Macht Milch uns krank?

Die Ansichten über Milch und ihre Bedeutung für die Gesundheit gehen teilweise weit auseinander. Während kritische Stimmen behaupten, Milch mache krank, propagieren andere Milchprodukte als unersetzliche Quelle für Calcium und Vitamin D.

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Milch gehört in den westlichen Industrieländern für die meisten zu einer gesunden Ernährung dazu. Jeden Tag nehmen wir im Durchschnitt rund 180-200 Gramm Milch und Produkte wie Joghurt und Buttermilch auf. Für die Gesundheit haben sie tatsächlich einiges zu bieten. So tragen diese Lebensmittel hierzulande mit 40 Prozent zur Calciumaufnahme bei, liefern 27 Prozent der Vitamine B2 und B12. Zudem ist Milch eine wichtige Quelle für Jod, Zink, Magnesium und Vitamin D. Manche Nährstoffe wie Calcium und Vitamin B2 sind aus Milch und Milchprodukten einfacher verfügbar als aus pflanzlichen Lebensmitteln; dennoch kann der Bedarf für sie auch aus anderen Quellen gedeckt werden. Anders ist das mit Vitamin B12, das nur in tierischen Lebensmitteln vorkommt. Wer weder Milchprodukte noch Fleisch isst, muss Vitamin B12 supplementieren.

Milchkritiker führen häufig an, dass Milch als artfremdes Produkt generell unverträglich für Menschen sei. In bestimmten Regionen wie Mittel- und Nordeuropa oder Nordwestafrika ist sie allerdings schon seit Jahrtausenden Bestandteil der Ernährung. Daher ist von einer evolutionären Anpassung des Stoffwechsels auszugehen. Weltweit vertragen aber tatsächlich nur rund 35 Prozent der Erwachsenen Milch ohne Probleme. Das heißt 65 Prozent haben Schwierigkeiten, den Milchzucker abzubauen, weil ihr Körper genetisch bedingt zu wenig Laktase bildet. Das Enzym wird benötigt, um den Milchzucker aufzuschließen. In Deutschland vertragen nach Schätzungen rund 15-22 Prozent keine Milch. Ärzte sprechen von einer Laktoseintoleranz, die je nach Restaktivität der Enzymbildung mehr oder weniger stark ausgeprägt sein kann. An einer Allergie gegen Milch bzw. Milchproteine leiden hierzulande lediglich etwa 1-2 Prozent.

Rohmilch schützt vor Allergien

Besorgte Stimmen bringen den Milchkonsum auch in Verbindung mit chronischen Infekten, Magen-Darmproblemen, Neurodermitis, Heuschnupfen und Asthma oder sogar Krebs. Wissenschaftliche Daten deuten jedoch auf ganz andere Effekte hin: So scheint unerhitzte Rohmilch einen besonderen Schutzeffekt zu haben. Kinder, die sie regelmäßig trinken, sind offenbar besser vor Allergien, Asthma und Heuschnupfen geschützt. Welche Faktoren dafür verantwortlich sind, ist wissenschaftlich noch nicht geklärt. Da Rohmilch aber auch gesundheitsschädliche Keime enthalten kann, ist der Konsum nicht uneingeschränkt empfehlenswert. Zudem geht ein erhöhter Verzehr von Milch und Milchprodukten mit einem leicht verringerten Risiko für Dickdarmkrebs einher. Brustkrebs tritt ebenfalls seltener auf, wenn vermehrt Milchprodukte konsumiert werden, allerdings gilt das nicht für Trinkmilch. Liegt der Milchkonsum über einem Liter am Tag, steigt wahrscheinlich das Risiko für Prostatakrebs.

Knochenschutz umstritten

Bei ausreichender Vitamin-D-Versorgung bescheinigen Experten des Max-Rubner-Instituts in Karlsruhe einem mäßig höheren Proteinverzehr zusammen mit Calcium in der Nahrung einen förderlichen Effekt auf die Knochengesundheit. Osteoporose, das heißt krankhafter Knochenabbau, tritt jedoch in asiatischen Ländern, die traditionell kaum Milchprodukte verzehren, sehr viel seltener auf als in den Industrie­ländern. Denn es kommt auch auf die Zusammensetzung der übrigen Nahrung und den Lebensstil an. Hierzulande ist Osteoporose nicht allein das Problem einer zu geringen Calciumaufnahme. Zahlreiche Faktoren fördern den Knochenabbau. Dazu zählen genetische Faktoren, Alter, Östrogenmangel, aber auch sehr proteinreiches Essen, zu viel Salz, zu viel Alkohol, Rauchen und ganz wesentlich: zu wenig Bewegung und eine mangelnde Vitamin-D-Bildung durch Sonneneinstrahlung.

Dieser Beitrag ist im UGBforum mit dem Schwerpunktthema
Ernährungstherapie: Das Beste für kranke Kinder erschienen.

Angeblich sollen Milchprodukte Calcium aus den Knochen lösen. Ursache seien schwefelhaltige Aminosäuren in der Milch. Zwar benötigt der Körper zum Neutralisieren von diesen Aminosäuren bestimmte Calciumverbindungen. Allerdings enthalten Milchprodukte Calcium im Überschuss – im Gegensatz zu anderen proteinreichen Lebensmitteln wie Fleisch oder Wurstwaren. So steht der größte Teil des aufgenommenen Calciums für die Knochenbildung und andere Aufgaben zur Verfügung. Aus diesem Grund trägt Milch nicht zur Übersäuerung des Körpers bei. Das Calcium aus Milch geht auch keine unlösliche Verbindung mit Casein ein. Es ist vielmehr mit etwa 30 Prozent im Vergleich zu anderen Lebensmitteln gut verfügbar. Weitere Milchinhaltsstoffe wie Milchzucker, Milchsäure und Vitamin D fördern die Aufnahme aus dem Darm.

Keine Verschleimung durch Milch

Milch und Milchprodukte einschließlich Käse tragen unbestreitbar zur Aufnahme an Fett und Cholesterin bei. Milchfett besteht aber anders als Fett aus Fleisch oder Wurstwaren zu etwa einem Drittel aus kurz- und mittelkettigen Fettsäuren und enthält die sogenannte konjugierte Linolsäure (CLA), ihre Vorstufe ist die trans-Vaccensäure. Beide haben eher einen gefäßschützenden Effekt und wirken vermutlich positiv auf das Immunsystem. Biomilch aus Weidehaltung enthält deutlich höhere Mengen an CLA als konventionelle Milch und liefert doppelt so viel Omega-3-Fettsäuren sowie mehr Vitamine.

Nicht haltbar ist die Behauptung, dass sich das Calcium aus der Milch an den Arterienwänden ablagert. Der Organismus ist nicht vergleichbar mit einem verkalkten Topf, in dem sich Calciumcarbonat aus dem Trinkwasser niederschlägt. Der Vorwurf, dass Milch die Atemwege verschleime, lässt sich ebenfalls nicht bestätigen. Milchzucker setzt sich aus den Zuckerbausteinen Glucose und Galactose zusammen. Letzterer wurde früher auch Schleimzucker genannt, da er in verschiedenen Schleimhautsekreten des Menschen vorkommt. Möglicherweise hinterlässt auch das Milchfett beim Trinken ein Gefühl von Schleim im Rachen. Das heißt aber nicht, dass der Körper angeregt wird, vermehrt Schleim zu produzieren.

Nicht nur etwas für Babys

Unbestritten ist Muttermilch die beste Nahrung für Säuglinge. Zu den Still- oder Beikostmahlzeiten sollten sie allerdings keine Milchprodukte bekommen. Denn Babys, die zu viel Protein aufnehmen, haben ein fast zweieinhalbfach höheres Risiko für späteres Übergewicht. Milch und ihre Produkte sind per se aber nicht gesundheitsschädlich – auch nicht für Erwachsene. Vielmehr können sie in mäßigen Mengen einen ausgewogenen Speiseplan bereichern. Menschen, die kein Fleisch essen, empfiehlt die Vollwert-Ernährung mindestens 300 Gramm Milch und Milcherzeugnisse täglich zu verzehren. Veganer, die sich gut auskennen und Lebensmittel gezielt auswählen, können aber auch über eine rein pflanzliche Ernährung eine gute Nährstoffversorgung erreichen. Dann muss allerdings Vitamin B12 ergänzt und auf eine ausreichende Calciumaufnahme über calciumreiche Mineralwässer und (dunkelgrüne) Gemüse geachtet werden.

Quelle: Becker U: UGB-Forum 3/14, S. 152-153
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