Die Gießener vegane Lebensmittelpyramide

Wie können sich Veganer optimal versorgen? Die vegane Lebensmittelpyramide führt anschaulich vor Augen, was bei einer rein pflanzlichen Lebensmittelauswahl zu beachten ist. Ohne angereicherte Produkte und Ergänzungen geht es aber nicht.

Der Trend zur veganen Ernährung scheint ungebrochen. Verschiedene wissenschaftliche und nicht-wissenschaftliche Quellen schätzen den Anteil der Bevölkerung, der sich vegan ernährt, auf 0,3 bis 1,6 Prozent. Es besteht daher ein hoher Informationsbedarf, wie sich eine rein pflanzliche Ernährungsweise nährstoffdeckend in der Praxis umsetzen lässt. Bildungseinrichtungen wie die UGB-Akademie haben seit einigen Jahren dazu spezielle Weiterbildungsangebote für Ernährungsfachkräfte entwickelt. Für die Aufklärungsarbeit und die Beratung sind verbrauchernahe Medien und Materialien hilfreich, die das nötige Wissen möglichst anschaulich vermitteln. Zu diesem Zweck haben wir 2018 am Institut für alternative und nachhaltige Ernährung (IFANE) die vegane Lebensmittelpyramide entwickelt.

Veganer meist besser versorgt als Mischköstler

Die derzeitige Studienlage zeigt, dass Veganer viele Ernährungsempfehlungen der Fachgesellschaften besser umsetzen als die Allgemeinbevölkerung. Das gilt insbesondere für den Verzehr von Gemüse, Obst und (Vollkorn-)Getreide. Veganer liegen im Durchschnitt meist näher an den Referenzwerten für die Zufuhr der energieliefernden Nährstoffe Protein, Fett und Kohlenhydrate. Allerdings wurde bei einigen Veganern, insbesondere bei jüngeren Frauen, auch eine zu niedrige Proteinzufuhr beobachtet. Die Zufuhr von Beta-Carotin, den Vitaminen B1, C und E, Folat, Biotin, Pantothensäure, Kalium, Magnesium sowie von Ballaststoffen und sekundären Pflanzenstoffen ist bei Veganern meist höher als bei Mischköstlern der Vergleichsgruppen.

Darüber hinaus legen verschiedene Beobachtungsstudien nahe, dass Veganer (und Vegetarier) im Vergleich zu Mischköstlern ein geringeres Risiko für Übergewicht, Typ-2-Diabetes, Bluthochdruck, metabolisches Syndrom, ischämische Herzkrankheiten, Katarakt, Schilddrüsenüberfunktion und verschiedene Krebserkrankungen aufweisen. Diese Effekte bleiben abgeschwächt auch bestehen, wenn beeinflussbare und nicht beeinflussbare Störfaktoren wie Body-Mass-Index beziehungsweise Alter berücksichtigt werden. Doch auch der meist insgesamt gesündere Lebensstil mit geringerem Tabak- und Alkoholkonsum und höherer körperlicher Aktivität trägt zum geringeren Erkrankungsrisiko von Veganern bei.

Dennoch liegt bei einer veganen Ernährungsweise die Zufuhr einiger Nährstoffe häufiger unter den Referenzwerten. Sie gelten daher als potenziell kritisch. Dazu zählen Protein, Vitamin B12, Calcium, Eisen, Zink, Vitamin B2, Selen, die langkettigen n-3-Fettsäuren Eicosapentaensäure (EPA) und Docosahexaensäure (DHA) sowie die auch in der Allgemeinbevölkerung kritischen Nährstoffe Jod und Vitamin D.

Optimierter Speiseplan als Berechnungsgrundlage

Grundlage für die Entwicklung der veganen Lebensmittelpyramide war die Nährstoffzufuhr über einen optimierten 14-tägigen veganen Speiseplan. Aus den berechneten durchschnittlichen Verzehrsmengen der Speisepläne wurden die verschiedenen Lebensmittelgruppen der veganen Lebensmittelpyramide abgeleitet. Bei fast allen Nährstoffen, inklusive der kritischen, wurden die Referenzwerte erreicht oder überschritten. Lediglich für Vitamin B12 und Vitamin D ließen sich die Referenzwerte über Lebensmittel erwartungsgemäß nicht erreichen.

Anschließend wurden aus den geprüften und optimierten Tagesplänen Empfehlungen für die Lebensmittelmengen abgeleitet. Aufgrund weitgehender Überschneidungen bezüglich der Lebensmittelgruppen und Verzehrsempfehlungen diente die bestehende Gießener vegetarische Lebensmittelpyramide als Grundlage. Dabei wurde die Kategorie Milch und Milchprodukte durch pflanzliche Milchalternativen ersetzt und die Kategorie Gemüse um Meeresalgen ergänzt.

Die ermittelten Verzehrsempfehlungen enthalten neben konkreten Angaben zu empfohlenen Portionsgrößen und Verzehrshäufigkeit der einzelnen Lebensmittelgruppen auch Hinweise zur Supplementierung. Dabei sind die Empfehlungen möglichst offen formuliert, um die Umsetzung zu erleichtern. In einigen Fällen war jedoch eine Konkretisierung der Empfehlungen notwendig, um die Zufuhrempfehlungen bestimmter Nährstoffe sicher zu erreichen.

Ohne Supplemente geht es nicht

Jod zählt bei Veganern wie auch für die Allgemeinbevölkerung zu den kritischen Nährstoffen. Um die Empfehlungen zu erreichen, wird neben der Verwendung von jodiertem Speisesalz auch zum regelmäßigen Verzehr der Meeresalge Nori in Flockenform mit moderatem Jodgehalt (15 mg/ 100 g) geraten. Gesondert wird auf die Verwendung von EPA-/DHA-angereichertem Leinöl, calciumreichen Mineralwässern (≥ 400 mg Ca/l) und mit Calcium angereicherten pflanzlichen Milchalternativen in den begleitenden Empfehlungen hingewiesen.

Für die langkettigen n-3-Fettsäuren EPA und DHA gibt es seitens der Ernährungsgesellschaften in Deutschland, Österreich und der Schweiz (D-A-CH) bisher keine Empfehlungen für die Allgemeinbevölkerung. Es existiert lediglich der Hinweis, dass „für die primäre Prävention der koronaren Herzkrankheit eine Zufuhr von 250 Milligramm langkettiger n-3-Fettsäuren pro Tag als angemessen geschätzt“ wird. Diesen Wert verfehlt der optimierte vegane Speiseplan über EPA-/DHA-angereichertes Leinöl nur knapp (214,5 mg).

Da Vitamin B12 und Vitamin D in pflanzlichen Lebensmitteln nicht verlässlich vorkommen, ist hier eine entsprechende Supplementierung notwendig. Vitamin D ist nur bei nicht ausreichender Sonnenexposition sowie in den sonnenarmen Monaten zwischen Oktober und März erforderlich. Empfehlungen für angereicherte Lebensmittel und Supplemente sind ergänzender Bestandteil der Lebensmittelpyramide.

Referenzwerte auch für Veganer gültig?

Die Referenzwerte der D-A-CH-Gesellschaften für die Nährstoffzufuhr sind auf Grundlage einer Mischkost abgeleitet. Da die Bioverfügbarkeit einiger Nährstoffe aus pflanzlichen Lebensmitteln geringer ist als aus tierischen Lebensmitteln, sollten spezielle Empfehlungen zur Nährstoffzufuhr für Vegetarier und Veganer konzipiert werden. So haben die D-A-CH-Gesellschaften ihre Empfehlungen für die Zinkzufuhr 2019 in Abhängigkeit von der zugeführten Phytatmenge angehoben, die bei vollwertiger pflanzenbasierter Ernährungsweise erhöht ist. Um eine ausreichende Zinkzufuhr zu gewährleisten, ist bei veganer Ernährung besonders auf ausreichende Zufuhr zinkreicher Hülsenfrüchte, Nüsse und Vollkornprodukte zu achten.

Pyramide erproben und anpassen

Die Gießener vegane Lebensmittelpyramide bietet Verbrauchern die Möglichkeit, das gesundheitliche Potenzial pflanzlicher Ernährungsweisen auszuschöpfen und das Risiko möglicher Nährstoffmängel zu minimieren. Darüber hinaus kann sie als Beratungstool für Fachkräfte in der Ernährungsberatung genutzt werden. Um weitere Optimierungen vorzunehmen, wird die Umsetzung der Gießener veganen Lebensmittelpyramide in der Praxis aktuell in einer Studie mit Veganern untersucht.

Bild © CC BY 4.0 - Albert Schweitzer Stiftung für unsere Umwelt.

Stichworte: Vegane Ernährung, Lebensmittelpyramide, Pflanzliche Lebensmittel, Vitamin B12, Nahrungsergänzungen, Zuckeralkohole


Klimawandel: clever handeln Dieser Beitrag ist erschienen in:
UGBforum 1/2020
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