Flüchtlingsverpflegung: Hauptsache satt

Geflüchtete, die in unser Land kommen, lassen alles hinter sich. Nicht nur ihr ganzes Hab und Gut, sondern auch ihr gewohntes Leben – einschließlich der vertrauten Ernährung. Bei ihrer Ankunft wird darauf wenig Rücksicht genommen – schon gar nicht, wenn es um die Qualität des Essens geht.

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Grundsätzlich regelt eine Vielzahl von Verordnungen und Gesetzen, was organisatorisch bei der Ankunft von Flüchtlingen ablaufen muss. Doch wo von heute auf morgen Tausende vor den Türen stehen, bleibt keine Zeit mehr, Abläufe getreu Regeln und Gesetzestexten zu installieren. Das wird gerade an der Ernährung deutlich: Die Neuankömmlinge brauchen Essen und Trinken. Sofort. Täglich. Für lange Verwaltungswege ist da keine Zeit. Schnell bleiben so Mindestanforderungen und die Qualität auf der Strecke.

Jedes Bundesland regelt die Versorgung auf seine Weise. Staatliche Stellen schreiben einerseits Verpflegungssätze zum niedrigsten Preis aus, andernorts sind diese Verhandlungssache zwischen Unterkunftsbetreibern und Caterern – meist mit eingebauter Vertraulichkeitsklausel.
Orientierungsgrößen für die Kosten fehlen. Was die wenigsten wissen: Es geht hier um Steuergelder in Milliardenhöhe. Geht man von einer Vollverpflegung für 800.000 Flüchtlingen an 365 Tagen zu einem durchschnittlichen Preis von etwa 7,50 Euro aus, ergibt das ca. 900 Millionen Mahlzeiten im Jahr für 2,2 Milliarden Euro.

Massenabspeisung die Regel

Im Regelfall meldet sich ein Migrant nach dem Überschreiten der Grenze bei der Grenzbehörde als asylsuchend und wird dann an die nächstgelegene Erstaufnahmeeinrichtung weitergeleitet. Im nächsten Schritt findet das Zuordnen nach dem EASY-System statt, der computergestützte Erstverteilung für Asylbegehrende, das die Verteilung auf die Bundesländer regelt. Dort wird den Flüchtlingen der notwendige Bedarf in Form von Unterkunft, Kleidung und Verpflegung gestellt. Fast alles in diesen Lagern ist provisorisch, dabei macht die Verpflegung keine Ausnahme. Zu essen gibt es für alle genug, doch die Umstände gleichen oft einer Abspeisung. Hauptsache satt – das scheint, der Not gehorchend, die Devise für die Verpflegung in diesen Einrichtungen zu sein.

Hier kommen die Caterer ins Spiel: Nach der Ankunft am Zielbahnhof bleibt den Bundesländern als Trägern der Erstaufnahmeeinrichtungen die Pflicht, die Versorgung der Flüchtlinge zu sichern. In den großen Lagern sind das bei der vorgeschrieben Vollverpflegung schnell einmal 15.000 bis 20.000 Mahlzeiten täglich. Für die reibungslose Abwicklung dieser Aufgabe kommen in der Regel nur leistungsfähige und erfahrene Caterer und Gemeinschaftsverpfleger in Frage, die das Essen zubereiten, portionieren, anliefern und gegebenenfalls vom eigenen Personal ausgeben lassen – alles möglichst in einem Komplettpaket. Der logistische Aufwand ist riesig. Manche Länder machen das in Eigenregie, andere delegieren die Aufgabe komplett an private oder gemeinnützige Erstunterkunftsbetreiber.

In Hessen beispielsweise bedient sich das Regierungspräsidium in Gießen der Dienste von European Homecare (EHC) – derzeit einer der größten, aber auch umstrittensten Betreiber in der Bundesrepublik. EHC kümmert sich im Erstaufnahmelager um die Ausstattung der Unterkünfte, den Wachdienst und das Catering. Auf Anfrage der Zeitschrift gv-praxis konnte das Regierungspräsidium weder den Namen des Dienstleisters nennen noch die Höhe des Tagessatzes. EHC selbst verweigert jede Auskunft. Vertrauen ist gut – etwas mehr Kontrolle wäre sicher besser. Schließlich geht es um immense Kosten, die das Land zu tragen hat. Inwieweit die Qualität des gelieferten Essens dann tatsächlich den Ausgaben entspricht, weiß derzeit niemand. Ingrid Sichau, Redakteurin beim Fachmagazin gv-praxis, schreibt: „Die Verhältnisse in den Flüchtlingsunterkünften lassen vermuten, das den Bewohnern dort Mahlzeiten serviert werden, deren Qualität nicht immer dem oft zweistelligen Preis entspricht.“ Allein die derzeitige Notsituation, so Sichau, kann entschuldigen, dass der Staat Geld für nicht adäquate Leistungen zahlt.

Qualitätssicherung findet praktisch nicht statt

Dr. Margit Bölts ist als Leiterin des Referats Gemeinschaftsverpflegung und Qualitätssicherung bei der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) auch für das Thema Flüchtlingsernährung zuständig. Zufrieden ist man dort mit der derzeitigen Situation nicht – doch an die Umsetzung der üblichen Qualitätskriterien und vor allem an Qualitätssicherung ist im Moment nicht zu denken. Immerhin ein Bundesland, das man aus Gründen der Vertraulichkeit nicht benennen will, hat für die Ausschreibung der Flüchtlingsverpflegung die DGE hinzugezogen. Was in den anderen Bundesländern passiert und wer dort die Ausschreibungen fachlich betreut, bleibt bisher Geheimnis der Behörden. Aufgrund der Notsituation gibt es derzeit keine einheitlichen Vorgaben dafür.

Dabei müsse die Qualität des Essens für Flüchtlinge denselben Anforderungen entsprechen wie in einer ganz normalen Einrichtung, betont Bölts. Die DGE hat daher in den Empfehlungen zur Flüchtlingsverpflegung die klassischen Qualitätsstandards zugrunde gelegt. Besonderes Augenmerk wurde auf die Auswahl der Lebensmittel gelegt. Schon in den DGE-Standards ist festgeschrieben, dass auf kulturelle und religiöse Gegebenheiten Rücksicht zu nehmen ist. Das Eingehen auf individuelle Gewohnheiten lässt sich in den Einrichtungen aber nicht leisten, bedauert Bölts: „In den Erstaufnahmeeinrichtungen sind bis zu 2000 Personen zu verpflegen. Da können Sie nicht auf jede einzelne ethnische Gruppe eingehen. Das wird auch ein Caterer nie leisten können. Natürlich muss man kein Sauerkraut servieren und kann Gemüse- und Getreidesorten mit Bezug zu den Herkunftsländern präferieren. Aber aufgrund der vielen Menschen können nicht alle Bedürfnisse berücksichtigt werden“. Ebenso wenig könne derzeit überprüft werden, ob die Qualität der Caterer in der Praxis den Anforderungen in der Ausschreibung entspricht. „Tatsächlich ist die Qualitätssicherung im Moment nicht geregelt“, räumt Bölts ein. Im Klartext heißt das: Den Caterern guckt keiner auf die Finger.

Legt Eure Zahlen auf den Tisch!

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Caterern wird inzwischen öffentlich unterstellt, sich an der Krise zu bereichern und Notsituationen von Kommunen und Trägern zu nutzen, um mit überhöhten Preisen das große Geld zu verdienen. Wie sollte die Branche mit derartigen Vorwürfen umgehen? Prof. Dr. Volker Peinelt, gerade emeritierte Professor für Cateringservices und Lebensmittelhygiene am Fachbereich Oecotrophologie an der Hochschule Niederrhein, rät Caterern zu mehr Offenheit: „In der Presse werden tatsächlich Fälle kolportiert, in denen Caterer horrende Preise verlangen. Sicher gibt es schwarze Schafe. Die sind allerdings für die Branche nicht repräsentativ. Gerade deshalb sollte man sich gegen diese Anschuldigung wehren. Da hilft allerdings nur Transparenz und Offenheit. Wer keine Auskunft gibt, wie es derzeit bei vielen der Fall zu sein scheint, macht sich doch nur verdächtig. Die seriösen Unternehmen sollten klipp und klar über die wichtigsten Positionen in der Kostenstruktur informieren. Dass die Lebensmittel eher ein kleinerer Posten sind, ist niemandem bewusst. Nur dann kann die Öffentlichkeit verstehen, wie der Preis einer Mahlzeit vom Caterer entsteht. Dass die Margen im Catering üblicherweise gering sind, ist ein offenes Geheimnis. Da wird nicht das ganz große Geld verdient. Ich würde den Caterern raten: Legt Eure Zahlen klar auf den Tisch – und keiner wird sich über eine vernünftige Gewinnspanne beschweren, weil die jedes Unternehmen zum Überleben braucht. Es geht darum, sich von Übertreibungen zu distanzieren und schwarze Schafe – falls es die tatsächlich gibt – zu eliminieren. Denn die schaden der ganzen Branche.“

Nach der Erstaufnahme nicht viel besser

Die maximale Aufenthaltsdauer in Erstaufnahmeeinrichtungen kann nach den jüngsten Änderungen im Asylpaket I bis zu sechs Monaten betragen. Flüchtlinge mit Asylbewerberstatus, die also Chancen auf Anerkennung haben, können das Lager zum Glück meist wesentlich schneller wieder verlassen. Sie werden den Kommunen zugewiesen, wo sie eigentlich umgehend in Wohnungen untergebracht werden sollten. Da bezahlbarer Wohnraum fehlt, landen sie zunächst meist in Gruppenunterkünften der Gemeinden wie Turnsälen, leerstehenden Hallen oder alten Fabrikgebäuden. Mit der Zuweisung geht auch die Trägerschaft für die Versorgung und Verpflegung der Asylbewerber vom Land auf die Kommunen über. Die jeweilige Stadt beauftragt meist einen freien Träger mit der Aufgabe – zum Beispiel einen freien Wohlfahrtsverband wie Caritas, Rotes Kreuz oder Arbeiterwohlfahrt. Dieser Träger wiederum organisiert die Ausführung, indem er den Auftrag an eine Servicegesellschaft der karitativen Organisationen, einen Menüservice-Anbieter, Caterer oder ein entsprechendes Unternehmen weitergibt. Hier kommen nun zum Teil auch kleine lokale Anbieter wie der Metzger mit Cateringangebot oder der örtliche Partyservice zum Zug. Auftragsbedingungen sind hier allerdings noch weniger transparent als bei den Erstaufnahmeeinrichtungen.

Geschäfte auf Kosten der Flüchtlinge

Für die Flüchtlinge wird zwar enorm viel Geld ausgegeben. Das Wenigste davon kommt jedoch ihnen selbst zugute. Reich werden andere damit. Wie inzwischen verschiedene Presseberichte unterstellen, wittern einige Caterer in der täglichen Versorgung von hunderttausenden Flüchtlingen gute Profite. Laut Hamburger Abendblatt hat etwa ein erster Caterer in der Hafenstadt Verträge mit Schulen gekündigt und beliefert stattdessen Flüchtlingsunterkünfte mit Essen, vermutlich weil es deutlich lukrativer ist. Philipp Vetter, Journalist der Tageszeitung Die Welt versuchte für seinen kritischen Artikel „Das große Geschäft mit der Flüchtlings-Verpflegung“ zu recherchieren, was die Caterer für die Flüchtlingsverpflegung nun tatsächlich verlangen – und erfuhr nicht viel: „Wer bei Caterern und Behörden nach Details des Verpflegungsgeschäfts fragt, stößt meist auf Schweigen. Auch der Betrag, der pro Flüchtling pro Tag gezahlt wird, soll nicht öffentlich werden.“ Am konkreten Beispiel eines Caterers in Schweinfurt, dessen Auftragsvolumen bekannt wurde, rechnete Vetter einen Betrag von knapp 11,70 Euro pro Flüchtling und Tag für die Vollverpflegung aus.

In Berlin lautete die Antwort des Abgeordnetenhauses auf eine schriftliche Anfrage: „Die Kosten für die Vollverpflegung liegen zwischen 9,60 und 12 Euro pro Person.“ Ingeborg Sichau kommentiert in der gv-praxis: „Solche Beträge können nachdenklich stimmen angesichts der Tatsache, dass Kliniken und Senioreneinrichtungen häufig mit Tagessätzen von unter fünf Euro pro Tag und Person kalkulieren müssen.“

Nicht nur schwarze Schafe

Trotz einiger schwarzer Schafe gibt es keinen Grund, Caterer unter Generalverdacht zu stellen. Denn ohne den Einsatz zahlloser seriöser Unternehmen würde der Vorsatz „Wir schaffen das“ schon an der Verpflegung der Menschen scheitern. Das Unternehmen apetito, das schon seit vielen Jahren Flüchtlingsunterkünfte beliefert, zählt inzwischen bundesweit rund 80 Einrichtungen mit Schwerpunkt in Nordrhein-Westfalen zu seinen Kunden. „Grundsätzlich verfügen wir in unserem Sortiment über ausreichend Wahlmöglichkeiten, die ein sinnvolles Angebot für die Flüchtlinge möglich machen. Aktuell haben wir sieben neue Gerichte entwickelt, die speziell die Bedürfnisse der Menschen in den Flüchtlingsunterkünften erfüllen und die von der Küche Nordafrikas und des Nahen Ostens inspiriert sind“, verkündet das Unternehmen. Ihre Menüs sind bei Bedarf zudem sehr schnell verfügbar. Tatsächlich erfahren die Caterer häufig extrem kurzfristig, wie viele Mahlzeiten am Tag benötigt werden, weil täglich unterschiedliche Zahlen an Flüchtlingen ankommen. Stark schwankende Lieferumfänge und permanent wechselnde Anforderungen an die Zusammensetzung der Mahlzeiten – wie viele Kleinkinder sind zu versorgen, wie versorge ich Schwangere, sind kranke Menschen dabei? – gehören zu den Problemen, die die Caterer lösen müssen.

Ausgabestellen der Tafeln überlastet

Hat es die Kommune schließlich geschafft, dem Flüchtling eine Wohnung zu vermitteln, endet ihre Verantwortung für die Verpflegung. Asylbewerber haben dann Anspruch auf Leistungen im Wert von insgesamt 287 bis 359 Euro im Monat, angelehnt an die Hartz-IV-Regelsätze. Der Flut der ungewohnten Angebote – auch bei Lebensmitteln – stehen viele Neuankömmlinge zunächst ratlos gegenüber. Nur eines merken sie schnell: In Deutschland ist alles viel teurer als zuhause. Die Folgen davon bekommen unter anderem die ehrenamtlich arbeitenden Tafeln zu spüren – und schlagen Alarm: Der wachsende Andrang von Flüchtlingen wird für die gemeinnützigen Vereine zur Belastungsprobe. Zu den 1,5 Millionen Menschen, die die örtlichen Ausgabestellen bisher schon regelmäßig aufsuchen, um aussortierte Lebensmittel von Supermärkten oder Bäckereien zu erhalten, kommen mittlerweile schätzungsweise 300.000 Flüchtlinge dazu. Schon berichten mehr als die Hälfte der rund 900 örtlichen Vereine von Engpässen bei den verfügbaren Lebensmittelmengen. Zum anderen keimt an den Tafeln der Futterneid. Einige Tafeln beobachten bereits regelrechte Verteilungskämpfe zwischen den Neuankömmlingen und den Stammkunden. Früher gingen die Bedürftigen mit zwei, drei Tüten voller Lebensmittel nach Hause. Nun treten sie mit halbgefüllten Taschen den Heimweg an. Der Bundesverband sieht sich den Anforderungen angesichts des anhaltenden Flüchtlingsstroms kaum noch gewachsen.

Und wie geht es weiter?

Dass uns das Thema noch Jahre begleiten wird, darf als sicher gelten. Für vieles wird es früher oder später gewisse Routinen geben, wie für die Beschaffung von Wohnraum. „Spätestens dann wird man sich auch der Verpflegungssituation zuwenden müssen und funktionierende Strukturen entwickeln“, meint Dr. Martina Bölts. Dabei sieht die DGE-Expertin eine entscheidende Ursache für die derzeitigen Defizite im Bereich der Verpflegung von Flüchtlingen in mangelnder Kooperation und Kommunikation der Beteiligten. Die zuständigen Behörden, private und gemeinnützige Träger müssten sich mit den Anbietern und externen Beratern zusammentun, fordert Bölts: „Es gibt ja genug Experten im Bereich Verpflegung, darunter auch solche, die vom Thema Qualität viel verstehen – man denke an die selbstständigen Ernährungsberater, die im Bereich Gemeinschaftsverpflegung aktiv sind. Das wäre vor allem in den Kommunen in jedem Fall besser, als sich auf irgendeinen Anbieter zu verlassen, der in der Gemeinschaftsverpflegung noch kaum oder gar keine Erfahrung hat.“

© Quelle: Mühleib F: UGBforum 1/16, S. 16-19