Hören ist noch nicht zuhören

Zuhören ist nicht einfach. Damit das, was der Gesprächspartner mitteilen will, tatsächlich ankommt, muss man sich anstrengen. Lesen Sie, welche Kompetenzen dafür nötig sind und wie sich gutes Zuhören üben lässt.

Hören Zuhören Verstehen

Häufig wird behauptet, dass das Zuhören quasi angeboren sei, weil das Ohr das erste fertig ausgebildete Sinnesorgan ist. Das mag sein, aber hören ist noch nicht zuhören, genauso wenig wie sehen gleich lesen ist. Denken Sie an verschiedene Situationen, in denen Sie zuhören wollen oder sollen: Ein Experte erklärt Ihnen, wie ein Apparat funktioniert; Sie hören einer guten Freundin zu, die Ihnen ein ernstes Anliegen vorträgt; Sie hören Ihrem Vater zu, der wieder einmal seine Lebensweisheit zum besten gibt. Stellen Sie sich diese Situationen möglichst lebhaft vor und überlegen Sie, was Sie dabei jeweils tun und wie unterschiedlich diese Situationen sind. Was müssen Sie tun und was müssen Sie einbringen, um in diesen Situationen effektiv zuzuhören? Wenn Sie einmal auf unterschiedliche Zuhörgelegenheiten achten, werden Sie schnell merken, dass Zuhören sehr vielfältige Anforderungen stellt.

Zum einen Ohr rein, zum anderen raus

Stellen Sie sich vor, Sie sitzen im Auto und unterhalten sich mit Ihren Mitreisenden. Da melden die Verkehrsnachrichten: „Auf der A3 Richtung Würzburg sind Schafe auf der Fahrbahn. Daher kommt es zu einem Stau zwischen der Ausfahrt Marktheidenfeld und Wertheim. Bitte fahren Sie äußerst vorsichtig in diesem Bereich, das Stauende liegt in einer Kurve.“ Wahrscheinlich haben Sie von dieser Meldung nichts behalten. Sie können vielleicht noch wiedergeben, dass es um genau die Autobahn ging, auf der Sie fahren; Sie erinnern sich vielleicht auch noch an die Schafe auf der Fahrbahn; wahrscheinlich aber können Sie nicht sicher sagen, zwischen welchen Anschlussstellen die Gefahr lauert und in welcher Richtung das Problem liegt. Sie haben die Meldung gehört, aber Sie konnten nicht zuhören und die Information verarbeiten und können demzufolge nun auch keine Handlungskonsequenz daraus ableiten. Sie hoffen nun, dass die Meldung so rechtzeitig wiederholt wird, dass Sie noch mal genau zuhören können. Was machen Sie dann anders?

Warum Zuhören so schwierig ist

Zuhören ist ein komplexer Prozess in mehreren Schritten. Zuhören setzt voraus, dass der Zuhörer überhaupt etwas erfahren will. Wenn ein Mensch nichts wissen will, wird er sich nicht anstrengen (können), einer Sache konzentriert zuzuhören. Zuhören verlangt, dass Sie Ihre Konzentration aktiv auf ein Thema lenken, dass Sie zu diesem Thema Fragen haben, neugierig sind oder einfach merken, dass es spannend sein kann, sich damit zu befassen.

Zuhören bedeutet weiter, dass Sie aufnehmen, was mitgeteilt wird. Die Mitteilung kommt in aller Regel auf mehreren Kanälen und mit vielen Signalen an: Sie hören, was jemand sagt, aber Sie sehen auch die Mimik und Gestik der Person, Sie hören den Tonfall und die Stimme. Auch darin offenbaren sich dem Zuhörer Mitteilungen, denn man erfährt etwas über die Gefühle, die Einstellungen oder Befindlichkeiten des Sprechers.

Um etwas aufzunehmen, müssen Sie natürlich auch in der Lage sein, die Worte zu verstehen. Der Zuhörer schaltet ab, wenn er den Eindruck hat, er kommt vor lauter Fremdworten und Fachbegriffen nicht mit. Da hilft auch keine noch so große Anstrengung. Einen ähnlichen Effekt kann es haben, wenn der Sprecher zu einfach spricht, wenn er dialektgefärbt oder undeutlich, zu schnell oder zu langsam spricht.

Gehörtes wird nicht von selbst gespeichert

Zwar kommen die Schallwellen immer irgendwie am Ohr an, doch wird die Information nicht automatisch aufgenommen. Das sogenannte Arbeitsgedächtnis, also die (leider sehr begrenzte) Speichereinheit des Gehirns, in der die aktuell wichtige Information parat gehalten wird, muss aktiv bestückt werden. Gehörtes fällt nicht oder höchstens einmal zufällig von selbst hinein. Wenn der Zuhörer aber an dieser Stelle schon gar nicht aufnimmt, was gesagt worden ist, bleibt das Verständnis auf der Strecke. Der Zuhörer tritt mit dem Sprecher nicht mehr in Kontakt.

Im nächsten Schritt konstruiert der Zuhörer aus dem Gehörten einen zusammenhängenden Sinn: Was bedeutet das alles? Sie können gut und gern jedes einzelne Wort verstehen. Aber es ist etwas anderes, wenn Sie sich fragen, ob Sie den Sinn erfasst haben. Dabei ist es wichtig, dass Sie ausreichend Vorwissen parat haben, auf das Sie zurückgreifen können. Schließlich müssen Sie als Zuhörer in einem letzten Schritt auch das Gehörte ins Langzeitgedächtnis abspeichern. Es ist ja nicht ausreichend, wenn Sie eine Sache einmal verstanden haben, Sie wollen es auch morgen noch wissen. Als Zuhörer müssen Sie die Information so ablegen, dass Sie sie wiederfinden. Zuhören setzt sich also zusammen aus Information suchen, Information aufnehmen, Information verstehen und Information abspeichern. Jeder einzelne Schritt muss gelingen, damit am Ende gutes Zuhören herauskommt.

Wie Zuhören besser gelingen kann

Die Fähigkeit zum Zuhören muss im Prinzip genauso gelernt und geübt werden wie das Lesen. Sicher, die meisten Menschen können irgendwie lesen. Dennoch macht es in der Lesefertigkeit einen Unterschied, wie viel man liest, wie oft man liest oder was und mit welcher Absicht man liest. Dies trifft auch auf das Zuhören zu. Um Zuhören zu trainieren, können Sie auf Folgendes achten:

  • Information suchen: Damit Zuhören stattfindet, muss der Zuhörer oder die Zuhörerin das Wozu definieren. Zuhören gelingt Ihnen besser und länger, wenn Sie Ihre Konzentration auf das Hörereignis oder den Sprecher ausrichten und Störungen ausblenden. Sie werden bald wahrnehmen, dass das anstrengend ist und Energie kostet und dass Sie das nicht beliebig lange tun können. Aber der gute Zuhörer kann ein Interesse am Thema und am Sprecher entwickeln, sich auf das Thema und den Sprecher einstellen und ablenkende Gedanken und Motive kontrollieren. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass Sie als Zuhörer Ihr Bedürfnis zurückhalten, selbst etwas zu sagen und das, was Sie hören, nicht sofort bewerten.
  • Information aufnehmen: Die Kapazität des Arbeitsgedächtnisses ist begrenzt und damit auch die Menge dessen, was sich ein Mensch auf einmal behalten kann. Aber das Arbeitsgedächtnis kann man durch Tricks erweitern. So ist es hilfreich, wenn Sie die Zuhörsituation vorbereiten und vorstrukturieren, wenn Sie sich vorher überlegen, was Sie schon an Vorwissen mitbringen, was Sie wissen möchten oder wo möglicherweise die Verständnisschwierigkeiten liegen könnten. In einem Gespräch, das Sie auf diese Weise vorbereiten, werden Sie seltener kalt erwischt. Aus einer Vorlesung oder einem Vortrag den Sie vorbereitet besuchen, nehmen Sie deutlich mehr mit.
  • Information verstehen: Zuhörer sind darauf angewiesen, dass sie das, was sie hören, sehr schnell verarbeiten. Sonst kann es dazu kommen, dass man zu vorschnellen und fehlerhaften Schlussfolgerungen kommt. Ein Zuhörer, der auf vollständige Information achtet, also auch bewusst auf Mimik, Gesten und Tonfall, ist hier klar im Vorteil. Manchmal meint man eine ganze Weile, dass man alles verstanden hat, bis es schließlich offensichtlich ist, dass man auf der völlig falschen Spur war. Je eher Sie dies entdecken, desto mehr Missverständnisse und Streit können Sie vermeiden. Ganz besonders wichtig ist es aber, Bewertungen und schnelle Urteile zurückzuhalten. Denn Bewertungen färben alles ein, was man hört und man nimmt dann nicht mehr die Information auf, die der Sprecher mitteilen will, sondern bleibt bei dem hängen, was man sowieso schon immer gedacht und gewusst hat. Effektive Zuhörer prüfen durch Nachfragen nach, ob das, was sie meinen, verstanden zu haben, auch das ist, was der Sprecher sagen wollte.
  • Information abspeichern: Gesprochene Sprache ist flüchtig, das heißt, sie ist nicht mehr zugänglich, wenn der Sprecher gesagt hat, was er sagen wollte. Um auf das Gehörte zurückgreifen zu können, müssen Sie es aktiv im Langzeitgedächtnis verankern. Das können Sie tun, indem Sie sich beispielsweise ein Bild zu dem vorstellen, was Sie gehört haben. Es ist ebenfalls hilfreich, das Gehörte in eigene Worte zu fassen und kritisch darüber nachzudenken: Ist das alles logisch? Widerspricht das, was Sie eben gehört haben, dem, was Sie bisher glaubten? Hat sich der Sprecher selbst widersprochen? Welche Gefühle spielten gerade eine Rolle? Je aktiver Sie mit der Information umgehen, desto besser wird der Inhalt in Ihrem Gedächtnis verankert und desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass Sie die Information auch wiederfinden.

Mit offenen Ohren zuhören

Zuhören ist eine anspruchsvolle Tätigkeit, die in hohem Maß Energie kostet. Das heißt, sie ist anstrengend und für Fehlleistungen anfällig. Das kommt daher, weil Zuhören ein komplexer, zusammengesetzter Prozess ist, bei dem viele Elemente ineinander greifen müssen. Der Zuhörer muss sich dabei konzentriert auf das Tempo und die gedankliche Welt des Sprechers einstellen. Wenn Sie es gut machen wollen, müssen Sie Zuhören in den einzelnen Schritten lernen und üben. Mit offenen Ohren zuhören ist eine Herausforderung, aber eine lohnende. Denn noch nie ist jemandem eine neue Idee durch einen offenen Mund in den Sinn gekommen.

Buchtipp

Der Aufstand des Ohrs – die neue Lust am Hören. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2006. Reader des Funkkolleg des hessischen Rundfunks. Im Internet können 30 Radiosendungen zum Thema nachgehört werden: Funkkolleg „Erlebnis Zuhören“ 2006/2007.

Quelle: M. Imhof: UGB-Forum 6/09, S. 277-279
Foto: C. Thompson/Fotolia.com