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EU-Agrarpolitik und der Welthunger

Die Agrarpolitik der EU hat entscheidenden Einfluss auf die Weltmarktpreise. Jahrelange Subventionen haben vor allem den Kleinbauern in Afrika geschadet. Nun geht die Diskussion über die Gestaltung der gemeinsamen Agrarpolitik ab 2014 in eine neue Runde.

Welternaehrung

Eine Studie von Misereor hat die Zusammenhänge zwischen der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der EU und der ländlichen Entwicklung und Armutsbekämpfung vor allem in Afrika beleuchtet. Dabei wird deutlich, dass der Aufstieg der EU zum Exporteur wichtiger Grundnahrungsmittel entscheidend zum Verfall der Weltmarktpreise beigetragen hat. Dies führte dazu, dass die Regierungen vieler afrikanischer Länder die kleinbäuerliche Landwirtschaft und die Produktion von Grundnahrungsmitteln vernachlässigt haben und so zunehmend abhängig von Importen wurden. Vor dem Hintergrund wachsenden Hungers und instabiler Weltmärkte diskutiert die EU nun, wie sie ihre gemeinsame Agrarpolitik ab 2014 gestaltet. Agrarindustrie und große Bauernverbände setzen dabei weiter auf eine Orientierung an den Weltmärkten und hoffen auf größere Exportchancen vor allem verarbeiteter Lebensmittel.

Vorsichtige Ansätze zur Ökologisierung

Die Anfang der 1990er Jahre begonnenen und seitdem schrittweise weitergeführten Reformen der GAP haben die Probleme, die die EU auf den Weltmärkten verursacht, etwas reduziert, aber keineswegs beseitigt.
Der Landwirtschaftskommissar der Europäischen Union, Dacian Ciolos, strebt nun eine grundlegende Reform der GAP an. Der Reformvorschlag setzt am mit Abstand größten Ausgabenposten der GAP an: Den Direktzahlungen an die Landwirte, die pro Hektar bewirtschafteter Fläche gezahlt werden. Deren Höhe orientiert sich letztlich noch an den Ausgleichszahlungen, die den Landwirten für die bei der ersten GAP-Reform 1992 vorgenommenen Preissenkungen gewährt wurden. Durch die Bindung an die Anbaufläche profitieren vor allem große Betriebe. Zudem verursacht oder verschärft die so geförderte Landwirtschaft viele Probleme im Umweltschutz und in der ländlichen Entwicklung. Stichworte sind die Nitratbelastung des Trinkwassers, der anhaltende Artenschwund und ein signifikanter Beitrag zum Klimawandel.

Die Kommission will daher eine Obergrenze für die Direktzahlungen pro Betrieb einführen, und sie stärker an ökologische Bedingungen binden. Dies würde einen grundlegenden Paradigmenwechsel der Agrarpolitik darstellen, auch wenn die Vorgaben so niedrig gewählt wurden, dass die meisten Betriebe sie schon heute einhalten. Ist das Prinzip, dass Zahlungen vom Umweltverhalten der Landwirte abhängen, erst einmal durchgesetzt, können die ökologischen Kriterien weiter angehoben werden – so zumindest die Hoffnung der Kommission.

Beispiel Schweinefleisch

2009 wurden weltweit über 100 Millionen Tonnen Schweinefleisch produziert. In den ersten neun Monaten 2010 konnte in Deutschland der Export von Schweinefleisch um 21 Prozent gesteigert werden. Gute Nachrichten für die Ernährungsindustrie, schlechte für die Bauern außerhalb von Europa. So ist die Elfenbeinküste in den letzten zehn Jahren mehrfach durch massive Importfluten von Schweinefleischresten aus der EU heimgesucht worden: Die jährlich importierte Menge stieg zwischen 2000 bis 2009 von 5.000 auf 35.000 Tonnen, während zugleich die lokale Produktion um 60 Prozent einbrach. Nach Recherchen des Evangelischen Entwicklungsdienstes (EED) war 2008 auf Kameruns Märkten tief gefrorenes Schweinefleisch aus Europa für einen Euro pro Kilogramm zu finden, während frische, lokale Ware mehr als das Doppelte kostete. Der EED schätzt, dass durch die EU-subventionierte Schweinemast in Afrika Arbeitsplätze von 210.000 Menschen verloren gingen.

Entwicklungsverträgliche Politik: Fehlanzeige

Entwicklungspolitische Erwägungen spielen im Kommissionsvorschlag keine Rolle. Nach Ansicht der Kommission sind die wesentlichen Probleme in diesem Bereich gelöst, seit die Exportsubventionen von über zehn Milliarden Anfang der 1990er auf aktuell etwa 160 Millionen Euro reduziert wurden. In der Tat spielen EU-Exporte für wichtige Produkte wie Rindfleisch, Zucker und Getreide heute eine viel geringere und weniger problematische Rolle als damals. Gerade bei Milchprodukten, Geflügel- und Schweinefleisch ist die EU allerdings weiter ein wichtiger Exporteur, sogar mit steigender Tendenz, da die Produktion bei stagnierendem Binnenverbrauch ansteigt. Die Exporte, vor allem von Milchpulver und Hühnerfleisch, gehen zu einem bedeutenden Teil auch in ärmere Entwicklungsländer, vor allem nach Westafrika. Sie verringern die Chancen der überwiegend kleinbäuerlichen Produzenten, die die dort wachsenden städtischen Märkte beliefern könnten.

In den Vorschlägen der Kommission wird auch nirgends problematisiert, dass der zunehmende Export tierischer Produkte nur durch weiter steigende Futtermittelimporte – vor allem Sojaschrot – möglich ist. Gerade die zunehmend intensive Produktion von Geflügel und Schweinen nimmt zu, die einen hohen Bedarf an Eiweißfutter haben. Auch Kühe mit hohen Milchleistungen sind auf eiweißreiches Kraftfutter angewiesen.
Um die steigende Nachfrage aus Europa (und Asien) zu decken, wird der Sojaanbau vor allem in Südamerika kontinuierlich ausgebaut – mit oft hoch problematischen ökologischen und sozialen Folgen: Kleinbauern werden von ihrem Land vertrieben und ökologisch wertvolle Wald- und Grasflächen umgebrochen.

Seit dem Anstieg der Weltmarktpreise für Grundnahrungsmittel und der dadurch deutlich werdenden Knappheit an Produktionsfaktoren – vor allem Land und Wasser – tritt ein anderer negativer Aspekt der Sojaschrotimporte stärker in den Vordergrund: Im Jahr 2007 nahm die Produktion von Sojabohnen für den europäischen Markt Flächen in Anspruch, die etwa einem Drittel der Ackerfläche in der EU entsprechen. Die europäische und deutsche Soja-Nachfrage kommt damit zunehmend in Konflikt mit dem Anbau von Nahrungsmitteln für die wachsende Weltbevölkerung.

Beispiel Geflügelfleisch

Die Geflügelfleischexporte der EU stiegen von Januar bis Juli 2010 um über 20 Prozent auf mehr als 660.000 Tonnen. In Afrika landen überwiegend Teile wie Flügel und Beine, die in der EU kaum nachgefragt werden, die aber mit den beliebten Brustfilets mitproduziert werden. Da sich die Produktionskosten in der Regel durch den Verkauf der erwünschten Teile decken lassen, können die übrigen zu extrem niedrigen Preisen exportiert werden – die kostenpflichtige Entsorgung wäre in jedem Fall teurer. Damit sind die EU-Exporte auch ohne Exportsubventionen konkurrenzlos billig. Fast zehn Prozent der EU-Hühnchenfleisch-Exporte (62.400 Tonnen) landen auf den Märkten im afrikanischen Benin. Dessen Importe sind allein 2010 um über 40 Prozent gestiegen. Anzunehmen ist, dass die gefrorenen Hühnchenteile auch in die Nachbarländer Niger, Nigeria und Burkina Faso gelangen. Der Geflügelexport nach Afrika hatte sich bereits zwischen 1996 und 2009 mehr als vervierfacht und die lokale Produktion fast zum Erliegen gebracht. Die kleinen lokalen Händler kommen gegen die Billigkonkurrenz aus Europa nicht an.

Intensive Tierhaltung nicht erfasst

Viele intensive Tierhaltungsbetriebe bewirtschaften kaum noch eigene Flächen und wären daher von ökologischen Auflagen für die Flächenprämien, die die Reform der GAP vorsieht, fast nicht betroffen. Auch bezüglich der importierten Agrarprodukte, einschließlich der Sojaimporte für Futtermittel, gibt es keine Ansätze, die Probleme, die aus dem Anbau von Soja für den europäischen Markt entstehen, anzugehen.
Im Gegenteil plant die Kommission sowohl die Exportsubventionen als auch Investitionsbeihilfen, die überwiegend für Stallbauten eingesetzt werden, im agrarpolitischen Instrumentenkasten zu behalten. Steigende Exporte von Fleisch und Milch sieht die Kommission auch nicht als Problem, sondern als begrüßenswerte Entwicklung. Exportsubventionen sollen dazu genutzt werden können, „einen angemessenen Anteil der EU am Weltagrarhandel zu sichern.“ Investitionsbeihilfen werden grundsätzlich an alle Betriebe vergeben, obwohl das Agrarabkommen der World Trade Organization (WTO) eigentlich vorschreibt, dass nur Investitionen von benachteiligten Betrieben gefördert werden dürfen.

Nachteile für Afrika

Wird zunehmend auf den Export verarbeiteter Produkte gesetzt und als neue Märkte dafür Schwellen- und Entwicklungsländer erschlossen, kann das in Zukunft womöglich die entwicklungspolitischen Probleme noch verschärfen. Die wachsenden städtischen Mittelschichten in Afrika und Asien können einen wichtigen Markt für die Landwirtschaft aus dem jeweiligen Land oder der Region darstellen. Dazu ist es allerdings notwendig, dass sich entsprechende regionale Wertschöpfungsketten entwickeln, die die regional erzeugten Rohstoffe in verbrauchsfertige Lebensmittel weiterverarbeiten. Findet diese Weiterverarbeitung in Mühlen, Bäckereien, Molkereien und Schlachthöfen dort statt, wo auch die Rohstoffe erzeugt werden, bietet dies große Chancen zur ländlichen Entwicklung.
Das neue Konzept des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) zielt genau in diese Richtung und will den ländlichen Raum fördern. Für diese Strategie ist es problematisch, wenn die sich gerade entwickelnden Unternehmen auf ihren Absatzmärkten auf die Konkurrenz von europäischen Fertigprodukten treffen. Je nachdem wie groß und dynamisch die nationalen Märkte sind und sich entwickeln, kann diese indirekt geförderte Konkurrenz die Chancen für die Entwicklung nationaler Wertschöpfungsketten behindern oder ganz verbauen.

Nächster Reformschritt nötig

Vor allem in Afrika stellt sich darüber hinaus das Problem, dass in der europäischen Tierproduktion, in wachsendem Umfang essbare „Abfälle“ entstehen. Also Teile, für die in der EU nur geringe Nachfrage besteht wie Beine, die aber notwendigerweise mit den gefragteren Teilen wie Filetstücken mitproduziert werden. Im nächsten Reformschritt der GAP muss daher die internationale Verantwortung von vornherein als grundlegendes Ziel definiert und in der Gestaltung der Instrumente ausdrücklich berücksichtigt werden. Dabei sollte die EU sich eindeutig zum Vorrang des Rechts auf Nahrung bekennen und die Sicherung der Welternährung und die ausgeglichene Entwicklung der Weltagrarmärkte als Ziele benennen. Um eine weitere Verzerrung der Weltmarktpreise durch die GAP zu vermeiden, muss sicher gestellt werden, dass die Erzeugerpreise in der EU die vollen Produktionskosten widerspiegeln.

Alle Exporterstattungen müssen abgeschafft und als Rechtsins­trument aus den Marktordnungen gestrichen werden. Die EU muss vor allem im Agrarbereich von ihrer handelspolitischen Strategie Global Europe Abstand nehmen, die einseitig auf eine umfassende Marktöffnung für europäische Güter, Dienstleistungen und Investitionen abzielt. Insbesondere die Spielräume von Entwicklungsländern zur Umsetzung sozialer Menschenrechte und zum Umweltschutz dürfen nicht beschränkt werden. Dazu gehört auch die Möglichkeit, dass sie ihre Agrarmärkte vor Billigimporten schützen können.

Literatur:
Bischöfliches Hilfswerk MISEREOR e.V. (Hrsg). Wer ernährt die Welt? Die europäische Agrarpolitik und Hunger in Entwicklungsländern, Studie, Aachen 2011, www.misereor.de

Quelle: Reichert, T. UGB-FORUM 3/12, S. 113-116
Foto: Flitner/Misereo