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Mobbing: Wenn der Job zum Albtraum wird ...

Die Ursachen für Mobbing sind vielschichtig. Zunehmender Leistungsdruck und mangelnde Kommunikation erhöhen den psychischen Druck, dem viele Berufstätige ausgesetzt sind. Bevor aus Kollegen und Vorgesetzten Feinde werden, sollten Betriebe vorbeugen.

Mobbing

Schon seit Wochen ist die Buchhalterin Katja Bertram krank geschrieben. Seit fünf Jahren arbeitet die 29-Jährige im Lohnbüro eines Versandhandels. Doch seit vor einem Jahr ein neuer Chef kam, ist für sie der Weg ins Büro zur Tortur geworden. Der neue Vorgesetzte rüffelte ihre angeblich langsame und schlampige Arbeitsweise. Immer wenn es einen Abrechnungsfehler gab, bekam sie die Schuld zugewiesen, selbst wenn sie für den Vorgang gar nicht verantwortlich war. Sogar Kollegen, mit denen Katja Bertram bis dahin gut ausgekommen war, beschwerten sich auf einmal über ihre Arbeit; Unterlagen verschwanden auf unerklärliche Weise. Verunsichert durch die ständig wiederkehrenden Vorwürfe schlichen sich tatsächlich Fehler ein. Jeden Tag kam Katja Bertram zermürbt von der Arbeit nach Hause und fand auch nach Feierabend und am Wochenende keine Ruhe mehr. Schlaflosigkeit und Kopfschmerzen brachten sie auch körperlich in einen schlechten Zustand, so dass ihr Hausarzt sie krank schreiben musste.

Ähnlich wie Katja Bertram geht es Hunderttausenden von Arbeitnehmern. Immer häufiger führen zwischenmenschliche Probleme zu erheblichem Konfliktpotenzial in den Betrieben. Dabei ist nicht die Rede von den "normalen" betrieblichen Konflikten. Gemeint sind vielmehr Phänomene, die die Lebensfreude und Gesundheit der Betroffenen ernsthaft bedrohen und die betrieblichen Ziele massiv stören. Unter dem Begriff "Mobbing" ist dieses Phänomen seit geraumer Zeit bekannt. Mobbing bedeutet, dass jemand am Arbeitsplatz systematisch und über einen längeren Zeitraum schikaniert, drangsaliert, benachteiligt und ausgegrenzt wird.

Jeder neunte Arbeitnehmer ist von Mobbing betroffen

Laut Mobbing-Report der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) werden heute drei von 100 Beschäftigten am Arbeitsplatz diskreditiert, gedemütigt, verleumdet, beleidigt, an ihrer Arbeit gehindert, seelisch zermürbt oder körperlich bedroht - kurz sie werden gemobbt. Bei rund 37 Millionen Erwerbstätigen sind das etwa eine Million Betroffene. Rechnet man die Mobbingopfer der Vergangenheit hinzu, ergibt sich, dass jeder neunte Beschäftigte im erwerbsfähigen Alter schon mindestens einmal gemobbt wurde. Die Wahrscheinlichkeit von Mobbing betroffen zu sein, ist für Frauen sowie jüngere und ältere Erwerbstätige deutlich höher. Nach Angaben von Betroffenen sind Führungskräfte zu mehr als 50 Prozent aktiv in das Mobbinggeschehen involviert. Diese Beobachtung ist besonders bedenklich, da gerade Führungskräfte für Konfliktmanagement und reibungslose Abläufe in den Betrieben eine besondere Verantwortung tragen müssten.

Der dauerhafte Psychoterror am Arbeitsplatz zeigt seine Wirkung auf die Betroffenen. Er verschlechtert das gesundheitliche Befinden, senkt die Leistungsfähigkeit und stört das Sozialverhalten. Gemobbte Mitarbeiter werden unsicher, ängstlich, nervös und nicht zuletzt lust- und antriebslos. Das setzt einen Teufelskreis in Gang. Der psychische Dauerstress führt bei den Betroffenen zu Konzentrations-, Denk- und Leistungseinbußen. Fehler häufen sich, weitere Kritik setzt ein, Stress kommt auf, der Druck wächst und schließlich schrumpft das Selbstbewusstsein. Viele Mobbingbetroffene stellen sich die Frage, ob sie an ihrer Situation nicht selbst schuld sind. Sie zweifeln sowohl an ihrer Leistungsfähigkeit als auch an ihrer Sozialkompetenz. Nicht selten eskaliert die Situation so weit, dass die Betroffenen ihren Arbeitsplatz verlieren.

Fast 90 Prozent der Gemobbten klagen während oder nach dem Mobbingprozess über psychische und physische Probleme. Dabei handelt es sich anfangs oftmals um stressbedingte Symptome wie Schlafstörungen, Kopfschmerzen oder Niedergeschlagenheit. Nicht selten führen diese Befindlichkeitsstörungen aber zu manifesten Erkrankungen wie schweren Depressionen, Erkrankungen des Magen-Darmbereichs oder Herz-Kreislauferkrankungen. Dadurch wird Mobbing zum Kostenfaktor. Gemobbte Mitarbeiter sind häufiger krank, weniger motiviert und weniger produktiv. Gerade in Zeiten von Globalisierung und wachsendem Konkurrenzdruck sind es aber die Mitarbeiter in den Unternehmen, die mit ihrer Motivation, ihrer Leistungsfähigkeit und auch Leistungsbereitschaft den entscheidenden Wettbewerbsfaktor darstellen.

Mobbing-Prävention muss auf breiter Basis ansetzen

In der Regel gibt es keine einzelne Ursache für Mobbing. Meist ist es ein Geflecht aus individuellen Motiven und Verhaltensweisen, ursprünglichen Konflikten und begünstigenden Rahmenbedingungen, das das Mobbing-Risiko erhöht. Das macht die Bearbeitung der Konfliktsituation nicht gerade leichter. Dementsprechend sind auch die Ansatzpunkte für eine effektive Prävention bzw. für die Konfliktbearbeitung vielschichtig. Wer Mobbing im Betrieb effektiv vorbeugen will, muss an verschiedenen Ebenen ansetzen: Das beginnt bei der Unternehmensphilosophie, der Qualifizierung der Führungskräfte sowie der Einbeziehung des Personal- oder Betriebsrats und reicht bis zur Sensibilisierung der Mitarbeiter und dem Verhalten der Betroffenen.

Unternehmen

Wenn Mobbing glaubwürdig aufgearbeitet bzw. vorgebeugt werden soll, muss sich das Unternehmen eindeutig positionieren. Frei nach dem Spruch "die Treppe wird von oben nach unten gekehrt" muss sichergestellt sein, dass kollegiales Verhalten bzw. konstruktive Bearbeitung von Konflikten ein Bestandteil der gelebten Unternehmensphilosophie ist. Ein Ausdruck dieser Kultur kann zum Beispiel eine Betriebs- oder Dienstvereinbarung sein oder aber auch die Festlegung eines definierten Beschwerdewegs. Wichtig ist dabei, dass diese Maßnahmen auch im betrieblichen Alltag wieder zu finden sind und nicht nur in Hochglanzbroschüren Bestand haben.
Ein wesentlicher Schritt, um Mobbing einzuschränken, liegt in der Beseitigung möglicher Defizite in der Arbeitsorganisation. Hier gilt es, klare arbeitsorganisatorische Strukturen zu schaffen. Dazu gehören eine offensive Informationspolitik, Aufgaben und Verantwortlichkeiten festzulegen, eine beteiligungsorientierte Gestaltung von Planungs- und Entscheidungsprozessen sowie Transparenz in Bezug auf Entscheidungen.

Führungskräfte

Den Führungskräften kommt aufgrund ihres großen Einflusses im betrieblichen Alltag eine wesentliche Rolle bei der Prävention von Mobbing zu. Leider werden Konflikte aber oft ignoriert oder tabuisiert, statt sie zu akzeptieren und offensiv anzugehen. Führungskräfte sollten deutlich machen - auch durch ihr eigenes Verhalten -, dass sie Mobbing keinesfalls als Mittel zur Konfliktlösung akzeptieren. Ist das Thema in dieser Form einmal in die betriebliche Diskussion gebracht, schreckt es potenzielle Mobber ab. Ferner kommt es darauf an, mögliche Defizite in der Arbeitsorganisation zu beseitigen. So sollte das Stresspotenzial für die Beschäftigten reduziert und ihre Handlungssicherheit gestärkt werden. Transparente Abläufe und Entscheidungen führen zu klareren Strukturen und weniger "tabuisiertem" Konfliktpotenzial.

Kollegen

Der Mobbing-Report hat ermittelt: Je mehr Kollegen beteiligt sind, desto länger dauert das Mobbing an. Oder andersherum: Je länger ein Mobbingprozess dauert, desto größer ist der Personenkreis, der involviert ist. Wer als Kollege mitbekommt, dass ein anderer gemobbt wird, sollte deshalb schnell aktiv werden und eingreifen. In der Tat ist es so, dass dieses Eingreifen Zivilcourage verlangt. Sich gegen eine Gruppe von Kollegen zu stellen und zu den Schwächeren zu halten, macht vielen Beschäftigten Angst. Deshalb ist es auch von wesentlicher Bedeutung, dieses Verhalten durch die Unternehmenskultur bzw. durch die Führungskräfte zu unterstützen.

Betroffene

Um den Mobbingprozess zu einem möglichst frühen Zeitpunkt unterbrechen zu können, ist es wichtig, dass sich die Betroffenen möglichst bald über ihre Situation klar werden. So haben sie die Möglichkeit, direkt auf ihre Kollegen zuzugehen. Obwohl die Selbsthilfe statistisch gesehen nicht so häufig zum gewünschten Erfolg führt, ist es doch für viele Betroffene von besonderer Bedeutung, aktiv in die Situation einzugreifen und sich nicht ausgeliefert zu fühlen. Nicht selten besteht auch die Möglichkeit, andere Kollegen zu sensibilisieren und auf die belastende Situation aufmerksam zu machen, um so Unterstützung zu bekommen. Ist das nicht möglich, können sich Betroffene auch an den Vorgesetzten wenden. Wie die vorliegenden Zahlen zeigen, ist es leider nicht die Ausnahme, dass der Vorgesetzte am Mobbingprozess aktiv beteiligt ist. In diesem Fall ist der direkte Weg zum Personal- oder Betriebsrat angezeigt. Gemeinsam kann man sich dann an die Geschäftsleitung wenden.
Neben der innerbetrieblichen Unterstützung können Betroffene auch außerbetriebliche Hilfsmöglichkeiten nutzen. Dabei ist es wichtig, nicht nur die Familie, sondern auch professionelle Hilfe einzubeziehen. Je nach Problemlage kann dabei dem Arzt, dem Therapeuten oder einem Anwalt eine wichtige Funktion zukommen. Selbsthilfegruppen findet man in den einzelnen Städten zum Beispiel über das Gesundheitsamt, kirchliche Dienste oder zum Teil auch über die Krankenkassen.

Personal- und Betriebsrat

Einem aktiven Betriebs- bzw. Personalrat stehen zahlreiche Mitwirkungs- und Mitbestimmungsmöglichkeiten zur Verfügung. So kann er auf die Gestaltung der Arbeitsabläufe und betrieblichen Rahmenbedingungen positiven Einfluss nehmen. Im konkreten Fall bietet er Konfliktgespräche mit den Beteiligten an. Er kann in erheblichem Maße zur Klärung eines Konfliktes beitragen, indem er die objektiven Rahmenbedingungen analysiert und darauf aufbauend Lösungsmöglichkeiten entwickelt bzw. die Geschäftsleitung bei der Entwicklung von Lösungsmöglichkeiten unterstützt. Obwohl Globalisierung und Wettbewerbsdruck in der Arbeitswelt in hohem Tempo fortschreiten, kann doch eine zunehmende Sensibilisierung für Themen wie Stress, psychische Belastung und Mobbing in den Betrieben beobachtet werden. Neben der Analyse der Probleme, wie sie im Mobbing-Report vorgenommen werden, sind Aufklärung und Qualifizierung die wesentlichen Bestandteile der Prävention.

Quelle: Beermann, B.: UGB-Forum 2/04, S. 68-71
Foto: djd/TCM Fachklinik Bad Pyrmont