Vegane Ernährung: Geht´s auch rein pflanzlich?

In Deutschland leben rund sechs Millionen Vegetarier. Fast jeder Zehnte davon ernährt sich vegan, verzichtet also auf jegliche Produkte vom Tier. Doch kann eine rein pflanzliche Kost den täglichen Nährstoffbedarf sicher decken?

Vegane Ernährung - Kinder vegan Ernähren

© Benicce/Fotolia.com

Oft stecken ethische oder weltanschauliche Gründe hinter einer fleischlosen Ernährung. Allergiker, Personen mit Laktoseintoleranz oder Menschen, die sich besonders gesund ernähren wollen, streichen ebenfalls Milch, Ei und/oder Fleisch vom Speiseplan. Aber auch Massentierhaltung, Fließbandschlachtung und Tiertransporte unter quälerischen Bedingungen haben vielen den Appetit auf Fleisch verdorben. Für einige ist es dann zu einer veganen Ernährung nur noch ein weiterer, konsequenter Schritt. Denn Milch- und Eierproduktion sind untrennbar mit der Fleischwirtschaft verbunden: Damit eine Kuh Milch gibt, muss sie jedes Jahr kalben. Der männliche Nachwuchs landet früher oder später auf dem Schlachthof. Bei den Legehennen ist es ähnlich. In Deutschland werden jährlich rund 45 Millionen männliche Küken nach dem Schlüpfen getötet.

Veganer haben weniger Krankheiten

Mittlerweile belegen zahlreiche Studien, dass Vegetarier und insbesondere Veganer seltener an Übergewicht, Bluthochdruck oder erhöhten Blutfettwerten leiden. Purine, Zivilisationskrankheiten wie Herzinfarkt, Krebs und Diabetes treten daher bei Menschen, die sich ausschließlich pflanzlich ernähren, deutlich seltener auf. Neben der gezielten Nahrungsauswahl liegt dies auch an der insgesamt gesunden Lebensweise. Vegetarier trinken im Durchschnitt weniger Alkohol, rauchen seltener, bewegen sich regelmäßiger und konsumieren nur selten Genussmittel und Drogen.

Vegane Ernährung: Kritische Nährstoffe

Doch Ernährungswissenschaftler warnen auch vor den Gefahren einer veganen Ernährung. Denn durch den völligen Verzicht auf tierische Lebensmittel kann sich bei ungünstiger Lebensmittelauswahl ein Mangel einstellen. Neben Säuglingen und Kleinkindern sind auch Schwangere und stillende Mütter sowie Senioren gefährdet. Sie könnten leicht einen Mangel an den Vitaminen B2, B12 und D entwickeln. Auch Eisen, Calcium, Jod und Zink sind kritische Nährstoffe bei einer veganen Ernährungsweise. Wird die Nahrung nicht bewusst zusammengestellt, kann es zudem zu einer Unterversorgung mit Energie und lebensnotwendigen Proteinen kommen.

Das für die Blutbildung unerlässliche Vitamin B12, auch Cobal-amin genannt, ist ausschließlich in tierischen Lebensmitteln enthalten. Auch Mikroorganismen wie Bakterien und Pilze sowie einige Algen können Vitamin B12 produzieren. So finden sich in fermentierten, das heißt mit Mikroorganismen versetzten Erzeugnissen wie Sauerkraut oder Sojaprodukten (Miso, Tempeh oder Shoyu) geringe Mengen Vitamin B12, ebenso wie in verschiedenen Blaualgen (Spirulina-, Chlorella oder AFA-Algen). Untersuchungen haben jedoch gezeigt, dass diese Nahrungsmittel so genannte B12-Analoga enthalten, die für den Menschen nicht verwertbar sind. Unser Organismus benötigt Vitamin B12 nur in geringsten Mengen. Ein gefüllter Speicher (2-3 mg) reicht für etwa 3-15 Jahre. Ob ein Mangel an Vitamin B12 vorliegt, ist nur schwer zu erkennen. Denn Folat übernimmt teilweise ähnliche Funktionen. Da Veganer in der Regel sehr gut mit Folat versorgt sind, kann eine Unterversorgung lange verborgen bleiben. Bei einem B12-Mangel erscheinen die Betroffenen zunächst blass und energielos, sie fühlen sich schwach und schwindelig. Diese so genannte perikunäre Anämie ist weniger gefährlich und durch die Aufnahme von Vitamin B12 wieder zu beseitigen. Irreversibel sind jedoch Schäden des Nervensystems, die im weiteren Verlauf eines Mangels entstehen.

Bei den meisten Veganern liegt der Vitamin-B12-Gehalt im Blut weit unter den Werten von Mischköstlern. Sogar erste zelluläre Mangelanzeichen wie erhöhte Werte von Methylmalonsäure und Homocystein stellten Forscher der Uniklinik Saarland bei mehr als der Hälfte der untersuchten Veganer fest. Um einen Mangel frühzeitig zu erkennen, sollten Veganer regelmäßig ihren B12-Status durch einen ausführlichen Labortest bestimmen lassen; am besten gemeinsam mit dem Folsäurestatus. Wer sich über längere Zeit vegan ernährt, benötigt Nahrungsergänzungspräparate oder mit Vitamin B12 angereicherte Lebensmittel, um die Versorgung sicherzustellen. Angereichert werden vereinzelt Frühstücksflocken, Müsliriegel, Hefepasten, Sojamilch, Margarine oder Fruchtsäfte.

Vegane Ernährung - Risiko für Säuglinge?

Rein pflanzlich ernährte Säuglinge weisen oft einen schlechten Ernährungsstatus auf. Die Muttermilch vegan lebender Frauen ist vielfach arm an Vitamin B12 und Vitamin D. Auch der Gehalt anderer Nährstoffe in der Muttermilch kann unzureichend sein, wenn die Mutter bereits mehrere Jahre vegan lebt. Ohne Vitamin-B12- und Vitamin-D-Präparate und eine besonders sorgfältige Nahrungszusammenstellung halten Ernährungswissenschaftler eine sichere Versorgung der Babys nicht für möglich. Eine Beikost ohne Milch, Fleisch und Ei kann außerdem zu Problemen mit der Eisen-, Zink- und Calciumversorgung führen.

Sonnenbaden angesagt

Auch Vitamin D kommt ausschließlich in tierischen Produkten vor. In Pflanzen wie Kohlarten und Spinat sowie in Pilzen und Hefen finden sich allerdings größere Mengen des Provitamins D12. Unter Sonneneinstrahlung kann in der Haut daraus wirksames Vitamin D gebildet werden. So ist der Vitamin-D-Status bei uns im Sommer günstiger als in der dunklen Jahreszeit und in südlichen Regionen besser als in nördlichen. Insgesamt tritt ein Mangel bei Veganern allerdings sehr selten auf. Sie nehmen über die Nahrung zwar weniger Vitamin D auf als Mischköstler und Ovo-Lakto-Vegetarier. Ein ausreichend langer Aufenthalt im Freien und die damit verbundene UV-Strahlung gleichen dieses Defizit aber offensichtlich wieder aus. Problematisch ist allerdings die Versorgung von Säuglingen vegan lebender Frauen (siehe Kasten).

Obwohl Milch und Milchprodukte hierzulande die Hauptquellen für Calcium sind, zeigen Veganer keine auffällige Anzeichen eines Mangels. Calcium spielt vor allem für das Knochenwachstum und die Vorbeugung von Osteoporose eine zentrale Rolle. Ein Mangel zeigt sich bei Kindern durch nicht ausreichend mineralisierte Knochen (Rachitis) und in der zweiten Lebenshälfte durch brüchigere Knochen (Osteoporose). Die hierzulande hohe Proteinzufuhr erhöht allerdings die Calciumausscheidung über die Nieren beträchtlich. Die Ernährungsgesellschaften empfehlen aus diesem Grund mit 900-1200 mg Calcium pro Tag etwa doppelt soviel wie eigentlich benötigt wird.

Veganer sollten auf ihre Calciumzufuhr achten

Die meist geringe Aufnahme von Proteinen bei einer veganen Ernährung wirkt sich höchst wahrscheinlich positiv auf die Calciumbilanz aus. Epidemiologische Studien bestätigen diese Annahme: In Ländern, in denen viel Calcium und tierische Lebensmittel gegessen werden, liegt die Zahl der Hüftfrakturen (ein Indiz für Osteoporose) deutlich höher als in Ländern, in denen wesentlich weniger Calcium und tierisches Protein auf dem Speiseplan stehen. Offenbar ist das Verhältnis von Protein zu Calcium weitaus bedeutender als die Calciumzufuhr allein. Dennoch sollten Veganer auf ihre Calciumversorgung achten. Das gilt ganz besonders für Kleinkinder, aber auch für Kinder und Jugendliche. Gute pflanzliche Quellen für den Knochenbaustein sind dunkelgrüne Gemüse wie Brokkoli, Grünkohl oder Fenchel sowie Mandeln und Haselnüsse. Auch calciumreiches Mineralwasser mit mindestens 150 Milligramm pro Liter trägt zur Versorgung bei.

Eisen: Was ist zu wenig?

Veganer nehmen im Durchschnitt mehr Eisen auf als Nicht-Vegetarier. Allerdings ist das dreiwertige Eisen aus pflanzlichen Quellen nicht so gut verfügbar wie das zweiwertige aus Fleisch und Wurst. Die Deutsche Vegan-Studie ergab, dass 42 Prozent der jüngeren und 13 Prozent der älteren Veganerinnen die als normal geltenden Blutkonzentrationen für Eisen unterschreiten. Überraschenderweise sind damit jedoch keine physiologischen Nachteile wie Blutarmut oder Leistungsschwäche verbunden. Es gibt zudem Hinweise, dass Normwerte im unteren Bereich möglicherweise sogar vor Infektionskrankheiten schützen.
Jod und Zink zählen ebenfalls zu den kritischen Spurenelementen bei rein pflanzlicher Ernährung. Da Veganer keinen Fisch und keine Meerestiere essen, gilt für sie die Empfehlung, jodiertes Speisesalz zu verwenden, ganz besonders. Obwohl Zink – ähnlich wie Eisen – aus pflanzlicher Kost weniger gut verfügbar ist als aus tierischen Lebensmitteln, liegt der Zinkspiegel im Blut der meisten Ovo-Lakto-Vegetarier im Normbereich. Nur in einzelnen Untersuchungen gab es Anzeichen für einen Zinkmangel bei fleischloser Ernährung. Vermutlich sind langjährige Vegetarier in der Lage, Zink aus pflanzlicher Nahrung besser zu verwerten als Nicht-Vegetarier. Kinder scheinen diese Anpassungsfähigkeit noch nicht zu besitzen. Sie sind bei vegetarischer Ernährung eher gefährdet, einen Zinkmangel zu erleiden.

Da für Veganer auch Milch- und Milchprodukte als wichtige Zinkquellen entfallen, sollten sie auf zinkreiche Lebensmittel achten. Vollkornprodukte, Hülsenfrüchte (Sojabohnen) und Erdnüsse sind gute pflanzliche Lieferanten. Günstig ist insbesondere der Verzehr von Sauerteigbroten. Durch die Teigführung werden Phytate abgebaut, die sonst die Verfügbarkeit des Zinks vermindern können. Durch den Verzicht auf Milchprodukte entgeht Veganern zudem eine wichtige Quelle für Vitamin B2 (Riboflavin). Daher sollten riboflavinreiche Lebensmittel wie dunkelgrüne Blattgemüse (Spinat oder Grünkohl), verschiedene Kohlsorten, Mais, Amaranth oder Haferflocken den Speiseplan regelmäßig bereichern.

Vegan ernähren - Bewertung des UGB:
Eine vegane Ernährung ist für Erwachsene und vor allem für Kinder und Jugendliche nur bei sorgfältiger Nahrungszusammenstellung geeignet. Kritische Nährstoffe sind Vitamin B12, B2, Vitamin D, Calcium, Eisen, Zink und Jod. Zumindest für Vitamin B12 ist eine Supplentierung erforderlich und regelmäßge Kontrollen der Blutwerte nötig. Zivilisationskrankheiten treten bei Veganern deutlich seltener auf.

Vegane Ernährung - Wissen, wie es geht

Wer sich vegan ernährt, muss seine Nahrung sorgfältig zusammenstellen, um Defizite zu vermeiden. Neben reichlich Obst und Gemüse, insbesondere dunkelgrünen Gemüsen, sollten Vollkornprodukte und Hülsenfrüchte einschließlich Sojaprodukten regelmäßig auf dem Speiseplan stehen. Nüsse, Samen und pflanzliche Öle dürfen ebenfalls nicht fehlen. Sinnvoll ist es zudem, ein calciumreiches Mineralwasser auszuwählen und eisenreiche Getreide- und Gemüsegerichte mit vitamin-C-haltigem Obst oder Säften zu kombinieren.

Die wohlbedachte Einnahme von Nahrungsergänzungen beispielsweise von Vitamin B12 oder der Verzehr nährstoffangereicherter Lebensmittel können helfen, Nährstofflücken zu schließen. Patienten mit erhöhtem Nährstoffbedarf, Säuglingen und Kleinkindern, Heranwachsenden, Senioren, Schwangeren und Stillenden ist von einer rein pflanzlichen Kost abzuraten. Schon durch den gelegentlichen Verzehr von Milch- und Milchprodukten lassen sich kritische Versorgungslücken zum Beispiel an Vitamin B2 und B12 sowie Calcium schließen.

Onlineversion von: Weigt, S.: UGB-Forum Spezial 2007, S. 9-11