Leichte Sprache: Ernährungsinfos, die ankommen

Gesund essen, gesund leben. Was heißt das eigentlich? Ernährungswissen und Küchenfertigkeiten an Menschen mit geistiger Behinderung oder Lernschwierigkeiten zu vermitteln, ist eine besondere Herausforderung. Leichte Sprache und individuelle Arbeitsmaterialien helfen dabei.

Bei der Ernährungserziehung haben Menschen mit geistigen Behinderungen einen besonderen Bedarf. Denn sie unterliegen einem erhöhten Gesundheitsrisiko, insbesondere für Übergewicht und Adipositas. Gleichzeitig haben sie oft Schwierigkeiten, die Informationen zu verstehen, sich einzuprägen, zu übertragen und in der Praxis anzuwenden. Betroffene sind deshalb beim Erwerb ernährungsspezifischen Wissens und bei der Etablierung gesundheitsförderlichen Verhaltens auf besondere Lernunterstützung angewiesen.

Routinen und Regeln helfen

Menschen mit geistigen Beeinträchtigungen lernen besonders gut über das konkrete Tun. In Schulen kann dies im Rahmen einer unterrichtsimmanenten ­Ernährungserziehung geschehen. Das bedeutet, dass Lehrkräfte in der Schulzeit das Angebot an Nahrungsmitteln steuern und ihre pädagogischen Spielräume nutzen. In Frühstücks- und Mittagspausen können sie Schüler zu einer genussvollen, gesunden Ernährung anhalten und entsprechendes Verhalten loben und unterstützen. Auch für das Leben außerhalb der Schule ist es hilfreich, Regeln zu vermitteln. Viele Ernährungsempfehlungen sind im Alltag allgegenwärtig, etwa die Ernährungspyramide oder die Faustregel Fünf am Tag (5 Portionen Gemüse und Obst). Wo Menschen damit überfordert sind, solche Regeln anzuwenden – weil sie zum Beispiel nicht in der Lage sind, die Nahrungsmittelgruppen sicher zu identifizieren –, können individuell erarbeitete Regeln hilfreich sein. Diese sollten die jeweilige Lebenssituation und die persönlichen Nahrungsvorlieben berücksichtigen. Konkret beinhalten solche Regeln zum Beispiel Mengen (nur 1 Teller), Reihenfolgen (erst das Obst, dann das Brot), bestimmte Nahrungsmittel (immer Vollkornbrot) oder die Begrenzung von Nahrungsmitteln bei bestimmten Mahlzeiten (der Snack am Nachmittag ist Joghurt).

Leichte Sprache: kurz, klar, konkret

Beim Wissenserwerb über Texte stellt die Komplexität von Sprache häufig ein Hindernis für schwache Leser dar. Leichte Sprache versucht, diese Barriere abzubauen. In ihren Anfängen belächelt, hat sie sich inzwischen in vielen Bereichen als eine Möglichkeit durchgesetzt, auch Menschen mit Beeinträchtigungen schriftsprachlich zu erreichen. Ernährungsberater, Kursleiter oder Autoren können auf Dienstleister zurückgreifen, wenn sie eine Übersetzung von Texten wünschen. Sie können Texte mit Hilfe entsprechender Regelwerke aber auch selbst in leichte Sprache umwandeln, wenn sie die Prinzipien verinnerlichen und mit der Zielgruppe der Texte im Austausch darüber bleiben, ob sie verständlich sind. Grundsätzlich setzt leichte Sprache auf den Gebrauch von Wörtern, die kurz und wenig komplex sind und genau beschreiben. Die Anweisung vorheizen ist beispielsweise ein übliches Wort in Zusammenhang mit Rezepten, ungeübt jedoch ein schweres Wort, weil es die Tätigkeit nicht konkret benennt. Konkret gemeint ist folgender Vorgang: „Man schaltet den Ofen an und lässt ihn leer.“ Leichte Sprache sollte dies ausdrücken, das heißt, die Begriffe anmachen oder anschalten wären zu bevorzugen. Aber auch der Akkusativ stellt eine Hürde dar. „Den Herd vorheizen“ wäre daher komplett zu übersetzen in eine klare Anweisung: „Schalte den Herd jetzt an.“

Aus schweren Begriffen leichte machen

Generell gehören selten verwendete Fach- und Fremdwörter zu den schweren Worten. Begriffe wie Obst und Gemüse, die in jedem Supermarkt sichtbar sind, werden daher Bezeichnungen wie Rohkost vorgezogen. Wenn es allerdings zum Beispiel in Zusammenhang mit Ernährungserziehung wichtig erscheint, den Fachbegriff zu verwenden, so sollte das Wort immer erläutert werden, etwa so: „Obst musst du nicht kochen. Du kannst Obst roh essen. Man sagt deshalb auch: Roh-Kost.“ Die Abweichung von der Rechtschreibregel bei Rohkost verweist auf eine weitere Regel leichter Sprache, die im Deutschen besonders relevant ist. Zusammengesetzte Hauptwörter werden der besseren Lesbarkeit wegen mit Bindestrich getrennt, so dass kurze Worte entstehen. Abkürzungen werden hingegen nur dann verwendet, wenn sie sehr etabliert sind. Das bedeutet etwa, dass das in Rezepten übliche Wort gestr. entweder ausgeschrieben, als schweres Wort aber besser besonders geübt oder vollständig ersetzt wird.

Verben statt Substantive verwenden

Generell setzt leichte Sprache auf Verben statt auf Hauptwörter. Aktiv-Konstruktionen sind sprachlichen Komprimierungen und Reihungen vorzuziehen. Selbst einfache Rezepte erfordern deshalb häufig eine Übersetzung, wie folgendes Beispiel zeigt: „Die Kartoffeln und den Kürbis lagenweise dachziegelartig in eine feuerfeste Form schichten und jeweils mit Salz und Pfeffer würzen. Sahne und Milch mischen und angießen.“ In leichter Sprache heißt es:

  • Lege in die Form eine Reihe Kartoffel-Scheiben.
  • Streue Salz auf die Kartoffel-Scheiben.
  • Streue Pfeffer auf die Kartoffel-Scheiben.
  • Lege in die Form eine Reihe Kürbis-Scheiben.
  • Die Kürbis-Scheiben sollen halb auf den Kartoffel-Scheiben liegen.
  • Streue Salz auf die Kürbis-Scheiben.
  • Streue Pfeffer auf die Kürbis-Scheiben.
  • Mache so weiter bis die Form voll ist.
  • Verrühre Sahne und Milch mit einem Schnee-Besen.
  • Gieße das Sahne-Milch-Gemisch über Kartoffeln und Kürbis.

Deutlich wird zunächst, dass die Übersetzung in leichte Sprache die Komplexität der Handlung sichtbar macht. Deshalb ist sie viel länger als der Ursprungstext. Der Übersetzungsversuch erfordert aber auch die Erklärung von bildhafter Sprache (dachziegelartig) oder die Präzisierung von Fachbegriffen (angießen, mischen). Schließlich verweist der Übersetzungsvorgang auf Leerstellen, die Menschen, denen die Tätigkeiten vertraut sind, so nicht mehr bewusst sind. In diesem Beispiel kann für Menschen mit geistigen Behinderungen beispielsweise die Menge von Salz und Pfeffer unklar sein oder die Anleitung zum Schichten zwar lesbar, aber letztlich nicht hinreichend verständlich sein. Selbst wenn der Text erlesen werden kann, stellt die Übersetzung in leichte Sprache nur eine wichtige Unterstützung unter anderen dar.

Einfache Rezepte: Bilder als Textersatz

Bilder können Texte in leichter Sprache ergänzen. So ließen sich zum Beispiel die komplexeren Anforderungen zum dachziegelartigen Schichten in dem oben genannten Beispiel durch ein Bild ergänzen. Für die Zielgruppe konzipierte Kochbücher und Arbeitsmaterialien setzen beim Kochen generell auf diese Bildrezepte (siehe Buch- und Literaturtipps). Manche kommen fast gänzlich ohne Schriftsprache aus und stellen Zutaten, benötigte Geräte und Zubereitungsschritte in Zeichnungen oder Fotos dar. Auf diese Weise werden die Rezepte auch sehr schwachen Lesern zugänglich und ermöglichen Lehrenden ein breites Spektrum an Differenzierung.


Einfache Regeln bildlich dargestellt sind eingängig und lassen sich leichter im Alltag umsetzen.

Nicht selten konzentrieren sich solche Veröffentlichungen allerdings eher auf traditionelle Hausmannskost oder bei Kindern und Jugendlichen beliebte Speisen. Deshalb sollten die Rezepte überlegt ausgewählt oder durch eigene Rezepte ausgetauscht werden. Praktisch wird es in der konkreten Arbeit deshalb immer wieder erforderlich sein, Rezepte für die Lerngruppe passend zu machen. Neben leichter Sprache und Bildern können hier individuelle Arbeitsmaterialien hilfreich sein.

Geeignete Arbeitshilfen erstellen

Viele Schwierigkeiten beim Kochen lassen sich durch die Gestaltung individueller Arbeitshilfen lösen. Für Köche, die Schwierigkeiten mit dem Abmessen von Hohlmaßen haben, können beispielsweise für verschiedene Maße jeweils ein Gefäß mit genauer Aufschrift und Markierung erstellt werden. So entfällt das mühsame Suchen nach dem richtigen Strich und der richtigen Benennung (halber Liter oder 500 ml). Auch Angaben, die zu viel Spielraum zulassen (gestrichene Messerspitze oder gehäufte Löffel) stellen keine Hürde mehr dar, wenn entsprechende Hilfsmittel erstellt werden: eine Markierung auf dem Plastikmesser oder die Verwendung unterschiedlich großer Löffel, die eindeutig zugeordnet werden, sind häufig ausreichend. Menschen mit geistigen Behinderungen sind auf vielfältige Wiederholungen angewiesen, um Wissen langfristig abzuspeichern. Wenn sich zu viele äußere Faktoren verändern, wird die Übertragung vom einen Fall auf den anderen schwierig. Deshalb ist es hilfreich, feste Arbeitsplätze für bestimmte Arbeitsschritte einzurichten. Strukturen können sich zudem besser einprägen, wenn Arbeitsmittel bestimmten Nahrungsmitteln zugeordnet sind: Gemüse schneiden mit diesem Brettchen und diesem Messer. Unterstützend wirkt es, wenn solche Zuordnungen im Raum durch Bilder oder Fotos präsent sind.

Motivation und Freude als wichtigste Zutaten

Auch bei den Inhalten sollte man auf Wiederholungen setzen. Es ist zum Beispiel sinnvoll, beim Kochen nicht zu stark zu variieren, sondern für einen überschaubaren Zeitraum auf Kontinuitäten zu setzen. Wenn etwa mehrere Wochen Reis mit X und Salat zubereitet werden, automatisiert sich das Zubereiten von Reis und Salat und nur die variable Größe stellt eine Herausforderung dar. Solche Herausforderungen in Grenzen zu halten, ist ein wesentliches Mittel, um die Motivation und Freude zu erhalten. Und das ist sicher die wichtigste Methode, Menschen mit Beeinträchtigungen beim Erwerb ernährungsrelevanter Kompetenzen zu unterstützen.


Buchtipps

Lebenspraktisches Lernen
Materialien für Schüler mit geistiger Behinderung. Gabriele Kremer, Persen Verlag Hamburg

Gesunde Ernährung, 28,95 €
Lebensmittel einkaufen, 28,95 €


Bild © Illustrationen: „Lebenspraktisches Lernen. Gesunde Ernährung“, Persen Verlag, (S. 8, 96-97)

Stichworte: Behinderung, Lerneinschränkung, Leichte Sprache, Ernährungserziehung, Sprachbarriere, Lernbehinderung


Gut essen mit Handicap Dieser Beitrag ist erschienen in:
UGBforum 4/2019
Gut essen mit Handicap


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