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Unfruchtbar durch Umweltgifte

Durch Industrie und Landwirtschaft gelangen immer mehr synthetische Substanzen in die Umwelt. Viele davon greifen in den Hormonhaushalt von Mensch und Tier ein. Derzeit sind rund 200 Stoffe bekannt, die das hormonelle System aus dem Gleichgewicht bringen.

Umweltgift

Die meisten Menschen haben heute in ihrem Körper mindestens 500 Chemikalien, die es vor 70 Jahren noch nirgends gab. Die Auswirkungen auf Umwelt und Lebewesen sind weitgehend ungeklärt. Immer häufiger berichten Wissenschaftler von Anomalien der Fortpflanzungsorgane bei Mensch und Tier. Das lässt vermuten, dass Umweltchemikalien das Hormonsystem stören können.

Mehr Weibchen durch Insektizide?

Erste Hinweise auf eine gestörte Entwicklung der Geschlechtsorgane ergaben Beobachtungen in den 70er Jahren an Fischen und Vögeln in Amerika. Dabei stellten Wissenschaftler fest, dass die Insektizide DDT und das nah verwandte Metoxychlor im Körper von Wirbeltieren eine östrogenähnliche Wirkung haben können und zu einer Verweiblichung von männlichen Organismen führen. Etwa zur gleichen Zeit wurde in den USA auch eine außergewöhnliche Geschlechterverschiebung bei den Heringsmöwen festgestellt: Die Zahl der Weibchen nahm in erstaunlichem Maße zu. Dieser Effekt wurde ebenfalls auf eine Verweiblichung der männlichen Embryonen zurückgeführt. Experimente an Eiern mit Polychlorierten Biphenylen (PCBs) sowie an Vögeln mit DDT bestätigten, dass diese Substanzen eine Geschlechtsumwandlung auslösen.

Meeressäuger, die am Ende der Nahrungskette stehen, sind besonders stark mit Schadstoffen belastet. So ist die Fortpflanzung bei Seehunden, Seelöwen und Beluga-Walen auffällig oft gestört. Die gleichen Probleme treten mittlerweile auch beim Menschen auf. Einige Untersuchungen belegen, dass in verschiedenen zentral-europäischen und skandinavischen Ländern seit den 50er Jahren der Anteil der Jungen an den Neugeborenen gering, aber signifikant gesunken ist. Wissenschaftler stellen außerdem eine verringerte Spermienzahl bei Männern fest. Länder, die seit längerem ein Krebsregister führen, beobachten zudem eine merkliche Zunahme an Hoden- und Prostatakrebs. Auch Brustkrebserkrankungen haben vor allem in industrialisierten Ländern seit 1930 um rund ein bis zwei Prozent jährlich zugenommen. All diese Beobachtungen können mit der Belastung durch Umweltchemikalien in Zusammenhang stehen.

Fremdstoffe störenden Hormonhaushalt

Hormone gehören zu den wichtigsten Substanzen menschlicher und tierischer Organismen. Sie steuern Organfunktionen, Entwicklungs- und Fortpflanzungsprozesse; sie beeinflussen lebenslang die körperliche Gesundheit und die psychische Entwicklung. Zudem zeigen Hormone die höchste biologische Aktivität, das heißt, sehr geringe Konzentrationen reichen aus, um eine Wirkung zu erzielen.

Chemikalien können durch verschiedene Mechanismen auf das Hormonsystem Einfluss nehmen. Sie können Synthese, Ausschüttung, Wirkung, Stoffwechsel sowie Ausscheidung von Hormonen beeinflussen oder die Hormonwirkung nachahmen. Außerdem sind sie in der Lage, sich an die Rezeptoren von Hormonen zu binden und so deren Transport in die Zelle zu verhindern. Dadurch werden nicht nur Fortpflanzungsorgane geschädigt, sondern auch Leber, Nieren, Nebennieren, Immunsystem, Herz-Kreislaufsystem oder Knochen.

Welche Folgen Umweltchemikalien für den Organismus haben, hängt auch von dem Zeitpunkt ab, an dem sie in den Körper gelangen. Wenn Schadstoffe in einer kritischen Phase der Entwicklung einwirken, können bereits sehr geringe Mengen große Schäden verursachen. Die Folgen machen sich unter Umständen erst nach Jahrzehnten bemerkbar. Wird ein Ungeborenes z. B. hormonstörenden Substanzen ausgesetzt, treten Schädigungen möglicherweise erst nach der Pubertät auf, etwa in Form von Fortpflanzungsstörungen. Die negativen Auswirkungen sind oft nicht mehr zu beheben.

Hormonaktive Stoffe in Industrie und Landbau

Zu den Stoffen in der Umwelt, die das Hormonsystem möglicherweise beeinflussen, zählen etliche synthetische Industriechemikalien: Bisphenol-A, das zur Herstellung von Industrielacken für Konservendosen und Kunststoffen aus Polycarbonat verwendet wird, Phthalsäureester als Weichmacher für Kunststoffe, Alkylphenole in kosmetischen Mitteln sowie Cadmium, Blei und Nonylphenole aus Gewerbe und Industrie. Aber auch Bestandteile der Antibabypille sowie Pestizide in Land- und Forstwirtschaft sind äußerst kritisch zu bewerten. Denn ein Teil dieser Substanzen ist in der Umwelt kaum abbaubar.

Das 4-iso-Nonylphenol und dessen Abkömmlinge wie Bisphenol-A finden breite Anwendung beispielsweise in der metallverarbeitenden und der Textilindustrie. Als Zusatzstoff finden sich die Verbindungen in Farben, Pestiziden, Wasch- und Reinigungsmitteln. Obwohl für diese Chemikalien eine östrogene Aktivität nachgewiesen ist und sie als schwer abbaubar gelten, werden in Deutschland jährlich mehr als 35.000 Tonnen produziert. Mittlerweile treten diese Substanzen daher fast überall in der Umwelt in nachweisbaren Mengen auf.

Auch Pestizide, so genannte Organochlor-Verbindungen wie die Insektizide DDT, HCH oder Lindan, finden sich überall in der Umwelt. DDT und HCH sind aufgrund ihrer Gefährlichkeit in Deutschland schon seit den 70er Jahren verboten. Dennoch werden diese schwer abbaubaren und fettlöslichen Pestizide hierzulande noch immer produziert und exportiert. Trotz des Verbotes sind daher in fast allen fetthaltigen tierischen Lebensmitteln messbare HCH-, DDT- oder Lindan-Konzentrationen vorhanden. Eine Aufnahme der Schadstoffe lässt sich kaum vermeiden. Sie reichern sich im Fettgewebe von Mensch und Tier an. Die Folgen reichen von sinkender Spermienqualität bis hin zur Verweiblichung männlicher Embryonen.

Pflanzenschutzmittel sind allgegenwärtig

Wissenschaftler vermuten auch bei einigen Pestiziden, die weniger schwer abbaubar sind als die oben beschriebenen, eine hormonelle Wirkung. Trotzdem werden sie uneingeschränkt in der konventionellen Landwirtschaft eingesetzt. Über Rückstände in Lebensmitteln und im Trinkwasser ist eine Gesundheitsgefährdung durch diese Stoffe nicht auszuschließen. Am häufigsten werden in Obst und Gemüse Rückstände der Anti-Schimmelmittel (Fungizide) Di-thiocarbamate und Vinclozolin nachgewiesen. Kontrollen des Landesuntersuchungsamtes Nordbayern ergaben im Jahr 1997, dass 70 Prozent der Lebensmittelproben aus dem In- und Ausland mit Dithiocarbamate und 36 Prozent mit Vinclozolin belastet waren.

Bundesweite Untersuchungen fanden bei mehr als der Hälfte aller Erdbeerproben Vinclozolin. Die Dithiocarbamate - ein Sammelbegriff für etwa elf verschiedene chemisch nah verwandte Wirkstoffe - stehen im Verdacht bzw. haben eine schädigende Wirkung auf die Schilddrüse. Bei Vinclozolin ist nachgewiesen, dass die Abbauprodukte die Fortpflanzung stören.

Tributylzinn in Gewässern und T-Shirts

Tributylzinnverbindungen (TBT) werden als Antifoulinganstrich bei Schiffsfarben eingesetzt und sollen den Bewuchs von Seepocken und Algen am Schiffsrumpf verhindern. Durch die Schifffahrt wird TBT weltweit in die Gewässer verschleppt. Experten gehen davon aus, dass der Nordseeboden flächendeckend mit 20-50 Mikrogramm TBT pro Kilogramm belastet ist. Die Verunreinigungen haben zu Vergiftungen von Wasserorganismen und Meerestieren geführt. Organozinnverbindungen wie Tributylzinn sind fettlöslich und schwer abbaubar. Sie reichern sich daher wie Pestizide im Fettgewebe an und zeigen ebenfalls hormonelle und immunologische Wirkungen. Untersuchen ergaben, dass bei empfindlichen Schneckenarten schon bei TBT-Konzentrationen von 0,0083 Mikrogramm pro Liter die Fortpflanzung gestört ist.

Außer in der Schifffahrt wird TBT bei der Herstellung von Kunststoffen und Textilien angewendet sowie als Konservierungsmittel für Holz, Papier, Leder und Glas eingesetzt. Ferner wirkt es gegen Insekten und ist als Abwehrmittel für Nager im Handel. Aufgrund der vielfältigen Anwendung lässt sich TBT nicht nur in der Natur nachweisen, sondern auch in T-Shirts und Windeln.

Um die Auswirkungen von Chemikalien auf das Hormonsystem von Mensch und Tier gering zu halten, ist der Gesetzgeber gefordert. Der Einsatz und die Produktion von schwer abbaubaren hormonaktiven Pestiziden sollten vorsorglich verboten werden. Synthetische Substanzen müssen intensiver als bisher auf Verbleib, Abbaubarkeit und Auswirkungen auf die Natur erforscht werden. Parallel dazu müssen Industrie und Landwirtschaft so schnell wie möglich umweltschädliche Produkte und Produktionsverfahren durch schadstofffreie bzw. -arme Produkte und Verfahren ersetzen.Auch jeder Verbraucher kann mitwirken. Durch den Kauf von Lebensmitteln aus biologischer Produktion kann die Schadstoffaufnahme und -verbreitung reduziert werden. Das Gleiche gilt für andere Bereiche des Alltags: Wer generell nachhaltig erzeugte, möglichst natürliche Produkte aus wenig umweltschädlicher Produktion bevorzugt, trägt dazu bei, den Eintrag von Schadstoffen in die Natur zu begrenzen.

Quelle: Samwel,M.: UGB-Forum 6/00, S. 299-301

Foto: Dieter Schütz / pixelio.de


Dieser Beitrag ist dem UGB-Archiv entnommen.

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