Emotionale Intelligenz in der Beratung

Trauer, Wut, Ekel, Freude, Überraschung – das sind nur ein paar Gefühle auf der großen Palette von Emotionen, die jedem Menschen von klein auf bekannt sind. In der Beratung können sie störend sein. Wissen Berater aber damit umzugehen, lassen sich Emotionen für den Beratungserfolg nutzen.

emotionale-intelligenz.jpg © gearstd/Fotolia.com

Emotionale Intelligenz bedeutet einerseits, seine Emotionen wahrzunehmen und zu regulieren, also die Fähigkeit, Verstand und Gefühl in Einklang zu bringen. Andererseits setzt emotionale Intelligenz Empathie für die Emotionen anderer voraus. Dabei ist es eine grundsätzliche Vorbedingung, seine eigenen Gefühle wahrnehmen zu können. Ohne diese Fähigkeit können wir die Gefühle anderer nicht bemerken und mit diesen adäquat umgehen.

Emotionen werden in unserer rationalen, kognitiven Gesellschaft allerdings meist als Störfaktoren angesehen. Wir unterdrücken sie gerne, damit wir auf unsere Umgebung nicht irrational wirken. Dabei sind intuitive Gefühle nützlich. Sie helfen, weitaus schneller Entscheidungen zu treffen, als über unseren Intellekt. Angst informiert uns beispielsweise über eine drohende Gefahr und löst entsprechende Reaktionen aus. Müssten wir erst rational die Situation überdenken und analysieren, hätte uns die zischende Giftschlange bereits gebissen. Emotionen helfen uns dabei, den Alltag zu organisieren und uns zusammen mit dem Verstand ständig verändernden Situationen anzupassen.

Verstand und Gefühle in Einklang bringen

Emotionen werden im Gehirn über neuronal-hormonelle Vorgänge hervorgerufen. Dadurch entsteht eine einzigartige Sprache, mit deren Hilfe das Gehirn kommuniziert. Diese unterscheidet sich deutlich von den Gedanken, der Grundlage der kognitiven Steuerung. Dabei gibt es zwei Möglichkeiten, wie Emotionen verarbeitet werden können. Verspüren wir eine Gefahr, so sendet ein bestimmter Teil unseres Gehirns, die Amyg­dala, ein Notrufsignal an den Körper. Diese Signale werden etwa doppelt so schnell weitergeleitet, wie der Denkprozess stattfindet. Ein rationales Einschreiten und Kontrollieren der Emotionen ist in diesem Fall nicht möglich und im Fall der Schlange auch nützlich.

Problematisch kann es werden, wenn eine Reaktion automatisiert abläuft und unangemessen ausfällt. Das Gefühl der Gefahr ist dabei vorhanden, egal ob man vor dem knurrenden Hund zurückweicht oder vom besserwisserischen Partner angefaucht wird. Dabei ist typisch, dass danach ein Gefühl der Unzufriedenheit bleibt. Auch automatisierte Reaktionen lassen sich steuern, was aber eine intensive Auseinandersetzung damit voraussetzt.

Nicht alle Emotionen entstehen so spontan und haben eine automatisierte Reaktion zur Folge. Es gibt einen weiteren Weg über den Thalamus, der die Emotionen langsamer weiterleitet. In diesem Fall haben wir die Möglichkeit, die Emotionen wahrzunehmen und zu regulieren.

Emotionen für die Beratung nutzen

Auf der kognitiven Ebene geben Berater den Klienten fundierte Informationen. Diese helfen den Ratsuchenden, ihr Verhalten in die Richtung zu ändern, die ihnen persönlich als vorteilhaft erscheint. Bleibt das Gespräch auf dieser rein kognitiven Ebene, birgt das die Gefahr, dass der Klient unterbewusst Widerstände aufbaut und für jeden Vorschlag ein Argument findet, warum genau dieser Ratschlag nicht funktioniert.

Damit es zu einer nachhaltigen Verhaltensänderung kommt, muss der Klient emotional angesprochen sein. Nur wenn die Vorteile der Veränderung die Nachteile überwiegen, wird er die alternativen Handlungsweisen ausprobieren und dauerhaft verfolgen. Ist der Klient noch nicht sicher, ob er überhaupt etwas ändern möchte, sollte man diese genauer betrachten. Ein Ansatz ist dabei der Change Talk aus dem Beratungsansatz der motivierenden Gesprächsführung. Der Berater betrachtet zusammen mit dem Klienten, jeweils die Vor- und Nachteile, die er durch sein aktuelles Verhalten hat. Im Anschluss daran werden die Nach- und Vorteile ermittelt, die der Klient bei einer Verhaltens­änderung erwartet. Anschließend entscheidet der Klient für sich, ob und inwieweit er sein Verhalten ändern möchte. Gerade bei dieser Methode spielen die Emotionen des Klienten eine wesentliche Rolle. Durch ihr Einbeziehen vermitteln wir unseren Klienten, dass wir sie mit all ihren persönlichen Erfahrungen und der daraus resultierenden Gefühlswelt ernst nehmen und wertschätzen.

Irma Häberle

SEMINARTIPP

Die Autorin Irma Häberle können Sie in den Trainingsseminaren der UGB-Akademie live erleben:

Rhetorik – für einen überzeugenden Vortragsstil
Kommunikation – für zielgerichtete Gesprächsführung

Wie viele Klienten kommen in unsere Praxen, wohl wissend, dass ein hoher Zuckerkonsum Übergewicht fördert und mit dem festen Vorsatz, diesen zu reduzieren. Bleiben wir auf der rein kognitiven Ebene, dann können wir dieses Wissen nur bestärken. Bemerken wir aber, dass sich der Klient bei diesem Gedanken unwohl fühlt, dann ist es sinnvoll, über dieses Unwohlsein zu sprechen. Fragen Sie nach, was er bei dem Gedanken empfindet, den Konsum von Süßigkeiten zu reduzieren. Vielleicht hat er Angst, nie wieder Süßes anrühren zu dürfen und dadurch einen großen Teil des täglichen Genusses zu verlieren. Manchmal sind es bestimmte Speisen, auf die er einfach nicht verzichten möchte und die sich trotzdem in den Speiseplan miteinbauen lassen. Vielleicht wäre der Verzicht gar nicht so schlimm, aber die Vorstellung, dass ihm irgendjemand etwas vorschreibt, ist für ihn unerträglich. Nur wenn wir als Berater diese Emotionen ansprechen, können wir Zweifel, Unsicherheiten und Befürchtungen aus dem Weg räumen und gemeinsam mit dem Klienten eine Lösung suchen, die für ihn auch mit angenehmen Emotionen besetzt ist und dadurch umsetzbar wird.

Emotionen direkt ansprechen

Konkret umsetzbar ist das Einbeziehen von Emotionen in der Beratungspraxis durch das Verbalisieren der wahrgenommenen Gefühle. Dabei spielt es keine Rolle, immer genau die richtige Gefühlsregung zu benennen. „Der Verzicht auf Süßigkeiten liegt Ihnen schwer im Magen!“ oder „Sie befürchten, nie wieder Süßes essen zu dürfen“. Es ist fast egal, wie Sie als Berater Ihre Wahrnehmung beschreiben – trifft es nicht den Kern, wird der Klient dies richtigstellen. Durch das Ansprechen der Emotionen unterstützen Sie Ihren Klienten darin, über die eigenen Gefühle und Beweggründe nachzudenken. Sie signalisieren ihm: „Ich nehme dich als ganzen Menschen wahr und ernst.“

Nicht alle Emotionen müssen verbalisiert werden. Der Berater entscheidet situativ, ob er auf der hauptsächlich kognitiv-beratenden Ebene bleibt und wann es sinnvoll ist, die wahrgenommenen Emotionen des Klienten bewusst mit einzubeziehen. Mit der Verknüpfung von Kognition und Emotion können wir als Begleiter auftreten, der das fachliche Wissen hat. Gleichzeitig übergeben wir dem Klienten die Verantwortung, seine eigenen Erfahrungen zu machen und entsprechend seiner persönlichen Ziele zu handeln.

Eigene Reaktionsmuster verzögern

Für den Berater ist es relativ leicht, mit den als positiv deklarierten Emotionen umzugehen. Freude über den Fortschritt der Beratung oder Respekt für die vielen kleinen Schritte, die der Klient unermüdlich geht – das sind Gefühle, die selbst Berater zulassen können, die Emotionen normalerweise nicht gerne ansprechen. Aber wie kann ein Berater professionell mit gesellschaftlich wenig akzeptierten Emotionen wie Wut, Ärger oder Abscheu umgehen, die er selbst während der Beratung empfindet?

Meist zeigen sich Emotionen nicht nur mental, sondern auch auf körperlicher Ebene. So kann sich Wut in einem Brennen im Magen äußern, Puls und Blutdruck steigen. Dazu können Gedanken kommen wie „Was für eine Unverschämtheit!“ oder „Was bildet der sich eigentlich ein?!“ Äußerlich wird sich dieses Gefühl in der Körperhaltung, der Mimik und der Stimme widerspiegeln. Wir können also davon ausgehen, dass unser Gegenüber unsere Emotionen wahrnimmt – auch wenn das nicht immer bewusst geschieht oder er sie nicht immer einordnen und interpretieren kann.

Hat ein Berater in seiner Praxis immer wieder mit unerwünschten emotionalen Reaktionen zu kämpfen, so ist es wichtig, dass er in dieser Situation in der Lage ist, die Reaktion zu verzögern. Dies kann beispielsweise über Entspannungstechniken oder Achtsamkeitsübungen erlernt werden. Möglichkeiten, die eigene Wut zu regulieren, bestehen darin, erst einmal bis zehn zu zählen oder dreimal tief ein- und auszuatmen. Kann er die Reaktion verzögern, so kann er auch eher in der Situation entscheiden, wie und ob er die Emotion ausdrückt.

Gefühle im Blick behalten

Aber nochmal einen Schritt zurück. Bevor man sich Gedanken über alternative Reaktionen macht, ist es unumgänglich, sich mit der eigenen Gefühlswelt auseinanderzusetzen. In manchen Beratungssituationen komme ich beispielsweise an meine Grenzen. Klienten, die sich veränderungswillig zeigen und an vielen Lösungen interessiert sind, dann aber für jede einzelne Alternative eine Ausrede parat haben, warum gerade das nicht funktionieren kann, rufen bei mir ein ganzes Potpourri an Emotionen hervor. Die beiden Hauptgefühle sind Hilflosigkeit, dass ich als Berater nicht genüge, weil ich die Lösung nicht finde. Die andere Emotion ist eine unterschwellige Wut. Wut auf mich, dass ich eine Lösung nach der anderen präsentiere, wohl wissend, dass ich nicht für die Lösungen verantwortlich bin.

Das Wahrnehmen dieser Gefühle ist der erste Schritt, um in ähnlichen Situationen damit besser umgehen zu können. Dabei kann es hilfreich sein, aufzuschreiben, welche Gefühle in speziellen Situationen hochkommen, welche Reize diese Gefühle ausgelöst haben und welche körperlichen Empfindungen mit den jeweiligen Emotionen einhergehen. Je genauer die eigenen Emotionen wahrgenommen werden, desto eher können wir in der Situation anders reagieren. Desto eher werden wir von unseren Emotionen geleitet, ohne ihnen ausgeliefert zu sein. Mittlerweile schaffe ich es meistens, dieses Muster zu durchbrechen und sehe beispielsweise die Hilflosigkeit des Klienten, mit einer bestimmten Situation umzugehen. Oder ich frage genauer nach, was sich der Klient von der Veränderung erwartet und was wäre, wenn er bei seiner Verhaltensweise bliebe.

Sich mit seinen Emotionen genauer zu befassen, ist unter Umständen eine herausfordernde Aufgabe. Zumal die Entstehung von Emotionen erst einmal im Vorbewussten beginnt. Bis die Emotion im Bewusstsein landet, sind wir schon in über viele Jahre erlernten Reaktionsmustern gefangen. Diese Muster zu durchbrechen und zu verändern, erfordert ein hohes Maß an Aufmerksamkeit, Selbstbeobachtung und Reflexion.

Coaching und Supervision

Nicht immer kommen wir alleine an unser Ziel in der Arbeit mit den eigenen Emotionen oder im Umgang mit den Emotionen unserer Klienten. Bemerken wir immer wiederkehrende Gefühle, die uns in unserer Beratungsumgebung Schwierigkeiten bereiten, kann eine professionelle Begleitung hilfreich sein. Therapie, Coaching oder Supervision können dabei unterstützend wirken. Egal, ob mit professioneller Unterstützung oder alleine – die Auseinandersetzung mit unseren Gefühlen und das Erlernen emotionaler Intelligenz ist eine Bereicherung für uns selbst und jede Beratungssituation.

Quelle: Häberle, I: UGBforum 2/17, S. 58-61