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Agrarpolitik auf neuen Wegen

Die Agrarwende bedeutet viel mehr, als nur den Ökolandbau auf einen Anteil von 20 Prozent zu steigern. Denn unterschiedliche Interessen bestehen nicht allein zwischen konventionellen und Bio-Bauern. Tief sind vor allem die Gräben zwischen kleinbäuerlichen Betrieben und der Agrarindustrie.

Agrarpolitik

Dass Hühner in Deutschland in absehbarer Zeit wieder im Freien scharren dürfen, macht nicht nur die Hennen glücklich. Auch die Verbraucher schlagen jetzt fröhlicher ihr Frühstücksei auf als bisher. Im Schwung der so genannten Agrarwende hat die deutsche Politik entschieden, einige Jahre früher und um wesentliche Punkte konsequenter als in der übrigen Europäischen Union, die Legehennen aus ihren Käfigen zu befreien. Ob die Eier dadurch messbar gesünder werden oder nicht, war dabei weniger wichtig als die Frage des Wohlbefindens von Huhn und Konsument.

Das Beispiel der Hennenhaltung macht deutlich, was Agrarwende heißt und mit welchen Widerständen sie zu tun hat. Es zeigt auch, welche Herausforderungen zu meistern sind von Ministern, den Tier-, Umwelt- und Landwirtschaftsverbänden und nicht zuletzt von den Verbrauchern.

Agrarpolitik: Reformen brauchen öffentlichen Druck

Die Befreiung der Hühner aus den engen Drahtgestellen durch die Landwirtschafts- und Verbraucherministerin Renate Künast war nur möglich durch die jahrelange Vorarbeit anderer. Über Jahrzehnte hin ist die Käfighaltung von den Tierschutzverbänden massiv bekämpft worden. Abstoßende Bilder und Fernsehberichte machten die Käfigbatterie zum Sinnbild für Tierquälerei und Massentierhaltung. Die Ablehnung setzte sich tief im Bewusstsein der Öffentlichkeit fest. Schließlich erklärte die Justiz die alte Verordnung für die Hennenhaltung für verfassungswidrig. Eine neue Verordnung musste her.

Bereits Künasts Vorgänger, der SPD-Landwirtschaftsminister Karl-Heinz Funke, versuchte sich an einem halbherzigen Entwurf. Das konsequentere Vorgehen der Grünen Ministerin ist aber nur deshalb von der Mehrheit der Bundesländer angenommen worden, weil die Tier- und Umweltschutzverbände durch Aktionen und Kampagnen die Öffentlichkeit für das Thema sensibilisiert hatten. Diesem öffentlichen Druck wollten sich die Länder nicht aussetzen und haben letztlich zugestimmt.

Bei den meisten agrarpolitischen Entscheidungen liegen die Dinge nicht so einfach, weil sich die Menschen nicht so sehr emotional oder moralisch berührt fühlen. Eine Neuorientierung im Sinne des Tier-, Umwelt- und Verbraucherschutzes gestaltet sich auch deshalb schwieriger, weil sich Interessengruppen quer stellen, die von der alten Agrarpolitik profitiert haben und sich von Änderungen in ihren (politischen) Besitzständen bedroht fühlen. Die alte Agrarpolitik entstand ja nicht zufällig - an ihr haben Agrarindustrie und große rationalisierte Betriebe gut verdient.

Agrarpolitik: Verbraucherwille wird weiterhin vernachlässigt

Wenn die Politik etwas ändern soll oder will, muss jemand diesen Kräften etwas entgegensetzen. Während die Umwelt- und Tierschutzverbände bereits relativ gut organisiert sind, fehlt es den Verbraucherverbänden noch an dem Gewicht, das ihnen gemessen an der Zahl der Verbraucher eigentlich zukommen müsste. Sonst hätte es zum Beispiel die rigorose Abspeckung des geplanten Verbraucherinformationsgesetzes nicht gegeben. Damit sollten Unternehmen verpflichtet werden, öffentlich über ihre Erzeugnisse und Produktionsweise Auskunft geben zu müssen. Dagegen liefen die Wirtschaftsverbände Sturm. Durch ihren Druck kippten der Kanzler und sein Wirtschaftsminister die Auskunftspflicht der Unternehmen. Nach dem übrig gebliebenen Entwurf sind nur Behörden zur Auskunft verpflichtet. Ob vor diesem Hintergrund das von Künast neu eingerichtete Bundesinstitut für Risikobewertung und das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit die Interessen der Konsumenten ernsthaft wahrnehmen können, bleibt abzuwarten.

Gegensätzliche Interessen in der Landwirtschaft

Die Frage der Interessenvertretung ist auch innerhalb der Landwirtschaft von großer Bedeutung für eine neue Agrarpolitik. Denn die Verbraucher stehen nicht einer Landwirtschaft gegenüber, sondern zum Teil völlig verschiedenen Betriebsformen. Ein Hof, der 300 Hühner artgerecht hält und direkt verkauft, hat mit einem "Hühnerbaron" wie Anton Pohlmann, der Millionen Hühner in Käfige sperrt, nichts gemein. Agrarpolitisch stehen sie weiter auseinander als Landwirte und Verbraucher. Nur kommen diese Interessensgegensätze im "Einheitsverband" der Landwirte, dem Deutschen Bauernverband (DBV), nicht zum Ausdruck. Denn der Verband vertritt eine Meinung, die inhaltlich von nur einem Fünftel der Betriebe bestimmt wird. Ein Beispiel: 96,8 % der Hühnerhalter in Deutschland haben weniger als 1.000 Legehennen, sie halten jedoch nur rund 10 % aller Legehennen. 2 % der Hennenhalter, darunter Betriebe mit Millionen Tieren in Käfigbatterien, besitzen dagegen 90 % der Tiere. Wenn den Großbetrieben das Tierquälen erschwert wird, verbessert das die Wettbewerbschancen der rund 110.000 kleinen Betriebe. Denn die Massenhaltung der Hühner, die erst mit der Einführung der Käfige möglich wurde, hat den Preis gedrückt. Das hat den Markt zerstört, der ehemals in bäuerlicher Hand war.

Interessenunterschiede gibt es also längst nicht nur zwischen konventionellen und ökologischen Höfen, sondern noch viel stärker zwischen kleinbäuerlichen und industriellen Großbetrieben. Eine Agrarwende braucht deshalb auch innerhalb der Landwirtschaft mehr (Verbands-) Demokratie statt eines Einheitsverbandes mit einer von ihm bestimmten Fachpresse. Kleinere Verbände wie die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) finden erfreulicherweise seit dem Ministerwechsel im Landwirtschaftsministerium mehr Gehör bei agrarpolitischen Entscheidungen.

Agrarpolitik: 20 Prozent Ökolandbau sind zu wenig

In der neuen Agrarpolitik muss es um mehr gehen, als lediglich um die Umstellung weiterer Betriebe auf den ökologischen Landbau. Statt allein auf den Ökolandbau zu schielen, muss die gesamte Landwirtschaft und Agrarpolitik ins Visier genommen werden. Das ist für den Ökolandbau selbst lebenswichtig. Als Beispiel sei hier nur die fortschreitende Industrialisierung der Landwirtschaft zu nennen, die auch die ökologischen Betriebe erfasst.

So paradox es klingen mag: Der Ökolandbau wird nur eine Zukunft haben, wenn er nicht allein an seine eigene Vermehrung denkt. Er ist keine Insel, sondern in vielerlei Hinsicht abhängig vom allgemeinen Markt und seinen Entwicklungen. Die Bereitschaft der Menschen, Biowaren zu kaufen, hängt eben nicht allein von Überzeugungen ab, sondern auch vom Preisunterschied. Wenn der als zu groß empfunden wird, bleibt es schwer, neue Kunden zu gewinnen. Die agrarindustriellen Betriebe können durch den Einsatz von Hilfsstoffen, Gentechnik oder die unwürdige Massentierhaltung mehr und günstiger produzieren. Nur wenn solche Praktiken verboten werden, lässt sich das Preisproblem für den Ökolandbau entschärfen. Deshalb ist ein breiter politischer Ansatz erforderlich, der die gesamte Landwirtschaft weiter entwickelt und "ökologisiert".

Mit ihrer Politik stößt Renate Künast beim Bauernverband und der mit ihm eng verflochtenen Agrarindustrie auf starken Widerstand. Aber nicht nur wegen ihrer angestrebten 20 Prozent Ökolandbau, sondern weil sie die Verantwortung für die gesamte Agrarpolitik wahrnehmen will. Auf den Bauernversammlungen und in der Fachpresse schießen die Funktionäre des DBV aus allen Rohren gegen die Berliner Ministerin. Statt den Dialog zu suchen, versuchen sie das Problem "Künast" auszusitzen und hoffen auf einen Regierungswechsel im Herbst. Das Bedrückende dabei ist, dass die Lobbyisten der Agrarindustrie es schaffen, trotz ihrer einseitig ausgerichteten Interessenpolitik, weite Teile der Bauernschaft hinter sich zu bringen. Die Reihen sind geschlossen wie lange nicht mehr. Das schafft der Bauernverband, weil sich Bäuerinnen und Bauern als Opfer sehen und Änderungen der Rahmenbedingungen als Angriff auf ihre Arbeit und ihre wirtschaftliche Existenz interpretieren. Möglich wird das auch, weil es eine Fachpresse gibt, die jeden Bauern erreicht, die aber fast ohne Ausnahme gegen die Neuorientierung schreibt. Die Fachmedien werden zum großen Teil vom Bauernverband (mit-)herausgebracht, die Redaktionen sind seiner Politik verpflichtet.

Neue Agrarpolitik muss Partner finden

Zwar scheut Ministerin Künast nicht die scharfe Auseinandersetzung mit Bauern-Funktionären. Dennoch ist es ihr bisher nicht gelungen, unter Bauern und Bäuerinnen viele Freunde für eine Agrarwende zu finden. So ist es auch wichtig, Demokratie in die bäuerliche Interessenvertretung zu bringen und dabei die Interessenunterschiede deutlich zu machen. Doch genauso entscheidend ist es, nicht nur in der Verbraucherschaft, sondern auch unter Bauern und Bäuerinnen Partner für eine Neuorientierung zu finden. Eine neue Chance dazu gibt es nach der Bundestagswahl, wenn der wahltaktische Ballast aus der Diskussion herausfällt und die Agrarpolitik wieder stärker inhaltlich bestritten werden kann. Kasten

Agrarpolitik: Was sich konkret ändern muss

Prämien und Förderung Seit ihrer Gründung verfolgt die Agrarpolitik der EU das Ziel, die Produktivität der Landwirtschaft zu steigern. Gesellschaftliche Ziele wie Tier-, Umwelt- und Sozialverträglichkeit sind in den Hintergrund getreten. Deshalb sollten staatliche Direkthilfen nur noch in Betriebe fließen, die gewisse Umweltleistungen erbringen. Zudem dürfen die Prämien nicht mehr die Betriebe belohnen, die schlicht über viel Fläche oder viele Tiere verfügen, sondern jene, die vielfältig wirtschaften und dabei relativ viele Arbeitskräfte beschäftigen. Das würde den Druck nehmen, immer rationalisierter und billiger wirtschaften zu müssen.

Gesetzliche Rahmenbedingungen

Auf Dauer wird es schwer sein, allein mit Fördergeldern die Landwirtschaft umzugestalten. Der Gesetzgeber muss deshalb die Rahmenbedingungen verändern, hin zu einer nachhaltigen ökologischen Wirtschaftsweise. Das gilt auch für die vorgelagerten Bereiche wie Futtermittelwirtschaft und chemische Industrie sowie die Ernährungswirtschaft. Bei der Gentechnik besteht beispielsweise noch die Chance, vorbeugend zu handeln, um nicht im Nach-hinein wieder mühsam aussteigen zu müssen.

Ausbildung, Beratung und Wissenschaft

Ein grundlegendes Umdenken ist in Ausbildung, Beratung und Wissenschaft erforderlich. Im Einklang mit der alten Agrarpolitik sind diese Bereiche bislang darauf ausgerichtet, vor allem die Produktivität zu steigern. Damit die Agrarwende greift, muss auch hier umgesteuert werden. Der Staat gibt dafür viel Geld aus. Nicht die Frage ist entscheidend, wie viel Zehntel Gramm ein Schwein mit einer neuen Mischfuttervariante zunimmt, sondern vielmehr, wie sich Schweine in der Praxis tiergerecht halten lassen.

Lebensmittelhandel: Qualität statt Preiskampf

Der Preiskampf im Lebensmittelhandel untergräbt die Bemühungen einer Umorientierung in der Landwirtschaft. "Masse statt Klasse" heißt dort immer noch das Motto. Der Preiskampf wird auf den Schultern der Landwirte ausgetragen. Das darf nicht so bleiben. Die Handelsketten haben die Kraft, durch ihren Spielraum in der Sortimentsauswahl und Preispolitik viel zu bewirken. Auf den internationalen Agrarmärkten muss sich die EU von der Strategie abwenden, sich über Preisdumping Weltmarktanteile zu sichern und dabei mit Hilfe von Exportsubventionen Preisrelationen auf dem Weltmarkt zu verzerren. Statt dessen ist der Wettbewerb über die Qualität zu suchen. Im Zuge internationaler Abkommen ist darauf zu drängen, Umweltstandards für die Landwirtschaft zu etablieren. Gleichzeitig ist den einzelnen Staaten das Recht einzuräumen, Importe zu reglementieren, die zu nicht akzeptablen Standards erzeugt wurden. Ein derart qualifizierter Außenschutz ist für Erzeuger und Verbraucher lebenswichtig.


Quelle: Jasper, U.: UGB-Forum 3/02, S. 147-150