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Sind Lektine im Gemüse schädlich?

In dem im Frühjahr veröffentlichten Buch „Böses Gemüse“ behauptet der amerikanische Arzt Dr. Steven Gundry, Lektine in pflanzlichen Lebensmitteln würden krank machen. Wissenschaftlich haltbar ist seine Kampagne gegen Gemüse nicht.

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© Irina Ukrainets/Fotolia.com

Pflanzen bilden Lektine hauptsächlich als Schutz vor schädlichen Mikroorganismen und Fraßfeinden. Daher sind sie im Pflanzenreich weit verbreitet. Die zu den sekundären Pflanzenstoffen zählende, sehr heterogene Gruppe von Glykoproteinen soll laut dem amerikanischen Arzt Dr. Steven Gundry für unzählige Erkrankungen verantwortlich sein. Denn Lektine würden Körperzellen verkleben, die Darmwand angreifen und durchlöchern und so mit anderen Schadstoffen über das Blut zu Organen gelangen und diese schädigen. Und durch die Pflanzenzüchtungen der Lebensmittelindustrie würden wir heute so viele Lektine aufnehmen wie nie zuvor. Das erkläre auch den enormen Anstieg von Krebs, Demenz und Parkinson. In seinem Buch „The Plant Paradox“ – der deutsche Titel lautet „Böses Gemüse“ – propagiert Gundry daher eine lektinfreie Diät und streicht lektinreiche Lebensmittel vom Speiseplan. Dazu zählen Hülsenfrüchte, Gurken und Tomaten ebenso wie Paprika, Auberginen, Soja, Kartoffeln und sämtliche Getreideprodukte. Erlaubt sind dagegen Kohlgemüse, Spinat oder Karotten; auch einige reife Obstarten, Nüsse sowie bestimmte Milchprodukte und pflanzliche Öle dürfen auf den Teller.

In größeren Mengen sind einzelne Lektine tatsächlich giftig, das bekannteste ist das Phasin in grünen Bohnen. Werden sie roh verzehrt, kann es zu Vergiftungserscheinungen kommen wie Übelkeit, Erbrechen oder Verkleben der roten Blutkörperchen. Durch Hitzeeinwirkung beim Garprozess werden die meisten Lektine jedoch abgebaut und damit unwirksam. Hitzestabile Lektine finden sich zum Beispiel im Weizenkeim, weniger bedeutsam und in sehr geringer Menge auch in Kartoffeln oder Tomaten. Die tägliche Aufnahme an Lektinen wird auf maximal 200-300 Milligramm geschätzt; der größte Anteil stammt aus Hülsenfrüchten und Weizenkeimen. Die hitzestabilen Weizenlektine spielen im alltäglichen Verzehr allerdings keine große Rolle; in einer Untersuchung waren selbst 50 Gramm Weizenkeime (entspricht mehr als 80 Scheiben Vollkornbrot) unproblematisch.

Die drastischen Formulierungen, dass feindliche Lektine den Stoffwechsel umprogrammierten oder Lektine eine versteckte Gefahr im Essen seien, sind keinesfalls haltbar. Auch mit der falschen Behauptung, Gluten sei ein Lektin, büßt Gundry an Glaubwürdigkeit ein. Vielmehr stellen Lektine aus der Nahrung für gesunde Menschen kein Risiko dar. Ob sie bei Darmerkrankungen wie Morbus Crohn problematisch sein können, wird diskutiert. Der größte Anteil wird ohnehin beim Erhitzen abgebaut und die übrigen geringen Mengen werden auf eine sehr große Darmoberfläche verteilt, wodurch sich eventuell ungünstige Wirkungen verringern. Mittlerweile werden auch positive Effekte der Lektine auf die Gesundheit diskutiert, wie etwa eine vorbeugende Wirkung auf Dickdarmkrebs.

Festzuhalten bleibt, dass die Befürchtungen Gundrys bei ausgewogener Ernährung und gängigen Zubereitungsmethoden jeglicher Grundlage entbehren. Vollkorn, Gemüse und Obst dürfen auch weiterhin in ihrer ganzen Vielfalt genossen werden.

Literatur:
Buul VJ van, Brouns FJPH (2014). Health effects of wheat lectins: A review. Journal of Cereal Science, http://dx.doi.org/10.1016/j.jcs.2014.01.010
De Vasconcelos, M.A. et al. (2013): Effect of Leguminous Lectins on the Growth of Rhizobium tropici CIAT899. Molecules, 18, 5792-5803
Gundry S (2018). Böses Gemüse, Beltz Weinheim (Vorschau)
Lam SK, Ng TB (2011). Lectins: production and practical applications. Appl Microbiol Biotechnol, 89, 45-55
Watzl B, Schlemmer U, Rechkemmer G (2002). Stellungnahme: Gesundheitliche Risiken von Vollkorn. DGE info, 3, 36-38

Quelle: UGBforum 2/18, S. 96