Chancen nutzen: Kompetent in Konflikten

Wenn Konflikte auftreten, ist die ganze Persönlichkeit gefordert, damit angemessen und sinnvoll umzugehen. Wer es schafft, auch bei schwierigen Personen oder Situationen Chancen zu entdecken, kann leichter und unverkrampfter gute Lösungen finden; für sich selbst und für andere.

Sicher werden Sie mir darin zustimmen, dass Konflikte zum Leben gehören und niemand ganz konfliktfrei mit sich und der Umwelt leben kann. Einige Konflikte machen wir allein mit uns selbst aus. Da streitet sich in unserem Inneren Widersprüchliches: „Soll ich lieber dieses oder jenes tun?“ Diesen inneren Dialog hat der Kommunikationswissenschaftler Friedemann Schulz von Thun sehr anschaulich mit dem Inneren Team bezeichnet. In jeder Person leben sozusagen verschiedene Teammitglieder. Da gibt es zum Beispiel den Abenteurer, den Bedenkenträger, den Hilfsbereiten, den Großzügigen oder den Finanzminister. Wenn Sie vor Entscheidungen stehen, diskutieren Sie Vor- und Nachteile mit sich selbst. Ein Vorteil ist es, wenn Sie Ihr eigenes Team kennen. Viele unserer inneren Einstellungen werden durch diese Persönlichkeiten vertreten. Also passen Sie bei der nächsten inneren Diskussion mal genau auf, wer da mit wem diskutiert. Das kann manche interessante Entdeckung bringen.

Sach- oder Wertekonflikt?

Viele Konflikte haben wir jedoch mit anderen Menschen. Es sind meist Beziehungsprobleme in Freundschaft, Partnerschaft oder Familie, mit Kollegen oder Nachbarn. Auch Berater und Kursleiter kennen viele Konfliktsituationen aus ihrer beruflichen Tätigkeit.

Konflikte erzeugen Spannungen, manchmal auch Ängste. Heftige Emotionen werden ausgelöst – je nachdem, wie tief eine Person in einen Konflikt involviert ist oder um welche Konfliktart es sich handelt. So lassen sich etwa Sach- und Wertekonflikte unterscheiden: Sachkonflikte sind Fragen wie: „Soll man bei Glatteis mit Sand, Asche oder Salz streuen?“ Auch die Frage, welche Energiequellen sinnvoll sind, kann auf einer sachlichen Ebene diskutiert werden – wobei Ihnen sicher hier sofort auffällt: Das Thema kann auch sehr emotional behandelt werden. Viele Konflikte sind oberflächlich betrachtet Sachkonflikte – wesentliches Streitpotenzial ist aber unterschwellig vorhanden, emotional und daher verdeckt. Genau das ist es auch, was manche Konfliktlösung so schwer macht.
Eine weitere Kategorie bilden die Wertekonflikte. Menschen bewerten eigenes und fremdes Verhalten, vergleichen es mit Meinungen oder Beurteilungen und beharren oft auf erlernten Vorurteilen. Zum Beispiel werden im Bereich der Erziehung Werte zugrunde gelegt, die Eltern vermitteln wollen. Sie kollidieren häufig mit den Erziehungszielen und -maßnahmen von anderen Beteiligten, zum Beispiel in Kindergarten und Schule. Die daraus erwachsenen unterschiedlichen Erwartungshaltungen werden wiederum bewertet. Dass es dadurch zu Konflikten kommen kann, weiß jeder aus leidvoller Erfahrung.

Wunsch nach Harmonie und Frieden

Was macht es uns eigentlich so schwer, mit Konflikten angemessen umzugehen? Es gibt kein Schulfach, in dem vermittelt wird, wie man Konflikte vermeidet und löst, Eskalationen verhindert, zu klugen Kompromissen oder einem sicheren Frieden kommt. Also verhalten wir uns irgendwie nach der Methode Versuch und Irrtum – mehr oder weniger erfolgreich.
Zum anderen ist es ein Grundbedürfnis des Menschen, in Harmonie und Frieden mit anderen zusammenzuleben. Unsere Vorstellung ist oft idealisiert und anspruchsvoll: Wenn sich doch alle partnerschaftlich, rücksichtsvoll, tolerant und hilfsbereit verhalten würden – wie schön und friedvoll könnte die Welt sein. Die Wirklichkeit sieht leider anders aus. Aber wir müssen nicht im Wünschen und Träumen stecken bleiben. Wir können (und sollten) handeln und an unserer eigenen Konfliktfähigkeit arbeiten.

Aufmerksam zuhören – authentisch sein

Ein wichtiges Handwerkszeug für Konfliktfähigkeit ist eine gute Kommunikation. Sich klar und verständlich auszudrücken, fördert gegenseitiges Verständnis und verhindert manche Eskalation. Wichtig ist, dass Sie verstehen wollen – und Ihr Gegenüber dieses ehrliche Bemühen auch spürt. Sie sollten kein Interesse zeigen, sondern Interesse haben. Wer partnerschaftlich mit Einfühlungsvermögen diskutiert, klärt Sachverhalte und emotionale Befindlichkeiten. Schenken Sie Ihrem Konfliktpartner Aufmerksamkeit und hören Sie genau zu. Wechseln Sie die Perspektive und sehen Sie das Problem mal aus der Sicht Ihres Gesprächspartners. Vielleicht sind dessen Bedürfnisse und Interessen berechtigt und Sie verstehen dessen Auffassung. Vielleicht entdecken Sie die Motive, aus denen heraus der andere handelt. Vielleicht gibt es sogar mehr Gemeinsamkeiten als Trennendes.

Eine der wichtigsten Fähigkeiten im Konflikt ist aber, dass Sie sich so zeigen, wie Sie sind. Ihre Selbstsicherheit und Authentizität strahlt aus und zeigt Ihrem Gegenüber, dass Sie ein Gesprächspartner sind, der selbstbewusst, ziel- und lösungsorientiert handelt. Das schafft Sicherheit und Vertrauen und öffnet viele Wege für ein Miteinander. Übernehmen auch Sie Verantwortung für einen guten Konfliktlösungsprozess. All das gelingt natürlich am besten, wenn Sie gelassen und souverän agieren können – sogar in emotional aufgeladenen Konfliktsituationen. Die eigene Persönlichkeitsförderung ist daher die Grundlage für die Kompetenz Konfliktfähigkeit.

Wie ein reinigendes Gewitter

Ein Streit hat Signalwirkung. Er zeigt auf, dass sich etwas ändern sollte und fordert Sie auf, an anderen Verhaltensweisen zu arbeiten. Das setzt in der Regel Energien für tatsächliche Veränderungen frei. Sie suchen nach alternativen Lösungen, wägen in Kosten-Nutzen-Aufstellungen ab, entwickeln kreative Ideen und vergrößern so die Grundlage für Neuorientierung oder Entscheidung.
Mancher Streit macht einen unterschwelligen Konflikt erst sichtbar. Er kann nur gelöst werden, wenn er bewusst wahrgenommen und bearbeitet wird. Vielleicht erinnern Sie sich jetzt an einen Kon­flikt, der zu einer emotionalisierten Auseinandersetzung eskalierte; auch hier könnte das reinigende Gewitter tiefer liegende Spannungen abgebaut haben. Wenn dann die Luft klar ist, stehen die Chancen gut, einen Streitpunkt kommunikativ in Ruhe zu klären. Selbst Übertreibungen können etwas Positives haben: Die Überzeichnung verdeutlicht und macht einem manches erst klar.

In Konflikten lernen wir uns und andere besser kennen. Haben Sie sich nicht auch schon mal nach einem Streit über Ihr eigenes Verhalten gewundert? Finden Sie heraus, was Ihre Verhaltensweise ausgelöst hat: Wo ist Ihr Knöpfchen, auf das ein Konfliktpartner drücken kann, um Sie wie ein Kasperle aufgeregt aus der Kiste springen zu lassen? Gibt es sensible Stimmungen, Themen, Auslöser ...? Wenn Sie Ihr Streitverhalten analysieren, werden Sie Ihre eigene Persönlichkeitsentwicklung fördern und dadurch an Selbstsicherheit gewinnen. Beobachten Sie Ihr Verhalten über einen längeren Zeitraum – begleiten Sie bewusst Ihren ganz persönlichen Lernprozess.
Gleiches gilt natürlich auch für die Beobachtung Ihrer Konfliktpartner: Wie verhalten sie sich? Und warum? Sie werden mit dieser Technik Einblicke in die Denk- und Gefühlswelt Ihrer Mitmenschen erhalten – und das ist ein Vorteil, um Konflikte einvernehmlich und partnerschaftlich zu bewältigen.

Versöhnen kann die Beziehung vertiefen

Im Streiten besteht also eine Chance, sich besser kennen zu lernen, ein Stückchen näher zu rücken. Anders ausgedrückt: Streiten kann auch verbinden. Durch eine gemeinsam erarbeitete Konfliktlösung oder auch nur durch das Bemühen um eine Einigung, können sich zwischenmenschliche Beziehungen vertiefen. Ein Zusammengehörigkeitsgefühl kann entstehen, ein WIR. Besonders gefördert wird dieser Zusammenhalt durch gemeinsame Rituale und die Versöhnung. Feiern Sie den Erfolg einer gelungenen Konfliktbewältigung und legen Sie damit einen Grundstein für eine verbesserte Beziehung. Der Volksmund sagt: „Am schönsten beim Streiten ist die Versöhnung.“ Wenn das kein Vorteil von Konflikten ist ... Zugegeben, das alles geht nicht von heute auf morgen und braucht Aufmerksamkeit und Geduld. Und verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Sie sollen jetzt nicht nach Konflikten suchen, weil sie ja so viele Vorteile haben. Natürlich ist es sinnvoll, friedlich und harmonisch miteinander umzugehen. Wenn Sie aber in Konflikten Chancen entdecken, werden Sie mit dieser neuen Sichtweise gelassener an Menschen und Situationen wachsen und sich Ihren ganz persönlichen Nutzen erarbeiten. Konflikte trennen eben nicht nur, sondern sie können auch verbinden. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg für Ihre persönliche Konfliktfähigkeit.

Quelle: Schmitz, M.: UGB-FORUM 2/08 S. 58-61