UGB-Tagung

Nährstoffe im Fokus

Sollten Senioren mehr Eiweiß aufnehmen? Ist Folsäure im Mehl sinnvoll? Brauchen wir eine Extraportion Vitamin D? Auf diese und viele weitere Fragen rund um die Nährstoffzufuhr bekamen etwa 400 Ernährungsfachkräfte vom 05. bis 06. Mai 2006 in Gießen kompetente Antworten.

Bislang waren Empfehlungen für die Nährstoffzufuhr hauptsächlich darauf ausgerichtet, Erkrankungen zu vermeiden. Prof. Helmut Heseker berichtete, dass inzwischen die optimale Gesundheitsvorsorge als Ziel gilt. Welche Mengen dabei tatsächlich präventiv wirken, ist in vielen Fällen aber noch unklar. Durch unkontrollierte Anreicherungen wird schnell zu viel eines Nährstoffs aufgenommen, so dass es mittlerweile für die meisten Nährstoffe Upper limits (UL), also Höchstmengenempfehlungen gibt. Mit Nahrungsergänzungsmitteln und angereicherten Lebensmitteln können diese durchaus überschritten werden, warnte der Experte.

Prof. Dr. Helmut Heseker warnte davor, mit
hochdosierten Nahrungsergänzungen die
Höchstmengenempfehlungen zu überschreiten.

Manchmal ist mehr sinnvoll

Nährstoffempfehlungen werden auf der Basis von gesunden Menschen berechnet. Danach ist die Bevölkerung im Schnitt gut mit Protein versorgt, teilte Dr. Marion Flechtner-Mors von der Universität Ulm mit. Für Senioren könnte es aber sinnvoll sein, den Anteil an Protein in der Kost zu steigern, um den Muskelabbau im Alter aufzuhalten. Eine proteinreiche Diät zur Gewichtsreduktion hat den Vorteil, dass mehr Körperfett abgebaut und die fettfreie Masse, also auch Muskeln, besser erhalten bleiben als bei einer fettarmen Diät. Ein höherer Proteinanteil sollte möglichst über pflanzliches Protein, beispielsweise Hülsenfrüchte erreicht werden. Dr. Ute Brehme setzte die Fettzufuhr auf die Anklagebank und machte die Tagungsteilnehmer zu ihren Geschworenen. Einer der Anklagepunkte lautete: Zu viel Fett macht dick. Anhand einer Metaanalyse mit insgesamt 12.000 Probanden hieß der Schuldspruch: Je höher der Fettanteil in der Nahrung, desto höher auch die Gewichtszunahme. Mit einem moderaten Fettanteil von 24 Energieprozent gepaart mit viel Bewegung lässt sich Adipositas wirksam vorbeugen, unabhängig von der Zusammensetzung des Fettes. Diese spielt aber eine entscheide Rolle für die Zellmembranen. Denn ein großer Teil der Omega-3-Fettsäuren wird vom Körper unverändert aufgenommen und in die Zellmembranen eingebaut. In diesem Bereich ist der Mensch tatsächlich, das was er isst, erläuterte Ernährungswissenschaftlerin Christiane Pithan von den Kliniken Essen-Mitte. Die ungesättigten Fettsäuren spielen unter anderem für das Entzündungsgeschehen im Körper eine große Rolle. Medizinisch optimal behandelte Patienten mit koronarer Herzkrankheit profitierten allerdings nicht von einem hohen Anteil an Omega-3-Fettsäuren in ihrer Kost, wie die Safe-Life-Studie herausfand. Um dieser Erkrankung vorzubeugen, ist es dennoch sinnvoll, den Anteil an Omega-3-Fettsäuren in der Nahrung zu erhöhen. Pithan empfahl, beispielsweise mehr Rapsöl und Walnüsse zu verzehren.

In den Pausen brachte UGB-Bewegungstrainerin
Bettina Kowalski die Teilnehmer auf Trapp.

Vitamin-D-Mangel häufig bei Senioren

Der Zusammenhang zwischen Homocystein, B-Vitaminen und dem Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist weniger eindeutig, als bisher angenommen, klärte Dipl. oec. troph. Birgit Schmitt vom Institut für Lebensmittelwissenschaft der Uni Hannover auf. Zwar geht eine folsäurereiche Ernährung mit einem verminderten Risiko einher. Offen bleibt aber, ob das tatsächlich auf den Homocystein senkenden Effekt der Folsäure zurückzuführen ist oder aber die Höhe der Folsäure lediglich einen Indikator für eine insgesamt gesündere Ernährung darstellt. Für stabile Knochen spielt neben Calcium vor allem Vitamin D eine herausragende Rolle. Insbesondere ältere Menschen in Altenheimen sind schlecht mit dem fettlöslichen Vitamin versorgt, sagte Dr. Parvis Farahmend vom Klinikum Leverkusen. Denn zum einen lässt die Vitamin-D-Bildung in der Haut im Alter deutlich nach. Zum anderen reicht hierzulande von Oktober bis Mai die Sonneneinstrahlung nicht aus, um ausreichend Vitamin D in der Haut zu bilden. Sonnenschutzmittel mit Lichtschutzfaktor 8 blockieren die Vitaminsynthese in der Haut komplett. Der Knochenspezialist rät insbesondere Senioren daher zu einer Vitamin-D-Supplementierung.

Aufklärung vor Anreicherung

Wer sie braucht nimmt sie nicht und wer sie nimmt, braucht sie nicht. Dieses Fazit zog Dipl. oec. troph. Olaf Hülsmann aus Hannover. Er kritisierte, dass Nahrungsergänzungsmittel bei ihrer Zulassung nicht daraufhin überprüft werden, ob sie überhaupt sinnvoll sind. Gleichzeitig warnte er vor bedenklichen Konzentrationen einzelner Nährstoffe durch unkontrolliert angereicherte Lebensmittel. Gerade Kinderlebensmittel sind massiv mit zusätzlichen Nährstoffen versetzt. Problematisch ist auch, dass der Markt mit unzähligen dubiosen Mitteln überschwemmt wird. Von "Lebenspulver mit Sofort-Effekt" über "Sorgenfrei-Tees" bis zu Haifischknorpel-Extrakten reciht die Palette, mit der sich Lebensmittelchemiker Helmut Streit vom Landesuntersuchungsamt aus Mainz auseinandersetzen muss. Dabei wird seiner Ansicht nach der Handel aus den USA und Drittländern gut kontrolliert, innerhalb der EU jedoch fast gar nicht. Die Niederlande gelten als Hauptlieferant für unzulässige Nahrungsergänzungsmittel. Es lohnt sich also, die Herkunft eines Präparates zu beachten.

Helmut Streit vom Landesuntersuchungsamt aus Mainz
berichtete über die betrügerischen Machenschaften auf dem
Markt der Nahrungsergänzungsmittel.

Tief in die Biochemie des Eisenstoffwechsels stieg Prof. Dr. Gisela Jacobasch ein. Dass zu wenig Eisen nicht immer schädlich ist, zeigte der Hinweis, dass mindestens eine Milliarde Menschen weltweit einen Eisenmangel aufweisen, zugleich aber eine geringere Infektanfälligkeit. Sie plädierte dafür, im Zweifel kein Eisen zu supplementieren, da sonst die Radikalbildung forciert wird. Das gilt insbesondere für Krebs-, Rheuma- oder HIV-Patienten. Wenig sinnvoll ist auch eine weitere Anreicherung von Lebensmitteln mit Jod. Denn bereits seit 1999 ist die deutsche Bevölkerung im Durchschnitt adäquat mit Jod versorgt, berichtete Dipl. oec. troph. Claudia Arnold. Neben dem Einsatz von Jodspeisesalz hat die Anreicherung der Futtermittel zu einem deutlichen Anstieg des Jodgehalts der Muttermilch geführt. Mittlerweile nehmen gestillte Babys deutlich mehr Jod auf, als die DGE empfiehlt.

Natürliche Antioxidanzien wirken effektiver

Dass Gemüse, Obst und Vollkorn das Risiko für Herz- Kreislauf-Erkrankungen verringern, beruht größtenteils auf den enthaltenen Antioxidanzien. Isolierte Substanzen können da nicht mithalten, schilderte Dr. Bernhard Watzl von der Bundesforschungsanstalt für Ernährung in Karlsruhe. So wirkt die Schale eines Apfels genauso antioxidativ wie 820 mg pures Vitamin C. Eine Nahrungsergänzung mit Antioxidanzien hält der Ernährungsforscher daher für Unsinn - mit Ausnahme von Selen. Aufgrund der selenarmen Böden in Europa waren 40 Prozent der Seniorinnen einer Studie nur mäßig mit dem antioxidativen Spurenelement versorgt. Folsäure nehmen weite Teile der Bevölkerung ebenfalls nur in unzureichender Menge auf. Dennoch steht Angela Clausen von der Verbraucherzentrale in Düsseldorf einer Lebensmittelanreicherung mit Folsäure kritisch gegenüber. Denn das Vitamin spielt hauptsächlich vor der Schwangerschaft eine wichtige Rolle, um einem Neuralrohrdefekt beim Ungeborenen vorzubeugen. Daher hält sie eine Aufklärung der Zielgruppe für sinnvoller, als 80 Millionen Menschen zwangsweise mit dem Vitamin zu versorgen. Zumal noch unklar ist, wie sich synthetische Folsäure langfristig auswirkt, und weil die kritische Obergrenze über angereicherte Lebensmittel erreicht werden kann.

Einig waren sich die Referenten, dass insbesondere das Anreichern von Lebensmitteln zu einer bedenklichen Überdosierung einzelner Nährstoffe führen kann. Nur in Ausnahmefällen halten sie Nahrungsergänzungsmittel für sinnvoll. Die einfache Empfehlung, mehr Gemüse, Obst und Vollkorn zu essen, gilt folglich unangefochten.