - davon leben sie schließlich.

Beratung soll Verkauf legitimieren

Ungeachtet der Vereinbarungen zwischen den Ernährungsfachverbänden haben die Pharmazeuten offensichtlich erkannt, dass sie verknüpft mit Beratung noch mehr Appetitzügler, Eiweißdrinks und Ballaststoffpräparate absetzen können. Ein deutliches Beispiel für die fragwürdige Verquickung ist die Kampagne "Leichter leben in Deutschland". Nahezu 1000 speziell ausgebildete Apotheker nehmen an dieser bundesweiten Aktion teil und versuchen, Abnehmwillige als Kunden zu gewinnen. "Nur wenn Sie die biochemischen Zusammenhänge kennen, werden Sie langfristig unabhängig von Ernährungsplänen oder Dosendiäten", lautet das Versprechen der Werbekampagne. Um bei der Aktion mitzumachen und die Kunden fachmännisch zu beraten, bilden sich die Apotheker maximal eineinhalb Tage fort, erwerben ein umfangreiches Infopaket mit ausgearbeiteten Vorträgen, Plakaten und anderem mehr. Anschließend bieten sie ihren Kunden Vorträge, Seminare und regelmäßige Körperfettanalysen an.

Die Abnehmwilligen sollen ausführlich über die Grundlagen der Ernährung und die wesentlichen Zusammenhänge zwischen falschem Essen und Gewichtszunahme informiert werden. Die Ausgestaltung der Aktion, das heißt auch der Umfang der Kundenschulung, hängt aber letztlich von der einzelnen Apotheke ab. Ob die speziell geschulten Apotheker Übergewichtige tatsächlich zu einer gesunden Ernährung und mehr Bewegung motivieren können, scheint mehr als zweifelhaft. Denn es ist hinlänglich bekannt, dass Wissensvermittlung allein beim Abnehmen wenig bringt. Und obwohl Dosendiäten abgelehnt werden, gibt es spezielle Eiweißtrinkpulver mit dem Logo der "Leichter leben in Deutschland"-Aktion. Auch Früchteriegel, Müsli und Brotbackmischungen werden im Rahmen der Abnehmkampagne verkauft. Aber wozu brauchen gut beratene Übergewichtige Spezialnahrung aus der Apotheke? Stutzig werden aufmerksame Kunden spätestens, wenn sie im offenen Forum der Internetseite die Anzeigen von fragwürdigen Fatburner-Produkten entdecken. Positiv anzumerken ist allenfalls, dass die Apotheken versuchen, die Teilnehmer zu regelmäßiger Bewegung zu motivieren und dazu teilweise mit örtlichen Sportvereinen zusammenarbeiten.

Glaubwürdigkeit wird ausgenutzt

Die Stiftung Warentest hat mit verdeckten Kundengesprächen schon mehrfach die zum Teil sehr schlechte Beratung in Apotheken bemängelt. Im Sommer dieses Jahres bewerteten die Tester bei einer fingierten Schlankheitsberatung jede dritte Apotheke mit der Note "mangelhaft". Untersucht wurden dabei nur Apotheken, die ausdrücklich mit Ernährungsberatung warben. Auch die Verbraucherzentrale NRW kam in einem Markttest zu einem ähnlich ernüchternden Ergebnis. In keiner einzigen Apotheke wurde ein intensives Beratungsgespräch angeboten, als Testkäufer ein bestimmtes Schlankheitsmittel für ein Kind kaufen wollten. Hinweise darauf, dass der gewünschte Lipidbinder, der die Fettaufnahme im Darm verringern soll, weder eine ausgewogene Ernährung noch regelmäßige Bewegung ersetzt, waren in der Regel Fehlanzeige. Obwohl selbst die Hersteller der Produkte von der Einnahme in der Wachstumsphase abraten, gaben die Apotheker diese Warnung nur selten an die Käufer weiter.

Selbst bei Fachapothekern mit Zusatzqualifikation Ernährungsberatung bleibt die Unvereinbarkeit von Verkaufsinteresse und unabhängiger Beratung. Die Kompetenz von Apothekern liegt vielmehr darin, Verbraucher beispielsweise über die Wechselwirkungen von Medikamenten und Lebensmitteln aufzuklären oder über Inhaltsstoffe und Wirkungsweisen von Nahrungsergänzungsmitteln zu informieren. Diese Aufgabe sollten sie wahrnehmen und die Ernährungsberatung besser neutralen Fachkräften überlassen.Anders sehen das einige Entscheidungsträger in der Politik wie Bayerns Gesundheitsminister Werner Schnappauf. Er begrüßt das Engagement der Apotheker in der Ernährungsberatung ausdrücklich und übernahm 2003 die Schirmherrschaft der anfangs nur in Bayern laufenden Kampagne. Kein Wunder, denn im gleichen Atemzug stellte das Ministerium die staatlich geförderte Ernährungsberatung in Bayern ein. Während der Staat so Geld spart, verdienen die Apotheken mit politischem Wohlwollen gesegnet munter weiter. Auf der Strecke bleiben unabhängige Ernährungsfachkräfte und schlecht beratene Verbraucher.

Wer vertraut, ist der Dumme

Fatal ist, dass Apotheker im Gegensatz zu Beratungskräften von vorneherein eine hohe Glaubwürdigkeit genießen. Zudem sind sie überall präsent, denn die Apothekendichte in Deutschland ist enorm. Dass der eigene Profit im Vordergrund steht, liegt zwar nahe, ist aber nicht auf den ersten Blick erkennbar. Menschen beim Abnehmen zu unterstützen, ist schließlich nicht verwerflich. Äußerst fragwürdig ist aber die Masche, so zu tun, als ob Ratsuchende neutral beraten würden. Greifen Abnehmwillige auf Apothekerrat zu Schlankheitspillen, werden sie nie lernen, ihren Lebensstil dauerhaft zu verändern.Der gutgläubige Verbraucher ist einmal mehr der Verlierer. Bestenfalls opfert er nur sein Geld für unsinnige Eiweißdrinks. Schlimmstenfalls schadet er seiner Gesundheit, wenn nicht auf Nebenwirkungen bei Appetitzüglern oder Ballaststoffpräparaten hingewiesen wird. Hier ist der Berufsstand der Apotheker gefordert, sich deutlich von unseriösen Machenschaften abzugrenzen und das Vertrauen der Kunden nicht auszunutzen. So lange in Apotheken die Ernährungsaufklärung mit Verkaufsinteressen gekoppelt ist, kann es in Ernährungsfragen nur heißen: "Fragen Sie nicht Ihren Apotheker, sondern Ihren Ernährungsberater!"

Onlineversion von:

Becker, U.: UGB-FORUM 6/05 S. 308-309