Gekaufte Forschung – manipulierte Forschung

Forschung wird zunehmend durch die Industrie finanziert. Ob einzelne Wissenschaftler oder ganze Hochschulen Drittmittel von Unternehmen erhalten: Die Firmen wollen profitieren. Unabhängige Forschung bleibt so auf der Strecke.

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Unliebsame gesetzliche Maßnahmen mit Erfolg verhindern, indem wissenschaftliche Erkenntnisse manipuliert werden – das Prinzip wenden heute viele Branchen an. Eine systematische Beeinflussung der Forschung zugunsten der Konzerngewinne findet auch in der Lebensmittelindustrie mit großem Erfolg statt.

Der Strom an Industriegeldern, der in deutsche Hochschulen fließt, nimmt seit Jahren zu. Man sollte sich darüber im Klaren sein, dass Unternehmen Geld, auch solches an Hochschulen, im Normalfall nur ausgeben, wenn es sich für sie lohnt. Auf der anderen Seite sind Hochschulen und einzelne Forscher immer stärker auf Industriemittel angewiesen. Beinahe 50 Prozent der gesamten deutschen Hochschulforschung und etwa 40 Prozent aller wissenschaftlichen Hochschulmitarbeiter sind derzeit über Drittmittel finanziert. Dabei stammt der größte Teil dieser Gelder aus öffentlicher Hand, rund ein Viertel kommt von Unternehmen und Stiftungen. Die staatliche Grundfinanzierung der Hochschulen stieg zwar in den letzten Jahrzehnten an, gemessen an den erwarteten Forschungsleistungen aber viel zu wenig. Daher sind Drittmittel aus der Industrie in der Regel hochwillkommen.

Förderung der Karriere durch die Industrie

Die Lobbyisten suchen beispielsweise geeignete Wissenschaftler, die bereit sind, die Meinung der Industrie zu vertreten. Geld ist hierbei oft nur von nachrangiger Bedeutung. Man verspricht ihnen etwa, Publikationen in renommierten Journalen zu unterstützen und so die Wissenschaftskarriere zu fördern. Für einzelne Forscher ist die Annahme von Industriemitteln häufig attraktiv, weil sie nicht nur Karrierechancen eröffnen, sondern auch die eigenen Forschungsspielräume erweitern. Durch großzügige finanzielle Ausstattung, Einrichtung von Laboren, Lehrstühlen oder Forschungsinstituten sollen die ausgewählten Forscher größtmögliche Wirksamkeit entfalten. Das heißt, sie sollen Forschungsergebnisse liefern, die im Interesse einer Neuentwicklung oder einer Dienstleistung des Geldgebers liegen.

Erkaufte Studienergebnisse

Die Zuckerindustrie förderte beispielsweise eine ganze Reihe von wissenschaftlichen Studien, die praktisch alle zu dem Ergebnis kamen, dass kein direkter Zusammenhang von Zuckerkonsum und Übergewicht besteht. Diese Aufsätze wurden alle in wissenschaftlichen Journalen platziert und sickerten so in das allgemeine wissenschaftliche Bewusstsein ein. Unabhängige Studien kamen jedoch zu genau gegensätzlichen Ergebnissen. Wissenschaftliche Studien zeigen zum Beispiel auch, dass Schokolade gut für die Gesundheit sein kann – veröffentlicht vom Mars-Lehrstuhl der Universität Kalifornien, mitfinanziert vom amerikanischen Süßwarenkonzern Mars Incorporated. Oder das Beispiel Kaffee: Wie Journalisten der Wochenzeitung Die ZEIT berichteten, gab es 2006 einen Zusammenschluss von Tchibo, Wissenschaftlern von vier Universitäten, dem Bundesforschungsministerium und der Deutschen Forschungsanstalt für Lebensmittelchemie, wodurch die Forschung über Kaffee sechs Jahre finanziell unterstützt wurde. Im April 2011 wurde dann eine Studie veröffentlicht, dass Kaffee gegen Schäden des menschlichen Erbguts helfen könne. Das Kaffeeunternehmen Tchibo schreibt daraufhin auf seiner Homepage „Studien beweisen: Kaffee ist gesund“. Über die Mitfinanzierung der Studie durch das Unternehmen erfährt der Kunde nichts. Denn am stärksten ist die Wirkung in der Öffentlichkeit, wenn nicht bekannt ist, dass die Wissenschaftler von der Industrie bezahlt werden, sondern scheinbar völlig unabhängig an öffentlichen Hochschulen arbeiten.

Heute verlangen viele wissenschaftliche Journale die Veröffentlichung solcher Industriebeziehungen. Allerdings gibt es immer wieder Fälle, in denen die Finanzierung von Studien verschwiegen wird. Außerdem verhindert die Offenlegung finanzieller Zuwendungen durch die Industrie nicht, dass diese meist sehr einseitigen und häufig manipulierten Aufsätze veröffentlicht werden und in der Öffentlichkeit Wirksamkeit entfalten. Die Übergänge vom Verbiegen der Ergebnisse zum Fälschen sind fließend. Manchmal werden die Ergebnisse so stark gebogen und manipuliert, dass es eigentlich schon handfeste Fälschungen sind. Oder aber negative Forschungsergebnisse werden erst gar nicht veröffentlicht. Häufig ist das Studiendesign bereits so angelegt, dass es eher Ergebnisse in der gewünschten Richtung liefert.

Zweifel streuen – Verwirrung stiften

Eine weitere Strategie der Industrie ist, gegenüber gewinnschädigenden unabhängigen Erkenntnissen Zweifel zu säen: Die Konzerne erzeugen durch gekaufte Forscher wissenschaftliche Daten und Ergebnisse, die eine scheinbare wissenschaftliche Skepsis schüren. Dadurch kommt es häufig zu stark widersprüchlichen Aussagen, so dass eine allgemeine Verunsicherung eintritt: „Exakt diese lähmende Ambivalenz ist der Zustand, in dem offenbar die Hersteller von Fastfood und Softdrinks nicht nur die Konsumenten, sondern auch Multiplikatoren wie Ärzte, Erzieher und Ernährungsberater, aber vor allem die Entscheidungsträger in der Politik gerne haben“, schreibt die FAZ. Aufgrund dieser bewussten Verunsicherung sowie durch direkte Lobbymaßnahmen können wirkungsvolle Gesetze wie Steuern auf Softdrinks und auf Zucker oder auf Werbung für zuckerhaltige Getränke wunderbar verhindert werden.

So lange keine belastbaren wissenschaftlichen Analysen mit abschließenden Ergebnissen vorliegen, können Behörden und Politiker schwerlich Gegenmaßnahmen ergreifen. Für die Hersteller ist das ein Segen. Jeder Tag Verzögerung bedeutet bares Geld für die Konzerne. Um von bestimmten gewinnschädigenden Einflussfaktoren abzulenken, wird auch die Strategie erfolgreich angewendet, auf Nebenfährten zu führen. Die Zuckerindustrie argumentiert beispielsweise mit hervorragend recherchierten wissenschaftlichen Studien, dass ein ganz wichtiger Grund für Übergewicht zu wenig Bewegung sei – und lenkt damit perfekt von der Ursache Zucker ab.

Bedenkliche Stiftungsprofessuren?

Unternehmen finanzieren darüber hinaus gerne sogenannte Stiftungsprofessuren. An deutschen Hochschulen gibt es mehr als 1000 davon. Sie sorgen dafür, dass sich ein Professor speziell mit dem von der Industrie gewünschten Gebiet beschäftigt. Um einseitiger Einflussnahme von Industrieseite vorzubeugen, gibt es Empfehlungen für die Einrichtung von Stiftungsprofessuren durch private Förderer vom industrienahen Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft. Diese sehen vor, dass Unabhängigkeit, Freiheit von Forschung und Lehre, Transparenz, Schriftform und Verzicht auf Beeinflussung gewährleistet sein sollen. An die Empfehlungen des Verbandes sind allerdings weder die empfangenden Hochschulen noch die Geldgeber gebunden. In vielen Fällen werden sie nicht eingehalten. Zwei prominente Beispiele dafür sind die beiden Großkooperationen von Bayer Healthcare mit der Universität Köln und der Boehringer Ingelheim Stiftung mit der Universität Mainz. Beide Kooperationsverträge wurden bis heute offiziell nicht veröffentlicht.

Auch bei der Veranstaltung von Wissenschaftskongressen wird stark darauf geachtet, wer eingeladen und besonders, wer nicht eingeladen wird. Wichtig ist, trotzdem den Anschein zu erwecken, dass Gremien und Kongresse scheinbar ein breites Spektrum der wissenschaftlichen Positionen widerspiegeln. 2004 wurde in Deutschland beispielsweise von der Bundesregierung die Plattform Ernährung und Bewegung (PEB) gegründet, um etwas gegen Übergewicht zu tun. PEB wurde sukzessive von Industrievertretern unterwandert, so dass mittlerweile einige seriöse Verbände wie der Verbraucherzentrale Bundesverband aus der Organisation ausgeschieden sind.

Forschung mit Staatsgeldern

Eine andere Form des Wissenschaftslobbyismus erweist sich als besonders problematisch. Die deutsche Bundesregierung stellte im Rahmen der Hightech-Strategie von 2009 bis 2013 insgesamt 23 Milliarden Euro Fördermittel für die Forschung zur Verfügung. Die deutschen Forschungsmittel verteilt maßgeblich das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). Wer entscheidet darüber, in welche Forschungsprojekte diese Mittel gesteckt werden? Wer legt die Forschungsagenden fest und setzt damit die Rahmenbedingungen für die Forscher, die sich am Ende um diese Mittel im Rahmen von Drittmittelprojekten bewerben? In den Entscheidungsgremien dominieren Wirtschaftsvertreter. Öffentliche Interessen beispielweise von Nichtregierungsorganisationen kommen so zu kurz. So geht es bei staatlich geförderten Forschungsprojekten im Ernährungsbereich – beispielsweise zum gesunden Altern wie NutriAct oder zu gesünderer Ernährung wie enable – stark darum, neue Lebensmittel zu entwickeln. Davon profitiert in erster Linie die Ernährungswirtschaft. Die Frage ist: Brauchen wir wirklich immer noch mehr hochverarbeitete Lebensmittel?

Einfluss der Industrie wächst

Die Einflussnahme durch Industrievertreter auf Forschungsagenden an deutschen Hochschulen wurde in den letzten Jahrzehnten immer stärker. Es ist zu befürchten, dass dieser Einfluss auch in der Zukunft steigen wird, wenn nicht politische Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Unternehmensvertreter sind primär den Gewinnen ihrer Anteilseigner verpflichtet, nicht dem Gemeinwohl. Dabei sollte man sich darüber im Klaren sein, dass die Konzentration beim Unternehmenseigentum in Deutschland sehr stark ist. Hierzulande kontrollieren 0,02 Prozent der Haushalte (eine Anzahl von 7700) über die Hälfte des deutschen Betriebsvermögens. Daher besteht die Gefahr, dass Partikularinteressen immer stärker Forschungsschwerpunkte an deutschen Hochschulen beeinflussen.

Unabhängige Forschung sichern

Im Ergebnis zeigt sich, dass wissenschaftliche Forschung von zwei Seiten her zunehmend von Geldinteressen beeinflusst wird: durch direkte Zahlungen der Industrie an Hochschulen und Hochschulforscher sowie durch Einflussnahme von Industrielobbyisten auf staatliche Forschungsförderung und Forschungsschwerpunkte. Auch ein Blick in die Hochschulräte zeigt eine starke Dominanz von Industrievertretern gegenüber anderen gesellschaftlichen Interessenvertretern. Man könnte diesen Entwicklungen Einhalt gebieten, indem man die Grundfinanzierung der Hochschulen verbessert. Die Bundesregierung könnte zum Beispiel 1,4 Mrd. Euro direkt an die Hochschulen überweisen statt indirekt über Drittmittelprojekte. Das ist in etwa die Summe, die jährlich in Form von Stiftungsprofessuren und anderen Zuwendungen direkt von der Wirtschaft an die Hochschulen fließt. Der Betrag ist nur ein kleiner Teil der jährlich für die Hightech-Strategie ausgegebenen Mittel. Dieser Betrag würde bereits ausreichen, um sämtliche direkte Geldzuflüsse aus der Industrie an Hochschulen und die damit verbundenen Einflussmöglichkeiten einzustellen.

Ferner sollten in Gremien wie Hochschulräten, die Regierungsstellen beraten oder über öffentlich-rechtliche Belange entscheiden, die außerakademischen Vertreter nicht ausschließlich oder mehrheitlich aus der Industrie kommen. Wichtig ist, dass möglichst viele Interessen aus der Gesellschaft repräsentiert werden, sodass eine stärkere Balance der gesellschaftlichen Kräfte hergestellt wird. Dadurch könnte wissenschaftliche Verantwortung wieder dorthin zurückdelegiert werden, wohin sie eigentlich gehört: Zu unabhängigen Wissenschaftlern statt zu kapitalkräftigen Geldgebern.

Quelle: Kreiß C. UGBforum 3/17, S. 113-116