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Wie bewertet der UGB Nahrungsergänzungsmittel, worauf sollten Konsumenten achten?

Die Lebensmittel- und Pharmaindustrie bietet zahlreiche Produkte an, die "mehr Gesundheit" suggerieren oder sogar versprechen. Es sollen damit real und angenommene Versorgungslücken mit bestimmten Nährstoffen (z.B. Folsäure) ausgeglichen, die Gesundheit und das Wohlbefinden positiv beeinflusst oder sogar Krankheiten vorgebeugt werden. Bisweilen werden aber auch "unerwünschte" Stoffe entfernt, z.B. der Fettgehalt von Lebensmitteln vermindert. Die Verbraucher werden dabei mit völlig unterschiedlichen Produktgruppen konfrontiert, die es voneinander abzugrenzen gilt. Die wichtigsten sind Funktionelle Lebensmittel, diätetische Lebensmittel und Nahrungsergänzungsmittel.

Funktionelle Lebensmittel (Functional Food) entsprechen von ihrem Erscheinungsbild her typischen Lebensmitteln. Ihre Besonderheit besteht darin, dass sie neben ihren "normalen" Funktionen als Energie- und Nährstofflieferanten einen gesundheitlichen Zusatznutzen aufweisen oder aufweisen sollen, z.B. probiotische Lebensmittel und ACE-Getränke. Diätetische Lebensmittel sind Lebensmittel, die zur Ernährung bei bestimmten Erkrankungen oder besonderen Ernährungserfordernissen angeboten werden, z.B. Säuglingsnahrung oder lactosefreie Milch. Sie unterliegen den rechtlichen Bestimmungen der Diätverordnung.
Nahrungsergänzungsmittel sind Präparate in arzneimitteltypischer Aufmachung (z.B. Tabletten, Kapseln, Pulver, Trinkampullen), die die Ernährung mit bestimmten Nährstoffen wie Vitaminen und Mineralstoffen oder anderen Stoffen mit ernährungsspezifischer Wirkung ergänzen sollen.

Es besteht wissenschaftlich gesehen kein Zweifel, dass eine vielseitige Ernährung, so wie sie von den nationalen und internationalen Fachgesellschaften empfohlen wird, grundsätzlich in der Lage ist, alle Ernährungsbedürfnisse des gesunden Menschen abzudecken. Nahrungsergänzungsmittel sind somit in der Regel nicht notwendig. Nach Einschätzung von Experten sind jedoch bei in Deutschland legal vertriebenen Nahrungsergänzungsmitteln bei Einhaltung der empfohlenen Einnahmemengen auch keine Überdosierungen und gesundheitliche Risiken zu erwarten. Aus Sicht der Vollwert-Ernährung sind Funktionelle Lebensmittel und Nahrungsergänzungsmittel insgesamt kritisch zu bewerten. Die Gründe hierfür sind vielfältig.

Zunächst besteht keine wissenschaftliche Notwendigkeit, derartige Produkte zu konsumieren. Nach wie vor gilt, dass durch eine günstige Lebensmittelkombination nicht nur die Versorgung mit allen Nährstoffen sichergestellt werden kann, sondern dass durch die gleichzeitige Zufuhr vielfältiger gesundheitsfördernder Inhaltsstoffe aus natürlichen Lebensmitteln Erkrankungen vorgebeugt wird.

Einzig eine ausreichende Versorgung mit Jod ist über die Ernährung in bestimmten Regionen wie Mitteleuropa kaum sicherzustellen. Sie wäre nur über einen stark vermehrten Fischkonsum zu erreichen, was ökologisch nicht vertretbar ist. Aus diesem Grund wird in der Vollwert-Ernährung die Verwendung von jodiertem Speisesalz empfohlen. Weiterhin ist bei einer unzureichenden Folsäureversorgung von Frauen vor und zu Beginn einer Schwangerschaft der Nutzen einer zusätzlichen Folsäuregabe zur Verminderung von Neuralrohrdefekten des Ungeborenen wissenschaftlich erwiesen.
Nahrungsergänzungsmittel sollten aus Sicht der Vollwert-Ernährung in der Regel nicht verwendet werden - mit Ausnahme von Jod für die Allgemeinbevölkerung und gegebenenfalls von Folsäure für Frauen vor und zu Beginn einer Schwangerschaft. Nahrungsergänzungsmittel kommen ansonsten nur dann vorübergehend in Betracht, wenn die Versorgung mit Nährstoffen alleine über die Ernährung nicht sichergestellt werden kann wie dies bei veganer Ernährung oder bedingt durch Lebensmittelunverträglichkeiten möglich sein kann. Nur in diesen Fällen kann bei einem ärztlich nachgewiesenen Mangel und fehlender Möglichkeit der Ernährungsumstellung die Ergänzung des im Mangel befindlichen Nährstoffs über ein Nahrungsergänzungsmittel sinnvoll sein.

Generell sollte man sich klar machen, dass NEM trotz oft ähnlicher Aufmachung keine Arzneimittel sind und nicht mit krankheitsbezogenen Aussagen beworben werden dürfen. Bei NEM ist im Gegensatz zu Arzneimitteln keine Prüfung auf Unbedenklichkeit oder Zulassung sondern nur eine Anmeldung nötig. Es gelten stattdessen die üblichen Vorschriften über die Verkehrsfähigkeit von Lebensmitteln und die Nahrungsergänzungsmittel-Verordnung (NEM-V). Die NEM-V: regelt die Kennzeichnung und Werbung sowie erlaubte Vitamin- und Mineralstoffverbindungen, nicht aber alle "sonstigen Stoffe mit ernährungsspezifischer oder physiologischer Wirkung". Ebenso legt sie keine Mindest- oder Höchstmengen für die erlaubten Mikronährstoffe fest. Die Nährwertkennzeichnungs-Verordnung, die für eine Auslobung definierte, signifikante Mengen vorschreibt, gilt es für NEM nicht.

Neben den altbekannten Vitaminen und Mineralstoffen werden zahlreiche sekundäre Pflanzenstoffe wie Lykopin, Bioflavonoide, Glucosinolate und anderes als NEM verkauft, ohne dass etwas über die (Langzeit-)Sicherheit der Einnahme von Isolaten, die nicht in ihre natürliche Pflanzenmatrix eingebettet sind, bekannt wäre. Bei den sonstigen Stoffen finden sich auch zahlreiche Arzneistoffe. Zum Teil sind es ehemalige Arzneimittel, deren Hersteller die Kosten für die inzwischen nötigen Studien scheuen - oder wissen, dass sie nach heutigen Kriterien gar keine Zulassung mehr bekämen. In anderen NEM sind die Arzneiwirkstoffe, z.B. Ginkgo oder Ginseng, so gering dosiert, dass sie keine pharmakologische Wirkung haben - dem Verbraucher aber mit blumigen Worten Wirksamkeit suggerieren. Und in den problematischsten Fällen sind (leber-)toxische oder arzneiliche Wirkstoffe ohne jegliche Kennzeichnung enthalten.

Es sind zahlreiche unerwartete Risiken durch NEM möglich. Die bekannteste ist natürlich die Überdosierung. Insbesondere Kinder sind gefährdet, die aufgrund ihres geringeren Körpergewichtes auch einen geringeren Nährstoffbedarf als Erwachsene haben. Bekannt sind beispielsweise die Vitamin A-Hypervitaminose, die mit vermehrtem Knochenabbau in Verbindung steht oder eine übermäßige Einnahme von Eisen, dass bei Akkumulation das Risiko für Infektionen, Diabetes, Herzversagen und Tumorerkrankungen erhöht.

Andere Produkte fallen durch Vergiftungserscheinungen bei ihren Nutzern auf, beispielsweise zahlreiche ayurvedische NEM durch viel zu hohe Schwermetallgehalte (Blei, Arsen, Quecksilber) oder Algenprodukte durch zu hohe Jodgehalte. Bei gleichzeitiger Einnahme von Medikamenten sind Wechselwirkungen wie verringerter oder beschleunigter Abbau von Medikamenten, Blockierung der Wirkung oder Einfluss auf die Resorption möglich.

Bekannte Beispiele für umstrittene NEM sind:
Isoflavonhaltige Präparate, die Frauen in den Wechseljahren als Alternative zur umstrittenen Hormonersatztherapie angeboten werden. Es gibt bisher keine Langzeitstudien, die die Sicherheit dieser Präparate belegen. Als Nebenwirkungen können Übelkeit, Verstopfung, Schwellungen oder Hautrötungen und die Förderung der Entwicklung von Brustkrebs auftreten. Das Bundesinstitut für Risikobewertung rät Frauen in bzw. nach der Menopause generell vom längerfristigen Verzehr von NEM auf Grundlage von Isoflavonen ab. Bereits an Brustkrebs erkrankte Frauen und solche, in deren Familie nahe Verwandte betroffen sind, werden gezielt vor Isoflavon-Präparaten gewarnt. Antioxidanzien wie Vitamin E, C und Beta-Carotin sind viele Jahre als wirksame Hilfe angepriesen worden, um die Bildung freier Radikale im Körper zu verhindern. Inzwischen ist durch zahlreiche Langzeitstudien bekannt, dass Antioxidanzien auch prooxidativ wirken können oder mit anderen Risiken einhergehen. So stieg in der HOPE-TOO-Studie nach 7 Jahren Vitamin E-Einnahme (400 IE, 270mg) die Herzinsuffizienzrate. In der Physicians Health Study II erhöhte Vitamin E das Schlaganfallrisiko und in der CARET-Studie Vitamin C das Lungenkrebsrisiko der Raucher. Daher werden einzelne, hoch dosierte antioxidative Vitamine für die breite Masse der Bevölkerung nicht empfohlen.

Für NEM gibt es besonders häufig aggressive und irreführende Werbung. Viele Hersteller arbeiten mit Halbwahrheiten. Gerne werden die Ergebnisse von Tierstudien mit isolierten Wirkstoffen oder von Humankohortenstudien zu Lebensmitteln auf das eigene Produkt bezogen. Und so gibt es bei NEM die höchste Beanstandungsquote von allen Lebensmittelgruppen, zwischen 30 und 70 % der untersuchten Produkte.

Alle legal über den deutschen Einzelhandel angebotenen NEM bieten eine gewisse rechtliche Sicherheit. Für einzelne Teile der Bevölkerung kann es sinnvoll sein, ihre Ernährung dauerhaft oder vorübergehend durch einzelne Nährstoffe, die über die Ernährung nicht in ausreichender Menge aufgenommen werden können, zu ergänzen. Dies sollte jedoch nicht auf Verdacht sondern erst nach Feststellung eines Mangels durch eine Fachkraft erfolgen. Für Hochbetagte mit geringer Nahrungsmenge kann es darüber hinaus angezeigt sein, die Nahrung durch eine gering dosierte Mischung aller Vitamine und Mineralstoffe zu ergänzen. Alle anderen NEM mit "ernährungsspezifischer Wirkung" sind unserer Ansicht nach bei einer ausgewogenen Ernährung bestenfalls überflüssig.
Dringend abzuraten ist von der Verwendung teilweise sehr hoch dosierter Produkte, wie sie vielfach im Ausland oder über das Internet angeboten werden. Viele Produkte aus den USA oder Asien sind in Deutschland als NEM nicht verkehrsfähig. Sie sind zu hoch dosiert, enthalten unerlaubte Zutaten, nicht deklarierte Arzneistoffe oder sind unerlaubt bestrahlt.

Wiebke Franz

Tipp

Ausführliche Hintergrundinformationen zu Nahrungsergänzungen finden Sie auch im UGB-FORUM mit dem Schwerpunktthema Nahrungsergänzungen: Gesünder mit Pillen und Pulver?


Literatur:
Clausen, A. Nährstoffe in Pillenform - ein Risiko für die Gesundheit? Kurzfassung zur UGB-Tagung "Ernährung aktuell", in Gießen vom 16.-17.05.2008
Clausen, A. Phytosterine in Lebensmitteln. Nicht ohne Nebenwirkungen. Kurzfassung zur UGB-Tagung "Ernährung ?sichern´. Risiken meiden, nachhaltig handeln", in Gießen vom 04.-05.05.2007
Clausen, A. Nahrungsergänzungsmittel. Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Lebensmittelhändler. KnackPunkt 17 (2), 10-13, 2009
Domke, A. u.a. (Hrsg.): Verwendung von Vitaminen in Lebensmitteln. Toxikologische und ernährungsphysiologische Aspekte. Bundesinstitut für Risikobewertung, Berlin 2004
Domke, A. u.a. (Hrsg.): Verwendung von Mineralstoffen in Lebensmitteln. Toxikologische und ernährungsphysiologische Aspekte. Bundesinstitut für Risikobewertung, Berlin 2004
Koerber, K.v. u.a. Vollwert-Ernährung. Konzeptionen einer zeitgemäßen und nachhaltigen Ernährung. 10. Auflage, Haug, Stuttgart 2004
UGB-Forum Schwerpunktheft "Vitamine - wie viel ist genug? 26 (2), 2009
Rempe, C. Produkte im rechtlichen Grenzbereich. Nahrungsergänzungsmittel und diätetische Lebensmittel. Ernährung im Fokus 8 (3), 84-89, 2008

Stand: 2010