Braunhirse im Zwielicht

Seit einiger Zeit verkaufen Naturkostläden, Reformhäuser und Internetanbieter Braunhirse, überwiegend als Mehl zum Einrühren in Speisen oder Getränke. Den Angaben eines Anbieters zufolge handelt es sich um die Wildform der Rispenhirse, die vermutlich aus Ostindien stammt. Laut der Bundesforschungsanstalt für Ernährung und Lebensmittel (BFEL) ist die botanische Herkunft jedoch nicht gesichert.

Braunhirse, Hirse, Nahrungsergänzungen, Mehl

Braunhirse soll roh verzehrt basenbildend wirken, eine Vielzahl an Mineralstoffen, Vitaminen und anderen Wirkstoffen in "homöopathischer Form" enthalten und bei diversen Erkrankungen von Arthrose über Bindegewebsschwäche, Karies und Krampfadern bis zu Haarausfall und Rheuma helfen. Von dem unerhitzten Mehl, das sich laut Anbieter nicht mit üblichen Getreidemühlen herstellen lässt, sollen zweimal täglich 3-4 gehäufte Teelöffel (ca. 70 Gramm) eingenommen werden. Seit kurzem sind auch ganze Körner zum Keimen erhältlich.

Über die Inhaltsstoffe von Braunhirse liegen bisher nur unvollständige Informationen vor. Wie alle Getreide enthält sie reichlich Mineralstoffe, insbesondere Kieselsäure; 100 Gramm liefern 550 Milligramm. Kieselsäure besteht zu einem Drittel aus Silicium, einem Spurenelement, das eine wichtige Rolle als Nähr- und Aufbaustoff für Knorpelmasse, Bindegewebe, Haut, Haare und Nägel spielt und zur Mineralisation der Knochen beiträgt. Vermutlich resultiert hieraus das Werbeversprechen, Braunhirse würde bei brüchigen Haaren und Nägeln, schlaffer Haut, Bindegewebsschwäche, Osteoporose und Arthrose helfen. Allerdings deckt eine normale Mischkost problemlos den Bedarf an Silicium.

Der Eisengehalt von Braunhirse ist mit 4,5 mg pro 100 g vergleichsweise hoch, beträgt aber nicht dreimal mehr als Weizen (3,2 mg /100 g), wie behauptet wird. Obwohl der Vitamingehalt von Braunhirse nicht bekannt ist, werben die Vertreiber mit einem hohen Gehalt an B-Vitaminen wie Vitamin B17. Dahinter verbirgt sich die Substanz Laetril, die weder essenziellen Charakter noch vitaminähnliche Eigenschaften aufweist. In der Schale der Braunhirse sitzen neben Mineralstoffen und Kieselsäure zahlreiche antioxidativ wirksame sekundäre Pflanzenstoffe, z. B. Phytinsäure und Oxalsäure. Zudem finden sich mehr Farbpigmente, das heißt Polyphenole - vor allem Tannine, als in hellschaligen Hirsesorten.

Samt Spelz und Schale

Wegen ihres harten und sandigen Kaueindrucks, des herb-bitteren Geschmacks und der schlechten Verdaulichkeit wird Hirse üblicherweise entspelzt und geschält, ehe sie als Speisehirse in den Handel kommt. Dadurch gehen zwar die oben genannten Inhaltsstoffe weitgehend verloren, doch die Verdaulichkeit verbessert sich und unerwünschte Verunreinigungen (Schimmelpilzgifte, Pestizidrückstände) werden entfernt. Braunhirse wird dagegen samt Spelze und Schale mittels der so genannten Zentrofan-Technik zu Mehl vermahlen, die selbst harte und schwer schälbare Hirsesorten klein bekommt. Der höhere Gehalt an sekundären Pflanzenstoffen in der Schale von Braunhirse kann zwar zahlreiche positive, bei übermäßigem Verzehr aber auch unerwünschte Wirkungen haben: Tannine, die in besonders hoher Konzentration enthalten sind, können Proteine binden und so ihre Verfügbarkeit herabsetzen sowie die Stärkeverdauung hemmen. Phytinsäure bindet unter anderem Calcium und Eisen und mindert so deren Aufnahme. Oxalsäure kann bei Veranlagung die Entstehung von Nierensteinen begünstigen.

Dieser Beitrag ist
im UGBforum,
dem Fachmagazin für nachhaltige Ernährung erschienen.
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Durch den hohen mechanischen Aufschluss bei der Zentrofanvermahlung erhöht sich die Verdaulichkeit und Verfügbarkeit der Inhaltsstoffe aus den Hirseschalen. Der Organismus kann aber auch die ungünstigen Schalenbestandteile leichter aufnehmen, so die derzeitige Einschätzung der BFEL. Da das Mehl für seine angeblichen Heilwirkungen roh verzehrt werden soll, würden weder Einweich- noch Kochprozesse diese Verbindungen entfernen oder inaktivieren. Deshalb sehen die BFEL-Wissenschaftler besonders den Rohverzehr von Braunhirsemehl als kritisch an. Für Getreide mit relativ hohem Fettgehalt wie Hirse wird eine Zentrofanvermahlung ohnehin nicht empfohlen, da der starke Luftkontakt während des Mahlvorgangs die Oxidation der ungesättigten Fettsäuren fördert. Wird das Mehl nicht gleich verbraucht, schmeckt es schnell ranzig. Im Gegensatz dazu schließt der österreichische Universitätsprofessor Werner Pfannhauser eine negative Wirkung auf die Gesundheit bei den empfohlenen Mengen weitgehend aus. Zudem seien beim Verzehr von rohem Mehl die bedenklichen Inhaltsstoffe aus dem Schalenanteil für den Organismus wenig verfügbar und würden zum Großteil unverdaut wieder ausgeschieden. In der internationalen Fachliteratur finden sich derzeit noch keine entsprechenden Studien, daher gelten beide Aussagen unter Vorbehalt.

Wenig seriöse Informationen

Owohl krankheitsbezogene Werbeaussagen für Lebensmittel rechtlich nicht zulässig sind, werben die verschiedenen Internetanbieter mit nahezu identischem Text für die Heilwirkungen der Braunhirse. Keiner erläutert, was unter Nährstoffen in homöopathischer Form zu verstehen ist oder gibt Belege für die gesundheitlichen Wirkungen an. Auf Nachfrage behauptet der österreichische Vertreiber Kammerleithner, dass die Mineralstoffe eben nicht in homöopathischen Dosen, sondern in relativ hohen Konzentrationen in der Braunhirse vorliegen. Wissenschaftliche Untersuchungen gebe es nicht, allerdings sprächen zahlreiche Erfahrungsberichte für die heilsamen Effekte des Produkts. Als Fazit bleibt: Die positiven Wirkungen der Braunhirse sind nicht nachgewiesen und die Heilversprechen alles andere als glaubwürdig. Bei den empfohlenen Mengen sind gesundheitliche Nachteile vermutlich nicht zu erwarten. Unklar ist derzeit aber noch, wie sich größere Mengen auswirken, wenn Braunhirsemehl beispielsweise zusätzlich auch zum Brotbacken oder fürs Müsli verwendet wird. Würden die Spelz- und Schalenfraktionen gezielt abgetrennt und der Gehalt der kritischen Inhaltsstoffe durch Einweichen, Keimen, Koch- und Backprozesse reduziert, könnte Braunhirse aber ebenso wie herkömmliche Hirse auch von Zöliakiepatienten verwendet werden.

Quelle: Wenndorf, M. und Franz, W.: UGB-Forum 5/2004, S. 252-253