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Weniger Gift auf dem Teller?

Ab 14. Juli 2011 tritt eine neue EU-Regelung für den Einsatz von Pestiziden in Kraft. Insbesondere gefährliche Substanzen sollen langfristig vom Markt verschwinden. Doch bis die Verbote wirklich greifen, werden noch einige Jahre vergehen und Ausnahmegenehmigungen sind auch schon geplant.

Pestizide, Fungizide, Rückstände, Grenzwerte

Das neue Regelwerk, das am 21. Oktober 2009 verabschiedet wurde, wird vielfach als Sieg des Verbraucher- und Umweltschutzes gewürdigt. "Der Schutz von Mensch und Umwelt vor gefährlichen Pestiziden wird damit tendenziell verbessert", bestätigt Jochen Heimberg, Pressesprecher des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) in Berlin. Anerkennung findet vor allem das neue Instrument der "roten Karte" für besonders gefährliche Pestizide: Krebserzeugende, erbgut- oder fruchtschädigende Substanzen dürfen langfristig nicht mehr zugelassen werden. Auch besonders langlebigen Chemikalien, die sich in der Nahrungskette anreichern und zugleich giftig sind, soll die Genehmigung verweigert werden. Bienengefährliche Pestizide - davon sind nahezu alle Präparate betroffen - sollen gründlicher als bisher geprüft werden. Das massive Bienensterben im Frühjahr 2008 bringen Fachleute beispielsweise mit dem Insektizid Chlothianid in Verbindung. Industrie sowie Umweltverbände und Politiker stritten bis zuletzt über das Aus für Wirkstoffe, die in das Hormonsystem eingreifen. Dazu zählt Lambda-Cyhalothrin, das in den letzten beiden Jahren auf grünen Bohnen, Schnittlauch, Tomaten und Salat in unzulässigen Mengen gefunden wurde. Die Industrie leistete erbittert Widerstand gegen die Verbote und malte Horrorszenarien von verödenden Landschaften. Doch ausnahmsweise setzte sich der Verbraucherschutz durch.

Einige Pestizide vor dem Aus

Nach ersten Einschätzungen werden etwa 20 der rund 250 verfügbaren Wirkstoffe zukünftig aus dem Verkehr gezogen. Ein Kandidat ist die Chemikalie Chlorthalonil, die verdächtigt wird, Krebs auszulösen und außerdem Allergien zu begünstigen. Derzeit wird sie in Deutschland noch in großem Umfang gegen Pilzkrankheiten bei Kartoffeln, Gerste, Weizen und Spargel gespritzt. Ein weiteres Beispiel: das Fungizid Carbendazim. Diese Chemikalie kann Missbildungen an Augen und Kopf hervorrufen, weil sie das Erbgut der Keimzellen verändert. Bis heute wird sie jedoch auch auf deutsche Getreidefelder gesprüht. Im Ausland wird das Mittel zudem bei Weinreben und Zitrusfrüchten eingesetzt.

Mit dem neuen Regelwerk wird aber auch der Spielraum der Mitgliedsstaaten eingeschränkt, die bisher jeweils auf nationaler Ebene über die endgültige Zulassung eines Pestizids entscheiden konnten. Dabei kam es durchaus zu Abweichungen zwischen den Ländern. "Es gibt zum Teil beträchtliche Unterschiede zwischen den Mitgliedsstaaten, sowohl was die Palette der zugelassenen Mittel angeht als auch bei den Anwendungszwecken bei ein und demselben Mittel", unterstreicht Heimberg. Auf spanischem Paprika wird beispielsweise oft das hochgiftige Methamidophos gefunden. In Deutschland darf dieser Wirkstoff nur gegen Blattläuse und Kartoffelkäfer bei Kartoffeln eingesetzt werden.

2014 wird diese Praxis durch eine zonale Zulassung abgelöst. Hierfür wurden die drei Zonen Süd-, Nord- und Mitteleuropa definiert. Mit dieser Kategorisierung wird in erster Linie Unterschieden im Klima Rechnung getragen: In wärmeren Gegenden vermehren sich die Schädlinge rascher als im kühlen Mittel- und Nordeuropa. Oft wird die Ernte von italienischen und spanischen Bauern von mehr und auch von anderen Schädlingen befallen als in Deutschland. Zum Beispiel zerstört die Mittelmeerfruchtfliege in Südeuropa die Pfirsich- und Aprikosenernte. Hierzulande schlagen sich die Landwirte dagegen häufig mit Pilzerkrankungen wie Mehltau herum. Daher können in den unterschiedlichen Zonen verschiedene Präparate in unterschiedlichen Höchstmengen zulässig sein.

Lange Übergangsfristen

Die neue Pflanzenschutzmittelverordnung stößt aber auch auf Kritik. Bis die Verbote greifen, werden viele Jahre ins Land gehen. Bestehende Genehmigungen werden sukzessive bis 2018 auslaufen. Selbst dann bleibt ein Hintertürchen offen: Die Substanzen können für weitere fünf Jahre vermarktet werden, wenn die Ernte bedroht ist und keine anderen Mittel zur Verfügung stehen. Greenpeace kritisiert das als Aushöhlung des ursprünglich guten Ansatzes. Auch ein anderer Schachzug der EU-Politiker gibt zu denken. Zum August 2008 sind die Rückstandshöchstmengen europaweit angeglichen worden. Die Werte wurden aber keineswegs verschärft. Strengere Grenzwerte, wie sie zuvor zum Beispiel in Deutschland galten, wurden zum Teil aufgegeben. Damit dürfen hierzulande schon heute mehr Spritzmittel auf dem Teller landen als vor der Vereinheitlichung.

Mehr Spritzmittel statt weniger

Westeuropa setzt laut Greenpeace weltweit am meisten Pestizide ein. Seit Jahren steigt die Menge, die an Pflanzenschutzmitteln auf Felder und Plantagen ausgebracht wird. Über 220.000 Tonnen sind es derzeit in der EU pro Jahr. Mit den gelockerten Rückstandshöchstmengen darf es ganz legal noch mehr sein. Die Umweltorganisation Greenpeace urteilt: "Die strenge und gute Regelung hierzulande wurde aufgeweicht. Wir befürchten, dass die Belastungen steigen", sagt Christiane Huxdorff. Nicht berücksichtigt ist bei der ganzen Diskussion, dass auf Gemüse und Obst ein ganzer Pestizidcocktail zu finden ist. Wie sich dieser Wirkstoffmix langfristig auf die Gesundheit auswirkt, ist überhaupt nicht absehbar. Es ist daher auf jeden Fall ratsam, die Belastungen so gering wie möglich zu halten.
Den Verbrauchern bleibt angesichts der laxen Regeln der EU eigentlich nur, konsequent zu Gemüse und Obst aus ökologischem Anbau zu greifen. Da Pestizide im Bio-Anbau verboten sind, kommt die Bio-Ernte nachweislich fast ohne Rückstände daher.

Quelle: Donner, S.: UGB-FORUM 4/2010, S. 204-205
Fotoquelle: ChristopheB - Fotolia