Wie Lernen funktioniert

Ob alt oder jung, wir lernen unser Leben lang. Meist geschieht das ganz nebenbei – beeinflusst von Emotionen, Neugier und persönlichen Beziehungen. Am besten lernen wir etwas, wenn wir es selbst ausprobieren können.

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Lernen scheint für alle Altersgruppen ein aktuelles Thema zu sein: Schon Babykurse sollen helfen, die Kleinen aufs Leben vorzubereiten. Die Kurse reichen von Zeichensprache bis zu Englisch für Babys. Schulkinder sollen mehr und bei verkürzter Zeit auf den Gymnasien auch schneller lernen, damit sie früher auf den Arbeitsmarkt kommen und so mit Absolventen anderer Länder konkurrenzfähig bleiben. Arbeitnehmer sollen sich in Abendkursen weiterbilden und auch ältere Menschen bleiben in Kursangeboten nicht ausgespart: Neben Sport-, Theater- und Kunstkursen wird mit Denksport geworben, damit man im Alter noch länger fit im Kopf bleibt. In vielen Kursen können Senioren zudem lernen, mit der aktuellen Technik umzugehen, um mit Kindern und Enkelkindern mithalten zu können.

So lernt das Gehirn

Aber helfen solche Angebote wirklich, um schlauer zu werden? Wie lernen Kinder und Erwachsene überhaupt? Welche Rolle spielen beim Lernen Spaß und Neugier? Um diese Fragen zu beantworten, muss zunächst geklärt werden, was beim Lernen im Gehirn eigentlich passiert. Unser Gehirn ist ein Meis­ter der Aufnahme, des Erinnerns und Neusortierens von Informationen. In ihm läuft die Gesamtheit aller Informationen aus den Reizen des Körpers und der Umwelt zusammen. Mit im Durchschnitt nur knapp anderthalb Kilogramm, also circa zwei Prozent der Körpermasse eines Menschen, ist das Gehirn eher ein Leichtgewicht und dabei wohl der wichtigste Teil unseres Körpers. Es verschlingt 20 Prozent des Energiebedarfs, den wir mit der Nahrung aufnehmen, und ist kontinuierlich damit beschäftigt, die innere Ordnung unseres Körpers aufrecht zu erhalten.

Das Gehirn besteht aus einem Netzwerk von Nervenzellen und deren Verbindungen. Unter Lernen verstehen Wissenschaftler die Bildung neuer Verbindungen und die Vertiefung dieser Verbindungen. Beim Lernen knüpfen wir an die bereits vorhandenen Verbindungen und Nervenzellen an. Deshalb fällt es leichter, etwas zu lernen, wenn wir bereits Erfahrungen gesammelt haben und an das Vorhandene anknüpfen können. Die Verbindungen werden umso fester, je häufiger wir etwas tun. Und umso besser können wir uns an die abgespeicherten Informationen erinnern. Um Fahrradfahren zu lernen, muss ein Mensch bereits gelernt haben, zu laufen und seine Körperspannung zu halten. Die ersten Fahrversuche sind meist unsicher und etwas wackelig, aber je häufiger man sich auf den Drahtesel setzt, desto besser wird das Fahren.

Lernen findet oft beiläufig statt

Beim Fahrradfahren lernen wir nicht nur, unser Gleichgewicht immer besser zu halten. Wir lernen nebenbei auch noch eine Menge anderer Dinge, beispielsweise sich in der Umgebung zu orientieren, in der man fährt. Lernen findet nicht immer mit dem expliziten Ziel des Wissenserwerbs oder der Verbesserung von Fähigkeiten statt. Gelernt wird nicht nur bewusst in der Schule oder in Kursen, sondern meist beiläufig, während eigentlich ganz andere Ziele verfolgt werden. Ein wichtiger Motor dafür sind Spaß, Interesse und Neugier. Das gilt nicht nur für fachliche Kompetenzen wie Lesen, Schreiben und Mathematik, sondern auch für Lern- und Selbstkompetenzen. Menschen sind aber höchst unterschiedlich. Jedes Kind und jeder Erwachsene lernt in seinem eigenen Tempo – und oft lernt man auf unterschiedlichen Gebieten unterschiedlich schnell. So können Kinder im gleichen Alter erhebliche Entwicklungsunterschiede aufweisen. Lernen geschieht also zu jeder Zeit und nicht nur in der Schule oder einem Abendkurs.

Kompetenzerleben: Motor für die Motivation

Aber warum wollen wir immer etwas Neues lernen? Wo kommt die menschliche Neugier her? Warum fragen uns Kinder Löcher in den Bauch? Warum stecken sich Menschen freiwillig hohe Ziele, für die es meist keine ersichtliche Belohnung gibt? Entscheidende Gründe sind, dass einem das Erreichen von Zielen ein gutes Gefühl gibt und man sich kompetent fühlen möchte. Denn das ist ein menschliches Grundbedürfnis.

Kompetenzerleben ist der Motor für die eigene Motivation und somit für neue Erfahrungen. Nicht umsonst werden Extremsportarten immer beliebter und Reiseziele immer exotischer. Kinder erleben ihre Kompetenzerfahrungen vielseitig im Spiel. Der Mensch möchte sich Wagnissen aussetzen, Anstrengungen überwinden und sich neuen Dingen stellen, um das Bedürfnis zu stillen, sich kompetent zu fühlen. Dabei bestimmt die Schwierigkeit des Gebietes über Erfolg oder Misserfolg, also darüber, ob man sich kompetent oder inkompetent erlebt. Die Herausforderung darf folglich weder zu klein noch unerreichbar sein. Ist beispielsweise beim Tennisspielen der Gegner schwächer als man selbst oder der Profi des Teams, wird vermutlich kein positives Kompetenzerleben eintreten. Die Lust am Spiel geht laut Studien eher zurück. Ist der Gegner jedoch etwas stärker als man selbst und man schafft es, ihn in einem Match zu schlagen, ist die Wahrscheinlichkeit für ein Erfolgserlebnis am größten. Auch eine Niederlage wird hierbei eher gut verkraftet, immerhin war der Gegner ja etwas stärker.

Jeder Lernende kann also Kompetenzerlebnisse erfahren, vorausgesetzt die jeweiligen Lernumgebungen bieten entsprechende Herausforderungen. Einerseits wird damit ein Grundbedürfnis befriedigt und andererseits ermöglichen Herausforderungen in unterschiedlichen Bereichen, besonders viel dazuzulernen.

Interesse macht das Lernen leichter

Der Mensch lernt neue Verhaltensweisen oder Dinge besonders nachhaltig, wenn er die Sache für sich selbst als bedeutsam bewertet. Eine solche Bewertung ist natürlich eine subjektive Einschätzung und passiert ebenfalls nebenbei. Wie auch das Kompetenzerleben ist der Wunsch nach einem selbstbestimmten Handeln Teil der eigenen Motivation. Daraus leitet sich automatisch ab, dass Lernen nicht durch Frontalunterricht des Lehrers oder Kursleiters stattfinden sollte, sondern sich jeder Mensch aktiv mit seiner Umwelt auseinandersetzen sollte, um tiefe Gedächtnis­spuren im Gehirn zu bilden. Es geht darum, eigene Erfahrungen zu sammeln und zwar möglichst vielseitig. In einem Film zu sehen, wie man einen Drachen steigen lässt, reicht nicht, um einen Drachen in der Wirklichkeit tatsächlich zum Fliegen zu bringen. Man muss den Wind spüren, sich an den richtigen Ort begeben, in der richtigen Richtung zum Wind stehen, die Länge der Leine entsprechend abschätzen und den Drachen im richtigen Moment hochwerfen. Hat man all diese Sachen selbst erlebt und beachtet, wird der Drache auch fliegen.

Positive Emotionen verankern Lerninhalte

Nachhaltiges Lernen wird durch anregende Menschen und eine anregende Umwelt unterstützt. Lernen bedeutet nicht, das eingepaukte Auswendiggelernte nach der Prüfung sofort wieder zu vergessen. Es bedeutet Erfahrungen zu machen, etwas auszuprobieren, Wege zu finden und Dinge zu hinterfragen. Aber es bedeutet auch, selbstbestimmt Entscheidungen zu treffen, was man lernen möchte. Wir fühlen Freude, wenn wir neue Erfahrungen sammeln. Deshalb lernen wir mit mehr Leichtigkeit und Freude, wenn wir uns für ein Thema besonders interessieren. Wenn es um das Aneignen neuer Lerninhalte geht, spielen neben den bisher bereits genannten Faktoren auch Emotionen eine bedeutende Rolle. Vorgänge, die wir als neutral bewerten, können nicht so gut behalten werden wie Erlebnisse, die wir mit Emotionen verbinden. Darüber hinaus wurde durch Messungen belegt, dass kognitive Verbindungen langsamer ablaufen als unsere emotionalen. Man kann also sagen, bevor wir etwas entscheiden, haben unsere für die Emotionen verantwortlichen neuronalen Strukturen die Sachlage schon beurteilt und eine entsprechende elektrische Spannungsänderung hervorgerufen – sozusagen das innere Bauchgefühl. Abhängig von den jeweiligen Erregungszuständen wirken sich Emotionen dann positiv oder negativ auf die Leistungspotenziale und das Lernen aus.

Belastende Gefühle behindern das Denken

Für die Vermittlung von Emotionen, die ein positives Gefühl bei uns auslösen, verfügt das Gehirn über ein besonderes System. Damit der Mensch nicht verhungert oder seine Spezies ausstirbt, besitzt er ein Selbstbelohnungssystem, bei dem Glücksbotenstoffe ausgeschüttet werden; beispielsweise bei der Nahrungsaufnahme oder bei sexuellem Interesse. Dieses Prinzip greift auch, wenn wir Ziele erreichen, die wir uns vorher gesteckt oder eine Prüfung erfolgreich abgeschlossen haben. Denn dann verschafft uns das Selbstbelohnungssystem das Empfinden von Stolz und ist somit verantwortlich für einen Großteil unseres Handelns, das mit einer Belohnung einhergeht. Es kann als eine innere Leistungsmotivation bezeichnet werden. Wird ein gutes Gefühl ausgelöst und machen Aktivitäten Spaß, dann wird besonders nachhaltig gelernt. Ist Lernen allerdings mit Angst verbunden, werden diese Inhalte zusammen mit der negativen Emotion abgespeichert und schließen somit kreatives Denken und Handeln aus. Denn beim Hervorrufen der Informationen wird zugleich auch die negative Emotion mit abgerufen. Eine positive innere Erregung ist also eine Voraussetzung für erfolgreiches Lernen und steht nicht im Widerspruch zu Mühe und Anstrengung.

Persönliche Beziehungen sind wichtig

So wichtig positive Emotionen fürs Lernen sind, so bedeutsam sind auch gute Beziehungen für den Lernenden. Jeder Mensch wünscht sich authentische Beziehungen, in denen das Gefühl von Vertrauen vermittelt wird, in denen es einen herzlichen, offenen sowie ehrlichen Umgang gibt und in denen man wertgeschätzt wird. Gibt es im Unterricht eine positive Schüler-Lehrer-Beziehung, hat das positive Auswirkungen auf die Lernleis­tungen der Schüler und auf das Lernklima in der Klasse. Die Schüler nehmen mehr am Unterricht teil, sind zufriedener und brechen seltener die Schule ab.

Positive persönliche Beziehungen geben dem Menschen Sicherheit, lindern Belastungen, federn negative Auswirkungen von Stress ab und sorgen für ein körperliches und emotionales Wohlbefinden. Daher ermöglicht eine persönliche Beziehung eine Weiterentwicklung für den Lernenden. Vor allem für Kinder, aber auch für Erwachsene ist eine vertrauensvolle, authentische Beziehung wichtig. Denn so wird es viel leichter, sich alleine Situationen zu stellen und eigenständiger in seinem Handeln zu werden.

Um effektiv zu lernen, benötigt man also gar nicht viel. Eine anregende Umwelt hilft, viele Erfahrungen zu sammeln. Auf die kann das Gehirn aufbauen und die Lerninhalte verankern sich fester, wenn wir aktiv werden und Dinge selbst ausprobieren. Wenn wir uns dabei kompetent fühlen, selbstbestimmte Entscheidungen treffen können und positive Emotionen im Spiel sind, steht einem effektiven Lernen vom Säugling bis ins hohe Alter nichts im Wege.

Quelle: UGBforum 2/2015, S. 58-61