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UGBforum

Auf den ersten Blick scheint eine Anorexia nervosa wenig mit einer Alkoholabhängigkeit ge­ mein zu haben: Unter Essstörun­ gen leiden nach wie vor überwie­ gend Frauen, Alkoholabhängigkeit ist in der Regel ein „Männerpro­ blem“. Magersüchtige Frauen üben Verzicht, alkoholabhängige Männer hingegen schaden sich – und anderen – durch exzessives Verhalten; Schlankheit ist im Ge­ gensatz zur Alkoholabhängigkeit nicht stigmatisiert. Und dennoch klagen Therapeuten1 und Bera­ tungsfachkräfte, die magersüch­ tige Frauen behandeln, oftmals über die gleichen Schwierigkeiten wie ihre Kollegen, die alkohol­ abhängige Männer zur Abstinenz bewegen wollen: Ihre Patienten sind uneinsichtig und unterziehen sich meist nur unfreiwillig einer Behandlung; jemand – häufig die hilflosen Angehörigen – hat sie gedrängt, sich helfen zu lassen. Die Patienten erleben den sanften Druck jedoch als Bevormundung und wehren sich vehement gegen jeden Versuch, ihre Autonomie zu beschneiden. Die Diagnose steht zwischen Patient und Therapeut, die Beziehung ist bereits vor dem ersten Gespräch belastet. Selbst ein erfahrener Therapeut kann in kurzer Zeit viele Fehler machen und die Behandlung in eine Sack­ gasse führen. Motivieren statt bevormunden Was tun? Wie sollte ein Therapeut scheinbar unmotivierten Patienten begegnen? Kann aus (sanftem) Druck schließlich Motivation wer­ den? Die beiden Psychologen Wil­ liam R. Miller (University of New Mexico) und Stephen Rollnick (University of Wales) geben sehr optimistische Antworten auf diese Fragen – und die Ergebnisse zahl­ reicher Studien scheinen ihnen recht zu geben: Ein empathischer und kompetenter Therapeut kann etwas bewirken und auch einen schwierigen Patienten zu einer dauerhaften Verhaltensänderung motivieren. Der Erfolg ist nicht garantiert, aber die Aussichten sind gut, wenn der Therapeut von Manipulationsversuchen absieht und mit offenen Karten spielt. Miller und Rollnick beschrieben 1991 erstmals ein neues Behand­ lungsverfahren, das in vielerlei Hinsicht eine Weiterentwicklung der von Carl R. Rogers (1951) begründeten Gesprächspsycho­ therapie ist. Die Vorbehalte des Patienten werden nicht als Wider­ stand abgetan. Vielmehr begegnet der Therapeut seinem Gegenüber auf Augenhöhe und versucht, die Welt mit den Augen des Patien­ ten zu sehen. Um die Motivation des Patienten zu fördern, wird ein sogenannter Change talk initi­ iert (siehe Beispiel). Die offenen Fragen des Therapeuten leiten ein lautes Nachdenken über Verände­ rung ein: Der Patient spricht zum Beispiel über seine Absichten und Ziele, das Für und Wider einer Veränderung, die Widersprüche zwischen gegenwärtigem Ver­ halten und eigenen Werten, sein Zutrauen in die eigenen Fähig­ Motivational Interviewing Mut zur Veränderung Dr. Ralf Demmel Motivational Interviewing ist ein zugleich direktives und pati- entenzentriertes Verfahren. Zentrales Merkmal ist der Verzicht auf Konfrontation und Manipulation. Der Blick des Therapeu- ten ist weniger auf die Entstehung einer Erkrankung, sondern vielmehr auf die Voraussetzungen einer Veränderung gerichtet. In jüngster Zeit wurde der Anwendungsbereich unter anderem auf die Behandlung der Anorexia nervosa und anderer Essstö- rungen ausgeweitet. Erste Erfahrungen erscheinen viel verspre- chend, die Ergebnisse aussagekräftiger Studien stehen jedoch noch aus. 38 UGBforum 1/14 Beratung 1 Im Folgenden steht der Begriff Therapeut stell- vertrend für alle behandelnden und beratenden Berufe.

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