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Gentechnik: Die Welt als Labor

Der Anbau von Genpflanzen und die Verwendung transgener Organismen in der Lebensmittelindustrie sind heute schon Realität. Verbraucherschützer befürchten gesundheitliche Folgen und warnen vor einer Zunahme an Allergien, unwirksamen Antibiotika und ungeahnten Nebeneffekten.

Trotz der ungeklärten gesundheitlichen Risiken werden transgene Pflanzen weltweit angebaut. Im letzten Jahr wuchsen auf rund 52,6 Millionen Hektar Genpflanzen. Das ist fast das Dreifache der in Deutschland landwirtschaftlich genutzten Fläche. Im Vergleich zum Jahr 2000 bedeutet das einen Zuwachs von ungefähr zehn Prozent innerhalb von zwölf Monaten. Die Zunahme beschränkt sich im Wesentlichen auf vier Pflanzen und vier Länder. Am stärksten verbreitet ist herbizidresistentes Gen-Soja , gefolgt von Mais, Baumwolle und Raps. Andere Pflanzen oder Feldfrüchte spielen bislang kaum eine Rolle. Die größten Anbaunationen sind neben dem Spitzenreiter USA Argentinien, China und Kanada. Die EU-Länder bauen Genpflanzen zur Zeit nur in geringem Umfang an, meist zu Versuchszwecken.

Allergierisiko lässt sich schwer abschätzen

Im Gegensatz zu Nahrungsmittelunverträglichkeiten werden echte Allergien durch Proteine ausgelöst. Gentechnische Eingriffe in Pflanzen führen in der Regel dazu, dass diese bislang nicht vorhandene Proteine bilden. Werden künftig Genpflanzen in großem Stil angebaut, nehmen viele Menschen neue, bisher nahrungsfremde Proteine auf. Deshalb stellt sich die Frage, ob diese pflanzlichen Nahrungsmittel ein verändertes allergenes Potenzial entwickeln. Für Proteine, die aus bekannten, allergieauslösenden Organismen stammen, gibt es Testmöglichkeiten. Ganz anders sieht es aus, wenn die Proteine nicht zu unserem natürlichen Nahrungsrepertoire gehören. Das ist bei transgenen Pflanzen meistens der Fall, denn in der Regel stammen die übertragenen Gene von Bakterien, über deren Allergiepotenzial nichts bekannt ist.

Inzwischen haben Wissenschaftler einige Möglichkeiten gefunden, das Risiko abzuschätzen. Ist das neue Protein bekannt, kann die Molekülstruktur mit anderen Allergenen verglichen werden. Zudem lässt sich überprüfen, ob das neue Protein im Magen-Darm-Trakt stabil bleibt, was eine wichtige Voraussetzung für die allergene Wirkung ist. Ein hoher Anteil am Gesamtproteingehalt des Lebensmittel ist ebenfalls ein Indiz für einen Allergieauslöser. Diese Methoden sind allerdings wenig zuverlässig. Nahezu unmöglich wird eine Voraussage, wenn das neue Protein gar nicht bekannt ist. Denn der Gentransfer kann bereits vorhandene Proteine unbemerkt umwandeln oder die Proteinzusammensetzung in der Pflanze verändern.

Kritische Gentechnik-Experten fordern daher, die Entwicklung neuer, angepasster Testmethoden, vor allem die Entwicklung von entsprechenden Tiermodellen. Denn schon heute wird eine Reihe von Genen für Proteine in Pflanzen kloniert, die als potenzielle Allergene betrachtet werden müssen. Dazu gehören Proteine (Inhibitoren), die Enzyme blockieren, Lektine mit insekten- und teilweise auch säugetiertoxischem Potenzial sowie Albumine (Speicherproteine).

Hinweise auf Allergien verdichten sich

Vor dem allergenen Potenzial von Enzyminhibitoren warnten Schweizer Forscher bereits 1996. Sie stellten fest, dass die für die Schädlingsabwehr in Nutzpflanzen eingesetzten Enzyminhibitoren häufig mit deren allergenem Potenzial verknüpft sind. So wie in der Sojapflanze ein Trypsininhibitor als Hauptallergen für Sojaallergiker fungiert, gilt dies auch für Proteaseinhibitoren und weitere insektenabwehrende Inhaltsstoffe aus anderen Nutzpflanzen. Offensichtlich gibt es hier eine Verknüpfung von Funktion und allergener Wirkung.

Die insektenabwehrenden Proteine werden in den Gentechniklaboren in eine Reihe von wichtigen Nutzpflanzen eingebaut. Ähnliches geschieht mit einem Insektengift aus Bacillus thuringienensis, das sich zum Beispiel in Mais, Tomaten, Kartoffeln, einigen Gemüsepflanzen und Apfelsorten wiederfindet. Ihr kommerzieller Anbau hätte schwerwiegende Folgen für betroffene Allergiker. Denn eine große Anzahl pflanzlicher Lebensmittel würde für diese Menschen ungenießbar. Die allergieauslösenden Proteine ließen sich durch ihre große Verbreitung kaum vermeiden. Ein Verbot der bereits als problematisch erkannten Proteine fordern derzeit nur einige Ärztegruppierungen und kritische Verbraucherschützer. Die aktiv an der Entwicklung beteiligten Genforscher möchten in der Regel allenfalls eine Kennzeichnung für diese Pflanzen und deren Produkte einführen.

Die Übertragung von Genen im Labor gelingt erst nach vielen Anläufen. Um zu erkennen, ob das Einschleusen erfolgreich war, erhält die Pflanze neben dem Gen mit der neuen Eigenschaft zusätzlich ein so genanntes Markergen. Dafür werden in der Regel Antibiotikaresistenz-Gene verwendet. Sie ermöglichen es, durch die Selektion mit dem entsprechenden Antibiotikum die Bakterien oder Pflanzen zu erkennen, bei denen der Transfer gelungen ist. Die überlebenden Organismen können dann in großer Stückzahl kopiert werden. Auf dem Feld hat das Resistenzgen in den heranwachsenden Pflanzen aber keine Funktion mehr. Trotz anderer Möglichkeiten für Markergene tragen die meisten weltweit angebauten Genpflanzen Gene für eine Antibiotikaresistenz.

Antibiotika: Lebensretter werden unwirksam

Seit den Anfängen der Entwicklung transgener Pflanzen gibt es hitzige Debatten über das Risiko dieser Technik. Vor Jahren gingen Experten noch davon aus, dass Erbmaterial (DNA) sowohl im Boden als auch im Magen-Darm-Trakt rasch abgebaut wird. Heute ist jedoch klar, dass DNA im Boden überraschend lange intakt bleiben kann und auch im Magen-Darm-Trakt nur ein unvollständiger Abbau stattfindet. Der lange bezweifelte Transfer von pflanzlichem Erbgut auf Mikroorganismen konnte mittlerweile im Labor nachgewiesen werden. Eine aktuelle Studie, durchgeführt mit freiwilligen Versuchspersonen an der Universität Newcastle zeigt erstmals, dass auch im menschlichen Darm DNA nicht vollständig abgebaut wird und Teile des transgenen Erbmaterials durchaus von Darmbakterien aufgenommen werden können. Eine Übertragung von Pflanzengenen auf Bakterien ist damit prinzipiell möglich, auch wenn die Wahrscheinlichkeit gering ist. Denn hierzu müssen mehrere Umweltbedingungen gleichzeitig erfüllt sein. Für den Fall, dass genmanipulierte Pflanzen in großem Stil angebaut werden, wird eine Übertragung allerdings wahrscheinlicher.

Ein großes Problem der Antibiotikaresistenz-Gene liegt darin, dass sie therapeutisch wichtige Antibiotika unwirksam machen können. Denn wenn die Resistenzen auf Krankheitserreger übertragen werden, bleiben diese unempfindlich gegen die nicht selten überlebenswichtigen Medikamente. In den letzten Jahren hat sich dieses Problem verschärft. Denn es tauchen immer mehr Krankheitserreger auf, gegen die herkömmliche Antibiotika keine Wirkung mehr zeigen. Deshalb werden einige Mittel als so genannte Reserve-Antibiotika zurückgehalten und erst verabreicht, wenn alle anderen Antibiotika versagt haben. Zu diesen Reservemitteln zählt zum Beispiel Vancomycin. Besonders kritisch ist deshalb die Verwendung des Markergens npt-III. Es verleiht Pflanzen und Bakterien nicht nur eine Resistenz gegen verschiedene gängige Antibiotika, sondern auch gegen die überlebenswichtigen Reservemittel. Ein anderer Marker, das npt-II-Gen, ist heute in vielen bereits zugelassenen transgenen Pflanzen vertreten. Es bewirkt zwar keine Resistenz gegen Reservemittel, jedoch gegen eine ganze Reihe von Antibiotika, die für einige klinische Anwendungen von großer Bedeutung sind.

Alternative Markergene könnten Probleme lösen

Die Industrie hat ihre Bereitschaft signalisiert, in Zukunft auf therapeutisch relevante Markergene zu verzichten. Denn inzwischen steht eine Reihe weniger problematischer Methoden wie optische Markergene zur Verfügung. Zudem lassen sich die eingeschleusten Markergene aus den transgenen Pflanzen auch wieder herausschneiden, bevor sie massenhaft auf die Felder kommen.

Die überarbeitete EU-Freisetzungsrichtlinie fordert einen endgültigen Verzicht auf Antibiotikaresistenz-Gene ab dem Jahr 2008, wenn diese "schädliche Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit oder die Umwelt haben können". Doch hier fängt der Streit und die Bewertungsfrage wieder an. Was heißt genau "schädlich" und wer legt dies fest? Aufgrund des nicht auszuschließenden Risikos und der zur Verfügung stehenden Alternativen, fordern Verbraucherschützer und Umweltverbände ein generelles Verbot.

Pflanzenschutzmittel gefährden Gesundheit

Die meisten gentechnischen Entwicklungen bei Nutzpflanzen zielen bisher darauf ab, diese gegen Unkrautvernichtungsmittel (Herbizide) unempfindlich zu machen. Dadurch sollen die Pflanzenschutzmittel später gespritzt werden können, wenn offensichtlich ist, dass sie auch tatsächlich benötigt werden. Allerdings müssen die Landwirte wegen der dann größeren Unkräuter auch mehr Chemikalien einsetzen. Durch das spätere Spritzen besteht für die Verbraucher die Gefahr, dass mehr gesundheitsschädliche Chemikalien auf den Pflanzen zurückbleiben. Herbizide reizen Haut und Augen, beeinträchtigen die Fortpflanzung von Versuchstieren, sind giftig für Fische und stehen im Verdacht, krebserregend zu sein und ungeborene Kinder im Mutterleib zu schädigen. Auch der Anbau transgener Bt-Pflanzen, die selbst Insektengifte gegen Fraßschädlinge bilden, ist gesundheitlich bedenklich. Denn die pflanzeneigene Produktion der Gifte bedeutet, dass diese Substanzen auch von Menschen und Tieren aufgenommen werden. Zwar traten in Tierversuchen keine akut toxischen Wirkungen auf. Über mögliche Langzeitwirkungen liegen bisher aber keine Erkenntnisse vor.

An welcher Stelle die neuen Gene in das Erbmaterial der Empfängerpflanze eingebaut werden, lässt sich nicht vorherbestimmen. In Abhängigkeit von Position und Anzahl der eingeschleusten Gene können eine Reihe von unerwarteten Wirkungen auftreten (Positionseffekte). Ähnlichkeiten der eingeführten DNA mit der pflanzeneigenen können vorhandene Gene abschalten oder stilllegen (Gene silencing). Zudem können die neuen Gene Stoffwechselwege und deren Produkte verändern. So weisen sowohl herbizidresistente Sojabohnen als auch genveränderter Bt-Mais eine stärkere Verholzung ihrer Zellwände auf. Das wirft Fragen auf, inwiefern eine transgene Veränderung die Lebensmittelverträglichkeit und gesundheitliche Unbedenklichkeit beeinflusst. Testmethoden, die Unterschiede erfassen und bewertbar machen könnten, stehen erst in den Anfängen ihrer Entwicklung. Möglicherweise könnten sich auch giftige Pflanzeninhaltsstoffe unbemerkt in deutlich größeren Mengen bilden. Oder wichtige Nährstoffe wie Vitamine könnten nur noch in geringeren Konzentrationen vorhanden sein.

Grüne Gentechnik als Globalexperiment?

Das Wissen um die Bekömmlichkeit und gesundheitliche Verträglichkeit vieler unserer Lebensmittel beruht auf Erfahrungswissen - in Jahrhunderten der Nutzung erworben. Im Detail ist uns oft nicht bekannt, welche Inhaltsstoffe in welchen Konzentrationsverhältnissen in einer Nutzpflanze vorliegen. Damit lassen sich Veränderungen nur schwer feststellen und vor allen Dingen nicht bewerten. Erst Langzeituntersuchungen könnten hier Abhilfe schaffen. Diese sind sehr aufwändig und teuer und kaum für jedes einzelne, neue Lebensmittel durchführbar. Die Frage ist deshalb, ob das Globalexperiment "Grüne Gentechnik" überhaupt durchgeführt werden soll. Da die langfristige gesundheitliche Verträglichkeit im Labor nicht überprüft werden kann, wird mit der Anpflanzung und Nutzung die Welt zum Labor gemacht. Noch haben wir in Europa die Situation, wenigstens darüber mitbestimmen zu können, ob wir als Versuchspersonen an diesem Globalexperiment teilnehmen wollen. Für die freie Entscheidung der Verbraucher ist die Kennzeichnung und damit die Wahlfreiheit die Mindestvoraussetzung. Das heißt auch, dass der Ökolandbau und alle Anbauformen, die keine transgenen Organismen einsetzen wollen, entsprechend geschützt werden müssen.

Quelle: Tappeser, B.: UGB-Forum 5/2002; S. 230-233