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In Kita und Schule: Bio begeistert

Biokost in Kindergarten und Schule ist nicht nur erwünscht und machbar, sondern auch finanzierbar. Das beweist die Initiative „Bio für Kinder“. Die Macher des alternativen Kulturfestivals Tollwood und die Stadt München zeigen seit nunmehr sieben Jahren, wie es geht.

Schulessen

Das Münchner Tollwood Kulturfestival hat vor gut zehn Jahren Biolebensmittel in das kulinarische Angebot eingeführt. Rund 50 Gastronomen versorgen auf den beiden mehrwöchigen Festivals im Sommer und Winter die jährlich rund 1,5 Millionen Festivalbesucher mit internationalen Spezialitäten in nahezu 100 Prozent Bioqualität. Warum sollte das, was auf dem Festival möglich ist, nicht auch anderswo möglich sein – und zwar gerade da, wo eine gesunde und ökologische Kost besonders wichtig ist, wie in Kindergarten und Schule? Gedacht, getan. 2006 starteten Tollwood und das Referat für Gesundheit und Umwelt der Stadt München das Pilotprojekt „Bio für Kinder“ mit dem Ziel, Münchens Nachwuchs in Kindergärten und Schulen bei der Umstellung auf 100 Prozent Biokost zu unterstützen.

Jeder is(s)t anders

Die Verpflegungssituation an Münchner Kinderbetreuungseinrichtungen ist sehr unterschiedlich. Während in den städtischen Kitas bislang vornehmlich Tiefkühl-Mischkost (80 Prozent Tiefkühlkost, 20 Prozent Frischkost) auf den Tisch kommt, reicht das Verpflegungsangebot bei privaten und freien Trägern vom erweiterten Pausenverkauf über die Versorgung durch Caterer bis hin zu Küchen, in denen täglich vor Ort frisch gekocht wird. Ausgewogen und gesund soll die Mittagsverpflegung sein, schmackhaft und mit einem möglichst hohen Bioanteil – das alles aber darf nur wenig kosten – der Spagat, der dabei geleistet werden muss, ist groß.

Dieser Beitrag ist im UGBforum 5/13 Gut essen in Kita und Kantine erschienen.

Genau hier setzte „Bio für Kinder“ an. Das Pilotprojekt sollte den Beweis erbringen, dass eine hochwertige, schmackhafte und ausgewogene Mittagsverpflegung in Bioqualität nicht nur möglich, sondern auch bezahlbar ist. Dafür wurden aus über 200 Bewerbungen 32 bewusst sehr unterschiedliche Einrichtungen zur Projektteilnahme ausgewählt: alle Alterszielgruppen von der Kinderkrippe bis zur Berufsschule waren vertreten, die Trägerschaften reichten von städtischen über Wohlfahrtsverbände bis hin zu privaten Trägern, die Einrichtungen lagen in wohlhabenden ebenso wie in sozial benachteiligten Stadtteilen, mit und ohne eigener Küche. Die Einrichtungen nahmen an Schulungen und individuellen Coachings teil, verpflichteten sich zur Umstellung auf 100 Prozent Biokost und einer detaillierten Kostenverfolgung bzw. Überprüfung durch eine anerkannte Öko-Kontrollstelle.

Um den Einrichtungen die Angst vor den Mehrkosten – dem größten Hemmschuh – zu nehmen, übernahmen mehr als 30 Münchner Unternehmen als Paten die Anschubfinanzierung. Sie sicherten den Einrichtungen die Übernahme der anfallenden Bio-Mehrkosten für die jeweils zweijährige Projektlaufzeit zu.

Günstiger als erwartet

Seit dem Start des Projektes vor sieben Jahren kamen in den „Bio für Kinder“-Einrichtungen rund 660.000 Mahlzeiten in 100 Prozent Bioqualität auf den Tisch. Mit durchschnittlichen Bio-Mehrkosten pro Kind und Hauptmahlzeit von lediglich 30 Cent (16,5 Prozent) im Vergleich zur konventionellen Verpflegung vor Projektstart, lagen die Kosten deutlich unter den Erwartungen. Ebenso erfreulich: Alle 32 Einrichtungen haben die Bioverpflegung auch nach Ende der finanziellen Förderung beibehalten und damit nachhaltig bewiesen: Bio funktioniert, auch finanziell. Die jüngst abgeschlossene Evaluation aller „Bio für Kinder“-Einrichtungen, die das Projekt seit mindestens zwei Jahren abgeschlossen haben, ergab: Der durchschnittliche Bio-Wareneinsatz liegt bei 87 Prozent – ein äußerst erfreuliches Ergebnis und ein Beweis, dass die Umstellung nachhaltig gelungen ist.

Die Umstellung auf Biokost ist keine Zauberei. Eine Optimierung der Küchenabläufe, eine sorgfältige Kostenkontrolle und eine Mischkalkulation auf der Grundlage von mehrwöchigen Speiseplänen sind ebenso entscheidend für die erfolgreiche Umstellung wie die Anpassung der Speisepläne an Saison und Regionalität sowie eine Reduzierung des Fleisch­anteils. Ein Aktionshandbuch zur Umstellung beschreibt ausführlich, wie das gelingen kann (s.u.).

Gute Planung

Einen Schritt auf dem Weg zum Erfolg kann jedoch kein Handbuch abnehmen: Die Bereitschaft zur „Umstellung im Kopf“. Das Interesse von Erziehern wie Eltern an einer qualitativ hochwertigen Außer-Haus-Verpflegung von Kindern und Jugendlichen nimmt zu – dies zeigen nicht zuletzt Meinungsumfragen wie das „Ökobarometer 2012“. 92 Prozent der Verbraucher (Bio- und Nichtbio-Käufer) bezeichneten bei der Verbraucherabfrage die Biokost für Kitas und Kindergärten als sehr wichtig oder wichtig, für Ganztagsschulen 86 Prozent. Zunehmend wird zudem der Ruf lauter, die Ausbildung eines Ernährungsbewusstseins bei jungen Menschen stärker in den Fokus der pädagogischen Arbeit zu rücken. Die Umsetzung von Ernährungsbildung im Alltagsgeschehen der Kinderbetreuungseinrichtungen scheitert jedoch oftmals an der Zeit.

So gelingt die Umstellung auf Bio

Schritt 1: Alle Entscheider an einen Tisch versammeln und die Idee gut vorbereitet präsentieren.

Schritt 2: Die „Umsetzer“ wie Küchenpersonal, Mitarbeiter etc. in die Ideenfindung und Planung einbeziehen. Das fördert die Motivation und steigert den Ideenpool. Bei Bedenken der Mitwirkenden ist ein Testlauf mit klaren Zielen, Kriterien und Zeitplan sinnvoll, der auch mindestens ein halbes Jahr laufen sollte. Dann sind die ersten Erfolge sichtbar, nach einem Jahr ist das Projekt über den Berg, und am Ende des zweiten Jahres erinnert sich kaum jemand, dass es jemals anders gewesen ist.

Schritt 3: Für die Projektplanung sind das Wissen und die Erfahrungen der einzelnen Parteien miteinzubeziehen: Ziele formulieren, klare Verantwortlichkeiten und das schriftliche Festhalten der wichtigsten Punkte sind das A und O der Projektplanung.

Schritt 4: Die Finanzierung der Bio-Mehrkosten erfolgt zu großen Teilen durch eine Optimierung des Küchenmanagements bzw. des bisherigen Verpflegungssystems. Die Kostenkontrolle ist entscheidend, um zu erkennen, wo „das Geld bleibt“ und wo am effektivsten gespart werden kann. Ist das Küchenteam von der Projektidee begeistert und empfindet es nicht als übergestülpt, können die Möglichkeiten zur Kostenoptimierung kreativ und erfolgreich genutzt werden. Ansatzpunkte sind Mischkalkulation, weniger Fleisch, saisonale Angebote, weniger vorverarbeitete Produkte. Finanzielle Rückendeckung über Patensysteme mit Unternehmern anstreben.

Schritt 5: „Kick Off“-Treffen: Nicht in aller Stille starten, sondern ein deutliches Signal an alle Beteiligten geben: Jetzt geht es los! „Wir schaffen das!“ ist die Devise dieses Treffens. Aus dieser Veranstaltung kann die gesamte Mannschaft motiviert herausgehen und das Projekt mit vereinten Kräften anpacken. Wichtig ist, offen zu kommunizieren und Erfolge – auch die kleinen – zu feiern.

Wie jede Umstellung von Gewohntem auf Neues, so erfordert auch eine Änderung des Verpflegungssystems zunächst erhöhte Aufmerksamkeit, Engagement – und damit Zeit. Gerade in der Anfangsphase der Umstellung können deshalb externe Bio-Mentoren entscheidende Hilfestellung geben. Sie analysieren Veränderungsmöglichkeiten und Optimierungspotenzial in der Küche wie beim Speiseplan, helfen bei der Suche nach Bio-Zulieferern und leisten wertvolle Motivationshilfe, wenn es anfänglich an der einen oder anderen Stelle hakt. Seit 2011 sind deshalb im Rahmen des Münchner „Bio für Kinder“-Projektes Praxisexperten aus den Bereichen Küchenmanagement, Ernährungspädagogik und Projektmanagement als Mentoren im Einsatz, die umstellungswillige Einrichtungen begleiten.

Bio für Kinder wirkt

Bei allem persönlichen Engagement der Einrichtungen: Entscheidend für eine flächendeckende Umstellung auf Biokost sind – neben der praktischen Unterstützung der Einrichtungen – vor allem politische Weichenstellungen. Umso erfreulicher ist es, dass der Münchner Stadtrat 2011 den Beschluss fasste, den Bio-Wareneinsatz in allen städtischen Kinderbetreuungseinrichtungen auf 50 Prozent zu erhöhen. Zudem gelten auch für die konventionellen Produkte tierischen Ursprungs Qualitätskriterien im Sinne des Tier- und Umweltschutzes: Seefisch muss mit einem anerkannten Siegel der Nachhaltigkeit (z. B. MSC) gekennzeichnet sein, Eier müssen aus Bio- bzw. mindestens Freilandhaltung stammen, für Fleischprodukte muss ein Nachweis der artgerechten Haltung vorliegen. Die europaweite Ausschreibung steht kurz vor der Veröffentlichung, die Umstellung soll Anfang 2014 erfolgen. „Bio für Kinder“ war an der Ausarbeitung der entsprechenden Qualitätskriterien aktiv beteiligt.

Unbezahlbar? Eine im Auftrag des Referates für Gesundheit und Umwelt erstellte Studie von a’verdis bestätigte: Bei ausschließlicher Verwendung von Bio-Eiern, Fleisch aus artgerechter Tierhaltung und Fisch aus bestandschonender Fischerei belaufen sich die Mehrkosten im Wareneinsatz auf lediglich rund 27 Euro pro Kind und Schuljahr.

Nachahmen empfohlen

Die Erfolgsrezepte der Einrichtungen, ihre Erfahrungen und Tipps werden im Aktionhandbuch „Zur Nachahmung empfohlen: Bio für Kinder“ zusammengefasst und können bei Tollwood bzw. dem Referat für Gesundheit und Umwelt kostenlos bestellt bzw. unter www.bio-fuer-kinder.de heruntergeladen werden.

Bereits jetzt zeigen viele Städte großes Interesse am „Münchner Modell“. Bleibt zu hoffen, dass das Modell viele Nachahmer findet. Denn: Was in München funktioniert, kann überall funktionieren. Die wichtigste Voraussetzung ist der politische Wille und damit die Unterstützung auch von öffentlicher Seite. Eltern wie Kinderbetreuungseinrichtungen sollten weiterhin dafür sorgen, dass das Thema gesunde Ernährung in Kita wie Schule nicht vom Tisch kommt.

Quelle: Weigel S. UGB-Forum 5/13, S. 214-217
Foto: B. Wackerbauer/Tollwood