Stress entsteht im Kopf

Was den einen auf die Palme bringt, lässt den anderen kalt. Wer belastenden Situationen mit einer positiven Einstellung begegnet, lässt sich nicht so leicht aus der Ruhe bringen.

Stress, Stress-Bewältigung

Mit perfektionistischen Leistungsansprüchen, übertriebenem Ehrgeiz und übersteigertem Verantwortungsbewusstsein setzen wir uns selbst unter Druck. Schon der griechische Philosoph Epiktet sagte: "Es sind nicht die Dinge oder Ereignisse an sich, die uns beunruhigen, sondern die Einstellungen und Meinungen, die wir zu den Dingen haben." Stress entsteht immer dann, wenn Anforderungen und unsere Einschätzung, sie bewältigen zu können, nicht übereinstimmen. Das Stresserleben ist umso intensiver, je gewaltiger uns die Anforderungen im Verhältnis zu unserer eigenen Leistungsfähigkeit erscheinen.

Ungeduld fördert Stress

Während der eine bei einem verlegten Haustürschlüssel gelassen mit den Schultern zuckt, sieht ein anderer rot. Wo mancher unter Versagensängsten leidet, wittern andere ihre Chance. Der Grund für diese Unterschiede liegt darin, dass jede Situation entsprechend der persönlichen Vorerfahrungen bewertet wird. Erfahrungen wiederum beeinflussen unsere Erwartungen und Befürchtungen, unsere Motive und Ziele, die Ansprüche an uns selbst und an andere. Die Einstellung, die uns Situationen als stressig erleben lässt, wirkt gewissermaßen als persönlicher Stressverstärker. Ein ausgeprägtes Profilierungsstreben, Perfektionismus, Ungeduld und besonders auch die Unfähigkeit, eigene Leistungsgrenzen zu akzeptieren, sind weit verbreitete Beispiele für solche Stressverstärker. Die Vorstellung, selbst unentbehrlich zu sein, sowie eine Einzelkämpfer-Mentalität, die es nicht erlaubt, Unterstützung von anderen anzunehmen, kommen vielfach noch verschärfend hinzu. Der Wunsch, es möglichst allen Menschen recht machen zu wollen, ein überstarkes Harmoniestreben und eine (zu) starke Abhängigkeit von der Zuwendung anderer Menschen tragen häufig zum intensiven Stresserleben bei. Manchmal wird Stress auch gebraucht, um unangenehmen Stimmungen aus dem Weg zu gehen. Man setzt sich unter Druck, um innere Leere, depressive Verstimmungen, Gefühle von Sinnlosigkeit und Einsamkeit nicht aufkommen zu lassen. Stress wird so gewissermaßen ein Mittel zur Flucht vor sich selbst.

Stress-Bewältigung - die eigene Seite annehmen

Oft fällt es ziemlich schwer, die persönlichen Stressverstärker zu erkennen und anzunehmen. Unsere eigene Sicht der Dinge erscheint uns als einzig mögliche und richtige. Hier sind Mut und die Fähigkeit, sich selbst kritisch zu hinterfragen, notwendig. Wenn wir zum Beispiel unter Zeitdruck stehen, liegen die Ursachen dann wirklich ausschließlich in den äußeren Terminvorgaben? Oder spielen dabei auch die eigene Ungeduld oder der Wunsch, möglichst viel auf einmal machen zu wollen, eine Rolle? Manch einer gerät in Stress, nachdem der Vorgesetzte ihm eine neue Aufgabe zugeteilt hat - vielleicht sogar mit der Bemerkung, dass er dafür einen besonders fähigen Mitarbeiter brauche. Doch wo liegt die eigentliche Ursache für den Stress? Ist der Grund allein die objektive Schwierigkeit der neuen Aufgabe oder spielen hierbei möglicherweise auch perfektionistische Leistungsansprüche an sich selbst eine Rolle oder das Bestreben, die Erwartungen des Chefs nicht enttäuschen zu dürfen?

Allzu leicht sind wir geneigt, die Ursachen in den äußeren Umständen oder im Verhalten anderer Menschen zu suchen. Es ist jedoch davon auszugehen, dass es sich bei jedem alltäglichen Stressgeschehen immer um ein Zusammenspiel von äußerer Belastung und inneren persönlichen Verstärkern handelt. Den eigenen Anteil am Stressgeschehen wollen manche Menschen nicht wahrhaben. Ein Grund hierfür ist, dass sie dies innerlich mit einem Schuldeingeständnis gleichsetzen, das Gefühle von Inkompetenz, Versagen und Selbstvorwürfe auslöst. Das aber ist ein Missverständnis. Es geht nicht um eine persönliche Schuld und individuelles Versagen. Wer erkennt, was die eigenen Stressanteile sind, befreit sich aus der erlebten, einseitigen Abhängigkeit von den äußeren Umständen, denen wir uns als hilflose Opfer ausgeliefert sehen. Diese Erkenntnis öffnet uns den Blick auf Entscheidungsmöglichkeiten und auf die Handlungsspielräume, die wir haben. So können wir trotz bestehender äußerer Belastungen für unser eigenes körperliches und seelisches Wohlbefinden sorgen.

Stress-Bewältigung - zu neuen Sichtweisen finden

Es geht darum, sich selbstkritisch die eigenen Stress erzeugenden oder verschärfenden Einstellungen und Bewertungen bewusst zu machen und diese allmählich zu verändern. Dazu zählt, dass man Schwierigkeiten nicht als Bedrohung, sondern als Herausforderung sieht und sich des Gelungenen bewusst wird. Wer dafür Dankbarkeit empfindet, weniger feste Erwartungen an andere hat und die Realität akzeptiert, erlebt weniger Stress. Um sich in Stresssituationen auf neue Gedanken zu bringen, ist es hilfreich, auch nach den positiven Seiten zu schauen und sich zu fragen, ob man das Negative zu stark verallgemeinert. Man kann sich auch bewusst machen, dass in einem Monat oder Jahr alles weniger dramatisch sein wird. Manchmal tut es gut, zu überlegen, was schlimmstenfalls geschehen würde und was daran wirklich so furchtbar wäre. Vielleicht gibt es auch etwas, das einem sehr wichtig ist und Mut und Sicherheit geben kann.

So bauen Sie Stress ab

  • Perfektionismus kritisch überprüfen und eigene Grenzen akzeptieren
  • Schwierigkeiten als Herausforderung sehen
  • innere Distanz wahren
  • das Positive und Gelungene bewusst wahrnehmen
  • den Blick für das Wesentliche schulen
  • Verletzungen oder Ärger loslassen und vergeben lernen
  • weniger feste Vorstellungen haben und die Realität akzeptieren
  • falschen Stolz ablegen, das heißt sich selbst weniger wichtig nehmen und auch mal mit Humor begegnen


Besonders in Situationen, die nicht veränderbar sind, können Fragen nach der Chance zu alternativen Bewertungen anregen: "Was kann ich in dieser Situation lernen?" oder "Welche Aufgabe habe ich im Augenblick?" bezeihungsweise "Welchen Sinn finde ich in dieser Situation?". Diese Fragen helfen nicht nur in stressigen Phasen, sondern allgemein im Leben. Natürlich lassen sich nicht alle Belastungen auf diese Weise abbauen. Zu einer erfolgreichen Stressbewältigung gehören daher immer auch Strategien, die darauf abzielen, eingetretene körperliche und emotionale Stressreaktionen zu lindern und für einen Ausgleich zu sorgen.

Wege zur Stress-Bewältigung

Grundsätzlich ist eine veränderte Einstellung nur ein Ansatzpunkt zur Stressbewältigung. Besonders wirkungsvoll lässt sich Stress reduzieren, wenn auch die Ursachen bekämpft und die Folgen gelindert werden. Belastungen erscheinen vielen Menschen oft als nicht veränderbar. Dies mag manchmal, aber sicher nicht immer zutreffen. Um Stress zu verringern, hat sich eine Zeit- und Aufgabenplanung bewährt. Dabei geht es nicht darum, Zeit zu sparen, sondern auch Platz für Unvorhergesehenes und Pausen zu berücksichtigen (siehe auch Seite 293).Sich selbst zu behaupten, die eigenen Interessen angemessen zu wahren und durchzusetzen ist ein wichtiger und notwendiger Schutz vor Überforderung. Dazu gehört insbesondere das Nein-Sagen. Wer seine eigenen Bedürfnisse ständig hinten anstellt und es allen recht machen will, verursacht sich selbst viel Stress. Eine Mutter, die beispielsweise Taxidienste für die Kinder und das Bewirten der Geschäftspartner des Ehemanns übernimmt, erlebt oft, dass Zeit und Kraft für eigene Interessen fehlen. Selbstbehauptung bedeutet nicht Rücksichtslosigkeit anderen gegenüber. Gemeint ist vielmehr, die eigenen Wünsche, Bedürfnisse und Gefühle klar und eindeutig so zu äußern, dass sie von anderen angenommen und verstanden werden können. In diesem Sinne kann Selbstbehauptung auch dazu beitragen, die Beziehungen zu anderen Menschen offener und vertrauensvoller zu gestalten und dadurch zu vertiefen.

Gefühle zu äußern, beugt Konflikten und dadurch erzeugten Stress vor

Ebenso gehört zum Stressabbau, um Unterstützung zu bitten. Dies fällt vielen Menschen besonders schwer. Angst vor Ablehnung und das Gefühl, dass das Äußern einer Bitte dem Eingeständnis einer persönlichen Schwäche gleichkommt, spielen hierbei eine Rolle. Wem es gelingt, seinen Mitmenschen die Chance zum Helfen zu geben, kann davon profitieren. Ein anderer wichtiger Punkt ist zu lernen, Ärger auszudrücken. Denn unterdrückte Wut steigert die innere Erregung und körperliche Anspannung. Wird Frust aufgestaut, bedarf es nur noch eines kleinen Anlasses, um das Fass zum Überlaufen zu bringen. Für einen gesunden Umgang mit sich selbst und anderen ist es wichtig, alltäglichen Ärger auch über scheinbare Kleinigkeiten anzunehmen und möglichst frühzeitig zu äußern. Der andere kann den Ärger dann leichter verstehen, ohne dass es zu einer anhaltenden Verstimmung kommt.

Stress abbauen: Entspannen und Freizeit aktiv gestalten

Entspannungstechniken können helfen, Stressfolgen zu lindern. Gerade wer unter dauernder Anspannung steht, findet nur schwer innere Ruhe und körperliche Entspannung. Auch wenn die äußere Situation einmal ruhig ist, kreisen die Gedanken weiter und die körperliche Anspannung bleibt bestehen. Entspannen und Abschalten aber kann man lernen. Die verschiedenen Methoden wie Autogenes Training, Progressive Muskelentspannung oder Meditationen haben eins gemeinsam: Sie sind nur dann effektiv, wenn sie systematisch trainiert werden. Tägliches Üben über mehrere Wochen hinweg ist die Voraussetzung zum Erfolg.

Besonders wichtig ist auch die körperliche Aktivität (siehe Seite 273 der Printausgabe). Schon der Urmensch hat die Energie, die durch Stress freigesetzt wird, mit Bewegung in Form von Kampf oder Flucht abgebaut. Auch für uns heutige Menschen ist Bewegung eine natürliche und effektive Methode, um körperliche Erregung und innere Spannungen loszuwerden.

Gestresste Menschen neigen dazu, Freizeitaktivitäten wie Hobbys und Sport sowie soziale Kontakte einzuschränken und Interessen verkümmern zu lassen. Doch das ist ein Teufelskreis. Dadurch geben sie dem Stress immer mehr Raum in ihrem Leben und berauben sich selbst der Möglichkeiten, für Ausgleich und Regeneration zu sorgen. Die Belastbarkeit sinkt und der alltägliche Stress bedrückt noch mehr. Die Freizeit zu bewahren und aktiv zu gestalten, ohne sie zu überfrachten, sind daher weitere Schritte hin zu einem stressfreieren und damit gesünderen Leben.

So wie die Auslöser für Stress für jeden unterschiedlich sind, so individuell sind auch die Wege zu seiner Bewältigung. Patentrezepte und oberflächliche Ratschläge helfen normalerweise nicht weiter. In Kursen zur Stressbewältigung kann der Einzelne lernen, in einer Gruppe und unter fachkundiger Anleitung seinen persönlichen Weg zu mehr Ruhe und Gelassenheit im Alltag zu finden.

Onlineversion von:

Kaluza, G.: UGB-FORUM 6/05 S. 269-272