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Mikroben als Aromafabriken

Natürliche Aromastoffe müssen nicht aus Früchten stammen. Auch Aromen, die von Mikroben erzeugt werden, gelten als natürlich. So steht es im Gesetz. Mittlerweile werden schätzungsweise mehr als hundert Aromastoffe biotechnologisch hergestellt. Von der Herkunft erfahren die Verbraucher nichts.

Eine vollreife Tomate im Sommer zergeht auf der Zunge. Dieselbe Frucht schmeckt im Winter nach nichts. Da die Sonne fehlt, bilden sich in der kalten Jahreszeit weniger Aromen. Doch ohne sie gibt es weder Geschmackserlebnisse noch Gaumenfreuden. Das hat auch die Lebensmittelindustrie längst erkannt. Fruchtjoghurts, Tee oder Fertiggerichte ? Kaum ein verarbeitetes Produkt kommt ohne zusätzliche Aromen in den Handel. Dabei beschreiten die Firmen neue Wege, Aromastoffe zu gewinnen: Bakterien, Hefen und Baumpilze sind ihre kleinen Helfershelfer. Der Clou: Solange die so gewonnenen Aromen aus Materialien gewonnen wurden, die in der Natur vorkommen, gelten sie als natürlich und werden als solche auf Lebensmittelverpackungen ausgewiesen.

Aus Rizinus wird Pfirsich

Mehr als hundert Aromastoffe werden heutzutage óbiotechnologisch gewonnen, schätzt der Biotechnologe Dr. Jens Schrader aus Frankfurt. Hefen verwandeln einen Bestandteil aus Rizinusöl in Pfirsicharoma. Essigsäurebakterien helfen dabei, aus Fuselalkoholen Himbeer- und Johannisbeeraromen zu zaubern. Apfelgeschmack entsteht, wenn Hefen eine Komponente aus Rapsöl zum Verzehr gereicht wird. Eine neuartige Mikroben-Aromafabrik entwickelt derzeit Holger Zorn, Biotechnologe an der Technischen Universität Dortmund. Der Baumpilz Pleurotus sapidus verwandelt in seinem Labor eine Substanz aus Orangenschalen in einen Baustein des Grapefruitaromas, das Nootkaton. "Unser Baumpilz ist sogar ein Speisepilz. Das bietet einen Sicherheitsvorteil", betont Zorn. In seinem Bioreaktor wachsen allerdings keine hutförmigen Pilze, wie man sie aus dem Wald kennt. Vielmehr schwimmen kleine, igelartige Pilzkügelchen in einer knallgelben Flüssigkeit. Da aus Kostengründen bisher kein natürliches Grapefruitaroma auf Basis von Nootkaton auf dem Markt ist, haben mehrere Firmen schon Interesse bekundet. Sie könnten das Aroma beispielsweise Fruchtschorlen zugeben.

Besonders begehrt ist der Aromastoff aus der Vanilleschote, das Vanillin. Ohne die blumig-süße Geschmacksnote kommen weder Pudding und Kekse noch Kuchen oder Vanilleeis aus. Natürliches Vanillin lässt sich theoretisch aus den schwarzen Schoten isolieren. Doch das Verfahren wäre "exorbitant teuer, da der Gehalt des Aromastoffs in der Schote nur bei ungefähr zwei Prozent liegt", schildert Jürgen Rabenhorst, Biotechnologe an der Fachhochschule Lippe und Höxter in Lemgo. Bis vor kurzem war er noch Mitarbeiter in einem Holzmindener Unternehmen, das verschiedene Aromastoffe mithilfe von Mikroorganismen herstellt. Dort entwickelte er ein Verfahren, das wertvolle Aroma biotechnologisch zu erzeugen: Das Bakterium Amycolatopsis kann eine Substanz aus Reiskörnern, die Ferulasäure, zu Vanillin verwerten. Die Mikrobe ist natürlichen Ursprungs, sie haust für gewöhnlich im Erdreich. So gerne die Hersteller natürlich statt synthetisch auf ihr Etikett schreiben würden, die biotechnologische Herstellung von Vanillin konnte die synthetische Produktion nicht verdrängen: Das mikrobielle Produkt kostet das 60-fache und wird nur in Mengen von höchstens zehn Tonnen pro Jahr verkauft. Das chemische Analogon wird dagegen weltweit in Mengen von 10.000 Tonnen nachgefragt.

Mikrobenproduktion zu teuer

Die Aromastoffe, die von Hefen, Pilzen oder Bakterien erzeugt werden, sind fast immer zehn- bis hundertmal so teuer wie die künstlichen oder naturóidentischen Aromen. Die Auswahl an mikrobiell produzierten Geschmacks- und Geruchsstoffen ist zudem durch die natürliche Vielfalt der Kleinstlebewesen und deren Aromenrepertoire begrenzt. Denn die Biotechnologen können längst nicht alle Aromen der Natur nachstellen. Vorraussetzung ist, dass der spezielle Aromastoff eine Schlüsselkomponente enthält. Diese wird dann von der Mikrobe erzeugt.
Ist das Aroma komplex zusammengesetzt, wie bei der Erdbeere mit mehr als 360 verschiedenen Substanzen und 19 Hauptkomponenten, müssen die Biotechnologen passen. "Es gibt deshalb kein künstliches oder biotechnologisches Erdbeeraroma, das mit dem Geschmack einer natürlichen Erdbeere mithalten kann", räumt Zorn ein. Mit gezielter Genmanipulation könnten Forscher diese Beschränkung allerdings aufheben. "Doch gentechnisch veränderte Mikroorganismen sind für die deutsche Aromenindustrie tabu", versichert Rabenhorst. Denn die Industrie befürchte, dass sich die Produkte sonst nicht verkaufen ließen. Cornelia Schönbrodt, verantwortlich für die Qualitätsarbeit beim Bundesverband Naturkost Naturwaren (BNN) in Berlin, meldet jedoch Zweifel an. Sie geht davon aus, dass die Forschungslabore der Lebensmittelindustrie nicht vor der Gentechnik Halt machen.

Aromastoffe in Biolebensmitteln

Die Naturkostbranche steht auch den mikrobiologisch gewonnen Zusatzstoffen insgesamt skeptisch gegenüber. Nach der EG-Öko-Verordnung ist deren Verwendung zwar nicht verboten, da sie zu den "natürlichen Aromen" zählen. Aber der BNN hat bereits im Jahr 2004 eine Empfehlung erarbeitet, dass in Bioprodukten "mikrobiologisch gewonnene Aromen nicht erwünscht sind". Der Verband empfiehlt stattdessen Auszüge von Früchten oder ätherische Öle aus ökologischem Anbau. "Wir wollen echte und wirklich natürliche Bioaromen fördern", bekräftigt Schönbrodt. Sofern es diese Stoffe nicht gibt, sollen die Geschmacksstoffe aus den entsprechenden Rohstoffen erzeugt werden. So darf Erdbeeraroma eingesetzt werden, das aus Erdbeeren gewonnen worden ist. In welchem Umfang die Biobranche Aromastoffe nutzt, ist dem BNN nicht bekannt. Schönbrodt weiß jedoch zu berichten, dass natürliche Aromaextrakte und ätherische Öle von den Mitgliedsunternehmen des BNN in zunehmendem Maße eingesetzt werden. Wie weit verbreitet speziell die mikrobiologischen Varianten sind, liegt indes im Dunkeln. Schönbrodt geht jedoch aufgrund der Verbandsempfehlung von einem rückläufigen Trend aus. Vorzeigebeispiele sind Produkte wie der Erdbeerjoghurt der Firma Söbbeke, der ohne Aromen auskommt, und Limonaden der Firma Völkel, die nur mit Hilfe ätherischer Öle, Fruchtsäfte und Fruchtextrakten ihren Geschmack erhalten.

Verbraucher unzureichend informiert

Aus Verbrauchersicht ist der Einsatz von Aromastoffen generell sehr undurchsichtig. Denn Aromen werden schließlich auch zugesetzt, um Qualitätsmängel zu kaschieren oder bestimmte Rohstoffe vorzutäuschen. Auch "die Bezeichnung natürliches Aroma ist für den Verbraucher irreführend, da er nicht erkennen kann, woraus es hergestellt wurde", kritisiert Bioexpertin Schönbrodt. Hilfreicher wären konkretere Angaben wie etwa "natürliches Erdbeeróaroma", das dann aber wenigstens zu 95 Prozent aus Erdbeeren stammen müsste. Die neue EG-Öko-Verordnung vom 1. Januar 2009 könnte zumindest für Biokunden mehr Transparenz in den Markt der duftenden Geschmackskomponenten bringen. Denn damit können erstmals Qualitätskriterien für Bioaromen aufgestellt und entsprechend zertifiziert werden. Allerdings müssen die Kriterien erst noch erarbeitet werden.

Quelle: S. Donner: UGB-Forum 2/09, S. 100-101
Foto: Techniker Krankenkasse