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Bio – jetzt erst recht

Beinahe monatlich kommen neue Lebensmittelskandale ans Licht. Mal sind es mit Dioxin verunreinigte Eier oder verdorbenes Fleisch, mal sind es pestizidverseuchte Gemüse oder illegaler Genreis. Oft schaffen die unüberschaubaren Strukturen der Lebensmittelwirtschaft den Boden für die Skandale. Kann Bio uns davor schützen?

Die Produktion von Lebensmitteln ist längst ein globaler Prozess. Mit Hilfe von Gentechnik streben internationale Agrochemie- Konzerne danach, die landwirtschaftlichen Erträge in die Höhe zu schrauben – trotz gewaltiger Überschüsse in der EU. Getreide, Obst, Gemüse und Tierfutter werden quer durch die Welt transportiert, weil sie woanders billiger und zu jeder Jahreszeit zu haben sind.

Riesige Agrarfabriken erzeugen Eier, Fleisch und Milch, da die Massenproduktion den größten Profit abwirft. Die Rohstoffe werden in Großmolkereien und riesigen Schlachthöfen mit computergesteuerten Produktionsabläufen zu Lebensmitteln verarbeitet, denn die automatisierte Fabrikation spart Personal. Die Erzeugnisse landen schließlich in den Supermärkten ganz Europas. Unappetitlich werden diese Handels- und Produktionsströme spätestens dann, wenn Kontrollen Pestizid- und Medikamentenrückstände entdecken, dioxin- oder gentechnisch verunreinigte Lebensmittel ans Licht kommen oder BSE- und Gammelfleisch publik werden.

Genfuttermix für Turbokühe

Nicht ohne Grund sind in den letzten 20 Jahren vor allem in der Produktion tierischer Lebensmittel immer wieder eklatante Missstände aufgedeckt worden. Weil immer weniger Bauern immer mehr und immer billiger produzieren müssen, damit ihr Betrieb überlebt, versuchen sie aus den Tieren maximale Leistung bei minimalem Input herauszuholen. Damit eine Kuh 8000 oder 10.000 Kilo Milch im Jahr produziert, braucht sie mehr als nur Gras und Heu. Denn das enthält nicht genug Energie für die Turbotiere. Auch Schweine, Ochsen oder Masthähnchen bekommen industriell gefertigtes Kraftfutter vorgesetzt, damit das Schlachtgewicht schneller erreicht und der Weg zum Schlachthof eher angetreten werden kann. Weit über 300 Millionen Tonnen Futtermittel vertilgen die Nutztiere in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union. Nicht einmal die Hälfte davon stammt vom eigenen Hof der Bauern. Einige Betriebe – vor allem die großen Massentierhalter – stellen überhaupt keine eigenen Futtermittel her, sind also zu 100 Prozent auf den Fremdeinkauf angewiesen. Viele dieser Fleischfabriken verfügen über keine landwirtschaftlichen Nutzflächen mehr, können also gar kein eigenes Futter anbauen.

So ist ein riesiger Markt für die Hersteller und Vertreiber von Futtermitteln entstanden. Nicht mehr aus der Region, sondern aus allen Ecken der Welt werden die Stoffe herangekarrt. Ob es sich dabei um gentechnikfreies Futter handelt, wollen die meisten Futtermittelhersteller nicht garantieren. Sie argumentieren, dass eine Trennung unmöglich sei, da die Importe von Futtersoja überwiegend aus Argentinien oder den USA stammen, wo das Soja zum großen Teil gentechnisch verändert ist. Für Bauern ist es schwierig und mit Mehrkosten verbunden, wenn sie gentechnikfreies Futter einkaufen. Zumal erst seit April 2004 auch für Futtermittel mit gentechnischen Bestandteilen eine Kennzeichnungspflicht besteht. Erst im Frühjahr 2006 hat sich das Raiffeisen-Kraftfutterwerk in Würzburg dem Druck bäuerlicher Erzeugergemeinschaften gebeugt und bietet nun als erstes Werk des Raiffeisen-Konzerns komplett gentechnikfreie Tiernahrung an. Eine Trendwende in der Konzernpolitik bedeutet dies jedoch nicht. Nach wie vor sieht Raiffeisen die Zukunft in der Gentechnik und betrachtet das Werk in Würzburg lediglich als Geschäftsmodell, das eine kleine Marktnische bedient.

Katastrophe für die Umwelt

Moderne Hochleistungsfuttermittel sollen nahrhaft und günstig sein. Das Ergebnis ist vorprogrammiert: Zunächst sucht jeder Futtermittelhersteller nach den billigsten Basisstoffen für den Kraftmix – und zwar weltweit. Besonders wichtig sind in diesem Cocktail die Eiweiße, also Proteine. Natürlich könnte man entsprechende Futterpflanzen auch auf unseren Äckern anbauen. Das wäre gut für die Böden, die Fruchtfolge, das Landschaftsbild und die Natur. Doch in der Regel ist es billiger, Eiweißprodukte wie Soja zu importieren. Mit riesigen Schiffen kommen die Produkte aus den USA und Südamerika, werden an den Nordseehäfen in Rotterdam oder in Brake an der Unterweser angelandet, in großen Mühlen mit anderen Produkten zu Mischfuttermitteln vermengt und anschließend verkauft.
Dass sich die Tierhaltung in Holland oder im Oldenburgerland und Münsterland konzentriert, hat auch damit zu tun, dass hier die Wege vom Hafen bis zum Mäster kurz sind. Bei dieser Form der Massentierhaltung entstehen aber nicht nur Fleisch, Milch und Eier. Zusätzlich fällt jede Menge natürlicher Abfall an. Die Gülle und die darin enthaltenen Nährstoffe werden natürlich nicht an den Ort zurückgebracht, wo sie mit der Ernte der Futterpflanzen dem Boden entnommen worden sind und wieder benötigt werden. Dort müssen vielmehr synthetische Düngemittel ausgebracht werden. Bei uns jedoch, wo die Gülle und der Mist der Tiere zuhauf anfallen, gibt es riesige Nährstoffüberschüsse, die das Grundwasser belasten. Brunnen müssen geschlossen werden, weil das Wasser mit Nitrat verseucht ist. So bringt die landwirtschaftliche Massenproduktion das ökologische Gleichgewicht aus der Balance.

Das ganze System hat versagt

Je mehr Tiere in der Massenproduktion heranwachsen, desto mehr werden geschlachtet und umso höher wächst der Berg der Schlachtabfälle. Statt diese zu verbrennen, hatten die Schlachthöfe früher eine lukrative Möglichkeit, die Abfälle zu entsorgen. Unternehmen holten die Abfälle ab und verarbeiteten sie zu Tiermehl, das dann dem Tierfutter beigemischt wurde. Daraus resultierte letztlich Ende der 90er Jahre der BSE-Skandal. Vermutlich konnte sich der BSE-Erreger deshalb ausbreiten, weil man auch an Wiederkäuer, also an Pflanzenfresser, verseuchtes Tiermehl über das Kraftfutter verfütterte. Das war zwar illegal, aber billig. Hinzu kam, dass Tiermehlhersteller aus Kostengründen die zur Sterilisation notwendige Kochtemperatur und den Kesseldruck verbotenerweise herabsetzten und ein Lösungsmittel wegließen. Dieses kriminelle Vorgehen forcierte den Skandal noch zusätzlich.Wie problematisch die Abfallbeseitigung über Tierfutter ist, zeigt nicht nur die BSE-Krise. In Belgien mischten Futtermittelhersteller 1999 dioxinverseuchte Fette in ihre Produkte. Zwei Fettschmelzen hatten Fette aus Transformatorenöl, Frittierfett sowie Schlachtabfällen gewonnen. Das Dioxin-Futter war an Tausende von Hühnerfarmen, Schweinemäster und Rinderzüchter verkauft worden. Eine parlamentarische Untersuchungskommission in Belgien kam später zu dem Ergebnis: "Die Verantwortung liegt bei allen. Das ganze System hat versagt." Zur Rechenschaft gezogen wurde niemand. Die Verfütterung von Tiermehl wurde in der EU schließlich gänzlich verboten. Schlachtabfälle oder altes Fleisch dürfen inzwischen also nicht mehr an Futtermittelhersteller abgegeben werden, sondern müssen entsorgt werden. Das kostet Geld. Windige Geschäftsleute haben dafür eine Lösung gefunden. Sie kaufen Schlachtabfälle oder Fleisch auf, dessen Haltbarkeit fast abgelaufen ist. Der Altbesitzer ist es los, bekommt sogar noch Geld, statt für die Entsorgung bezahlen zu müssen. Der skrupellose Neubesitzer bringt es umetikettiert wieder auf den Markt. Wir wissen längst, dass nicht alles Gammelfleisch entdeckt wird. Der Magen des Menschen wird, nachdem der der Tiere ausfällt, zur Abfallgrube.

Deutschland spitze bei Pestizidrückständen

Rund 800 verschiedene chemische Pflanzenschutzmittel werden in Europa eingesetzt. Für nur etwa jedes zehnte Pestizid gibt es gemeinsame Grenzwerte auf EU-Ebene, für die anderen können die nationalen Behörden Höchstmengen festlegen. Für ihren im Herbst 2006 veröffentlichten Monitoring Report hat die EU-Kommission über 60.000 Lebensmittelproben auf Pestizidrückstände untersucht. In knapp 45 Prozent der Proben ließen sich chemische Pflanzenschutzmittel nachweisen – mehr als jemals zuvor. 4,7 Prozent lagen sogar über den zulässigen Grenzwerten. Am häufigsten betroffen waren Erdbeeren, Äpfel und Kopfsalat. In jedem vierten Produkt fanden sich gleich mehrere Pestizide. Die Belastungen haben damit den Höchststand seit dem Start des Monitorings im Jahr 1996 erreicht. In Deutschland wiesen sogar 62 Prozent des verkauften Obstes und Gemüses Pestizidörückstände auf. 8,2 Prozent lagen über den gesetzlich erlaubten Höchstmengen. Damit stehen deutsche Lebensmittel zusammen mit niederländischen europaweit an der Spitze.

Eigentlich sollte das von Bund und Ländern 2004 gestartete Reduktionsprogramm chemischer Pflanzenschutz die Überschreitungen von Höchstmengen von acht auf ein Prozent senken. Eine Umsetzung des noch von der grünen Landwirtschaftsministerin Renate Künast initiierten Programms steht bislang aber aus. So bleibt für die Verbraucher nur, mit dem Warenkorb zu entscheiden und zu Bioprodukten zu greifen. Denn im ökologischen Landbau sind synthetische Pflanzenschutzmittel untersagt. Bioware ist zwar nicht frei von Pestizidbelastungen, da es durch Nachbarfelder, Transport und Lagerung zu Verunreinigungen kommen kann. Sie enthalten jedoch nach Untersuchungen des Bundesverband Naturkost Naturwaren (BNN) wesentlich seltener Spuren von Rückständen (11 Prozent). Im letzten Jahr überschritt nicht ein einziges untersuchtes Bio-Lebensmittel die zulässigen Grenzwerte, obwohl der BNN gezielt problematische Produkte wie Weintrauben untersuchte. Ziel der Biobauern ist es, widerstandsfähige Pflanzen auf geeigneten Böden zu züchten und durch eine zweckmäßige Fruchtfolge und Bodenbearbeitung auf chemische Mittel zu verzichten. Das kommt nicht nur den Verbrauchern zu Gute, die Biolebensmittel kaufen, sondern auch der natürlichen Tier- und Pflanzenwelt in unseren Kulturlandschaften.


Ökologisch und regional ist erste Wahl

Im Gegensatz zu den globalen Verflechtungen in der Massenproduktion setzen Biobauern auf eine Kreislaufwirtschaft. Sie erzeugen das Futter für ihre Tiere auf den eigenen Flächen weitgehend selbst, statt riesige Mengen Kraftfutter dazuzukaufen. Gülle und Mist der Tiere müssen sie nicht als Abfall entsorgen, sondern bringen sie direkt wieder als wertvolle Bodennährstoffe in die Kreislaufwirtschaft ein. In Biobetrieben brauchen Hühner nicht unter automatisiertem Tageslicht ohne Unterlass Eier legen oder Schweine in kürzester Zeit mit dem optimalen Kraftfuttermix ihr Schlachtgewicht erreichen. Auf Biohöfen haben die Tiere Zeit zu wachsen. Ferkel und Kälber können nach der Geburt länger bei den Muttertieren aufwachsen. Rinder bekommen im Sommer Auslauf auf der Weide, Hühner können im Freilauf nach Körnern scharren und Schweine sich nach Lust und Laune im Dreck suhlen.
Dass Milch, Eier und Fleisch dieser Tiere besser schmecken als die Massenware aus den Fleischfabriken ist nicht der einzige Vorteil. Auch Rückständen von Antibiotika und anderen Wachstumsförderern gehen Biokunden aus dem Weg. Sicher ist auch die Biobranche nicht immun gegen kriminelle Machenschaften Einzelner. Das haben die Nitrofenfunde von 1999 gezeigt, als in Biobetrieben bei der Lagerung verunreinigtes Getreide verfüttert wurde. Doch ist das System – anders als in der industriellen Agrarproduktion – grundsätzlich auf eine regionale Kreislaufwirtschaft ausgerichtet. Zumindest die Biobetriebe, die nach den Richtlinien der ökologischen Anbauverbände wirtschaften, stellen dieses Prinzip in den Vordergrund (siehe S. 6). Zusätzlich ermöglichen überschaubare Handelsstrukturen die Rückverfolgbarkeit der Warenströme. Und nicht zuletzt verschaffen die Selbstkontrollen der Anbauverbände ein Maximum an Sicherheit.

Direkten Kontakt zum Erzeuger suchen

Als Verbraucher können wir eine naturangepasste und qualitätsorientierte Wirtschaftsweise zusätzlich unterstützen, indem wir Bioprodukte entsprechend der Jahreszeit von regionalen Erzeugern kaufen. Gerade der direkte Kontakt zu Bauern, Biobäckern oder -metzgern schafft Vertrauen. Überzeugen Sie sich doch einmal persönlich bei einem Besuch in einem ökologischen Betrieb von den Produktionsbedingungen. Wer weiterhin bedenkenlos die Massenprodukte in Supermärkten und Discountern kauft und jedem Billigangebot hinterherhechelt, darf sich nicht wundern, wenn morgen der nächste Lebensmittelskandal Schlagzeilen macht.

Quelle: Ribbe, L.; Weigt, S.: UGB-FORUM 1/07 S. 13-16

Aktuelle Informationen zum Thema Bio-Produkte erhalten Sie auch auf dem Symposium Im Fokus: Functional Food, Alkohol und Kaffee, Bioqualität, Vegetarismus", 24.- 26. September 2010 in Edertal