Serotonin: Zum Glück gibt´s was zum Essen

Was wir essen, beeinflusst unsere Stimmung. Ausgiebig Kohlenhydrate und wenig Eiweiß scheinen uns mit Stress besser umgehen zu lassen. Wer zudem reichlich Fisch isst, leidet vermutlich seltener an Depressionen.

Serotonin: Stimmung - Stimmungslage

Der griechische Arzt und Philosoph Hippokrates war seiner Zeit weit voraus, als er behauptete: Was wir essen, bestimmt das Gemüt. Damals war das eine kühne Hypothese. Zumal die wissenschaftlichen Methoden, sie zu beweisen, noch gar nicht entwickelt waren. Auch der Volksmund hält noch immer viele Ratschläge parat, wie sich beispielsweise Trübsal vertreiben lässt: Sauer macht lustig, Bananen machen glücklich und Schokolade vertreibt den Frust. Mittlerweile konnten Wissenschaftler tatsächlich für einzelne Lebensmittel Effekte auf die Stimmung dokumentieren. Doch erwiesen sich diese als allenfalls kurzfristig, obwohl die molekularbiologischen Vorgänge auf eine ausgeprägte und lang anhaltende Wirkung hoffen ließen. So finden sich in Schokolade, Bananen, Datteln oder Feigen relativ hohe Mengen der Aminosäure Tryptophan, aus der im Gehirn Serotonin gebildet wird. Und dieser hormonähnliche Botenstoff beeinflusst nachweislich unsere Laune.

Serotonin: Schokolade gegen Trübsal?

Menschen, die an Depressionen leiden, haben im Mittel einen um 50 Prozent erniedrigten Serotonin-Spiegel im Blut. Daher wird ein Mangel des Botenstoffes mit einer traurigen Grundstimmung in Verbindung gebracht. Eine gesteigerte Produktion des Serotonins kann hingegen glücklich stimmen. Deshalb wird die Substanz gerne als Glückshormon bezeichnet. Je nachdem an welchen Rezeptor der Stoff im Gehirn bindet, wirkt er beruhigend, fördert einen tiefen Schlaf, hebt die Stimmung oder stimuliert die Gedächtnisleistung. Doch Serotonin aus der Nahrung dringt nicht ins Gehirn vor, da es die Blut-Hirn-Schranke nicht passieren kann. Anders seine Vorstufe, die Aminosäure Tryptophan. In Großbritannien und Kanada ist Tryptophan sogar als mildes Psychopharmakon zugelassen. Doch scheint es unmöglich zu sein, so viel Bananen oder Schokolade zu essen, um die Stimmungslage tatsächlich dauerhaft zu beeinflussen. Dazu ist der Tryptophangehalt in der Nahrung offensichtlich doch zu gering.

Mehr Gelassenheit durch den Speiseplan

Die Wirkung eines einzelnen Lebensmittels scheint also schlichtweg zu schwach zu sein. Dagegen mehren sich Studien, dass eine insgesamt eiweißarme und zugleich kohlenhydratreiche Kost, die reichlich Fisch enthält, Menschen langfristig fröhlicher und ausgeglichener machen kann. Die herabgesetzte Eiweißzufuhr sollte vorwiegend durch Fisch gedeckt werden. Wer sich immer wieder niedergeschlagen fühlt, hochsensibel auf Stress reagiert und an Stimmungsschwankungen leidet, dem geht es mit einer solchen Ernährungsweise nachweislich besser.

Der niederländische Psychologe Rob Markus von der Universität Maastricht widmet sich seit Ende der neunziger Jahre der Frage, ob eine bestimmte Ernährung bzw. Lebensmittelauswahl uns mit Stress besser umgehen lässt, das heißt stresstoleranter machen kann. In einer seiner ersten Untersuchungen wählte er anhand eines Fragebogens unter 334 Probanden 22 aus, die als stressanfällig eingestuft wurden, und weitere 21, die er als stressrobust klassifiziert hatte. Die Personen erhielten entweder eine Kost mit 66 Energie-Prozent Kohlenhydraten und 4 Prozent Eiweiß oder Speisen mit einem Anteil von 41 Prozent Kohlenhydraten und 27 Prozent Eiweiß. Alle Probanden bekamen sowohl das kohlenhydratreiche Essen als auch das andere. Sie erhielten die Kost jeweils an zwei aufeinander folgenden Tagen, immer am Nachmittag erfolgte ein Test mit Mathematikaufgaben. Nach vier Wochen Pause wurde der identische Test erneut durchgeführt, um die Wiederholbarkeit der Ergebnisse zu prüfen. Alle Teilnehmer mussten die Rechenaufgaben bei starkem Lärm lösen. Unter den stresssensiblen Probanden reagierten die kohlenhydratreich Verköstigten deutlich gelassener. Ihr Puls war niedriger, in ihrem Speichel fanden sich überdies etwa um 15 Prozent niedrigere Werte des Stresshormons Cortisol. Auch die Gemütslage war bei höherer Kohlenhydratmenge deutlich besser, die Probanden fühlten sich glücklicher. Bei den Testpersonen, die als stressunempfindlich galten, zeigte sich dagegen kein signifikanter Effekt der Ernährung.

Angekurbeltes Glückshormon

Als Erklärung für die Befunde diskutieren die Forscher heute zwei Mechanismen. Zum einen wird kohlenhydratreiche Nahrung im Körper größtenteils in Glucose umgewandelt, die wiederum die Bauchspeicheldrüse zur Produktion von Insulin anregt. Insulin erhöht den Tryptophanspiegel im Gehirn, also den Gehalt jenes Stoffes, aus dem das Glückshormon Serotonin gebildet wird. Das könnte erklären, weshalb sich die Stimmung der Probanden hebt. Da Serotonin im Gehirn zugleich als Botenstoff für das Übertragen von Informationen von Nervenzelle zu Nervenzelle verantwortlich ist, steigt insgesamt die kognitive Leistung. Die gesteigerte Leistungsfähigkeit und die gehobene Laune bewirken offenbar, dass stresssensible Menschen mit der Stresssituation nach der kohlenhydratreichen und eiweißarmen Kost besser fertig werden. Das schlägt sich letztendlich in dem niedrigeren Cortisol-Gehalt im Speichel nieder.

Einen zweiten Mechanismus sehen Wissenschaftler darin, dass die Aminosäure Tryptophan üblicherweise mit anderen Aminosäuren wie Valin und Leucin um den Transport ins Gehirn konkurriert. Bei einer hohen Insulinausschüttung werden die Konkurrenten jedoch vermehrt ins Muskelgewebe befördert. Tryptophan hingegen verbleibt größtenteils im Blut. Auf diese Weise kann es nun - seiner Mitstreiter weitgehend entledigt - nahezu ungehindert die Reise ins Gehirn antreten.

Wenig Eiweiß hebt die Laune

Auch andere Untersuchungen bestätigen, dass mit eiweißarmer Kost die Aufnahme des Tryptophans ins Gehirn wahrscheinlich effektiver verläuft. Bei Essen mit viel Eiweiß wird die Aminosäure dagegen sogar ausgebremst. Ab einem Proteinanteil von mehr als 20 Prozent ist Tryptophan gegenüber den anderen Aminosäuren an der Blut-Hirnschranke deutlich benachteiligt. Eine ausgewogene Kost mit viel Getreideprodukten, Obst und Gemüse, aber wenig Käse, Fleisch oder Nüssen vermag also offenbar labile Menschen zu stabilisieren und gleichzeitig ihre Stimmung zu heben. Um dies zu untermauern, wurde diese Gute-Laune-Diät in mehreren Studien an verschiedenen Personengruppen getestet. Bei einigen Bevölkerungsgruppen gehen gar die Selbstmordraten zurück, wenn der Verzehr von Kohlenhydraten steigt. Die Diät testeten Wissenschaftler auch gegen das prämenstruelle Syndrom (PMS), bei dem Frauen in den Tagen vor ihrer Menstruation unter Abgeschlagenheit, Lustlosigkeit, Stimmungsschwankungen und Müdigkeit leiden. Bei der Mehrzahl der Frauen bessert sich die Gefühlslage durch eine entsprechende Lebensmittelauswahl. Allerdings regt eiweißarme Ernährung den Appetit offenbar stärker an. Verschiedene Studien berichten, dass dann insgesamt mehr Kalorien aufgenommen werden und es unter Umständen zur Gewichtszunahme kommt.

Im Winter steigt Verlangen nach Süßem

Dass Kohlenhydrate glücklich machen, scheint der menschliche Körper übrigens instinktiv zu spüren. In den Herbst- und Wintermonaten verlangt er deshalb besonders viel Naschwerk. In dieser lichtarmen Zeit fehlt es aufgrund der geringen Sonneneinstrahlung an Vitamin D. Vitamin D fördert die Produktion von Serotinin im Gehirn. Die unzureichende Vitaminversorgung drosselt daher die Serotoninproduktion. Gerade Personen, die in der dunklen Jahreszeit zu Depressionen neigen, essen in dieser Zeit deutlich mehr süße, kohlenhydratreiche Nahrung als im Sommer. Eine reine Winterdepression lässt sich jedoch bessern, indem man sich täglich mindestens ein halbe Stunde ans Tageslicht begibt oder mittels Lichttherapie behandelt.

Abhängig von der Ursache einer Depression kann also eine angepasste Ernährung die Beschwerden mehr oder minder lindern. Doch der Übergang zwischen Menschen, die sich nur hin und wieder niedergeschlagen fühlen, und solchen, die an schweren Depressionen leiden, ist fließend. Eines aber steht unter Wissenschaftlern fest: Menschen mit schweren Depressionen können mit einer Gute-Laune-Diät nicht geheilt werden. Wenn sich jemand über mehr als zwei Wochen zutiefst traurig, lustlos, müde, schuldig und appetitlos fühlt oder sogar Zustände innerer Leere und Sehnsucht nach dem Tod empfindet, sollte unbedingt ein Arzt zu Rate gezogen werden. Um diese schweren Depressionen zu kurieren, ist der Einfluss einer kohlenhydratreichen Diät auf das Gehirn zu schwach.

Schützt Fisch vor Depressionen?

Eine bestimmte Ernährungsweise kann ein Medikament daher niemals ersetzen, allenfalls begleitend eine schwache Besserung herbeiführen. Das belegen zumindest Studien an schwer depressiven Patienten, die der amerikanische Forscher Joseph Hibbeln von der amerikanischen Gesundheitsbehörde "National Institutes of Health" begleitet hat. Er untersucht seit Jahren den Einfluss von Fisch auf den Gemütszustand. Je mehr Fisch verzehrt wird, desto seltener werden in einem Land Depressionen beobachtet. So gibt es in Ländern wie Japan oder Taiwan rund 60-mal weniger Depressive als in Deutschland oder Kanada. Auch die Selbstmordraten liegen in den asiatischen Ländern entsprechend niedriger.

Eine finnische Studie mit rund 3200 Teilnehmern stützt ebenfalls die Vermutung der Forscher, dass Fisch möglicherweise vor Depressionen schützt und sie letztendlich auch lindern kann. Probanden, die Meeres- oder Süßwasserfische seltener als einmal pro Woche zu sich nahmen, hatten ein 31 Prozent höheres Erkrankungsrisiko als diejenigen, die häufiger Fisch verzehrten. Hibbeln und andere Forscher vermuten, dass die im Fisch enthaltenen Omega-3-Fettsäuren für die Unterschiede verantwortlich sein könnten. Ähnlich wie einige Antidepressiva können sie in den Gehirnstoffwechsel eingreifen. Denn ein niedriger Blutspiegel von Omega-3-Fettsäuren führt zu einem Serotoninmangel.

Natürliches Antidepressivum

Das erklärt Untersuchungsergebnisse an der Harvard-Universität, die auf eine stimmungsaufhellende Wirkung der Omega-3-Fettsäuren hindeuten. Manisch depressive Patienten erhielten dort vier Monate lang entweder Fischöl- oder Olivenölkapseln. Nur das Fischöl konnte die Symptome der Erkrankung zurückdrängen. Da Fisch auch Vitamin D enthält und dieses Vitamin die Serotininproduktiom im Gehirn fördert, könnte das auch den stimmungsaufhellenden Effekt erklären. Allerdings äußern sich die Forscher dazu nicht.Inzwischen wurde in mehreren Studien getestet, ob Fischöl, insbesondere Omega-3-Fettsäuren, gegen Depressionen und psychische Störungen hilft. In einer Untersuchung der Sheffield University wurden beispielsweise 70 depressiven Patienten hohe Dosen einer Omega-3-Fettsäure verabreicht. Die Personen hatten auf gängige Antidepressiva nicht angesprochen. In mehr als zwei Drittel der Fälle besserte sich der Zustand und die Abstände zwischen den Phasen schwerer Niedergeschlagenheit dehnten sich aus.

Fettsäuren heben die Stimmung

Es ist jedoch nicht vollständig geklärt, warum Fisch das Gemüt positiv beeinflusst. Hibbeln sieht die Ursache darin, dass auch das menschliche Gehirn teilweise aus essenziellen Fettsäuren wie den Omega-3-Fettsäuren aufgebaut ist. So finden sie sich beispielsweise in den Wänden der Nervenzellen. Auch scheinen der Stoffwechsel von Serotonin und diesen Fettsäuren eng miteinander verbunden zu sein. Depressive Menschen mit einem Mangel an Serotonin haben häufig auch einen Mangel an Omega-3-Fettsäuren. Umgekehrt konnte an Schweinen nachgewiesen werden, dass der Serotoninspiegel steigt, wenn diese reichlich Omega-3-Fettsäuren ins Futter bekommen. Die genauen biochemischen Mechanismen und Wechselwirkungen sind aber noch unbekannt.

Doch möglicherweise geht der glücklich machende Effekt des Fisches ganz einfach auf die Wirkung des Fettes zurück. Jedenfalls konnten Wissenschaftler nachweisen, dass freie Fettsäuren allgemein mit Tryptophan darum konkurrieren, an den Eiweißbaustein Albumin im Blut zu binden. Wer viel Fett konsumiert, der reserviert alle Albuminplätze für die Fettbausteine, das Tryptophan ist damit ungebunden und kann ungehindert ins Gehirn vordringen. Der positive Effekt auf das Gemüt hält jedoch nur für wenige Stunden an; dann fordert der Körper Nachschub an Fettigem, gleichzeitig verlangt er nach Süßem, um für einen Tryptophan- bzw. Serotoninnachschub im Gehirn zu sorgen. Da ein täglicher übermäßiger Fettkonsum jedoch andere Erkrankungen auf den Plan ruft, ist eine Zucker-Fett-Kur gegen Depressivität sicher nicht ratsam. Eine mediterrane Ernährung mit viel Kohlenhydraten aus Gemüse, Obst und Vollkornprodukten, ein bis zwei Fischmahlzeiten pro Woche und nicht zu viel Eiweiß dagegen trägt dazu bei, auch bei Stress gelassen, glücklich und gesund zu bleiben. Insbesondere stressanfällige und depressiv gestimmte Menschen können von einer eiweißarmen und kohlenhydratreichen Kost profitieren.

Onlineversion von:

Donner, S.: UGB-FORUM 5/05, S. 245-248