Jodprophylaxe überholt?
Neue Zahlen - alte Empfehlungen

Es steckt ganz unscheinbar in Brot, Wurst und Suppe - seit es Jodsalz gibt, haben immer weniger Deutsche einen Kropf. Doch die zunehmende Jodierung von Lebensmitteln wirft neue Probleme auf.

Jodprophylaxe

Lange Jahre galt ganz Deutschland als Jodmangelgebiet. Aktuelle Daten zeigen aber, dass Kinder, Jugendliche und Erwachsene hierzulande nach WHO-Kriterien ausreichend mit Jod versorgt sind. Der Jodidgehalt in Muttermilch ist sogar erheblich angestiegen. Für große Teile der Bevölkerung hat sich die Verwendung von Jodsalz also positiv ausgewirkt. Doch schätzungsweise zehn Prozent der Deutschen reagieren auf Jod empfindlich. Sie können das Spurenelement mittlerweile kaum noch meiden und müssen gesundheitliche Risiken in Kauf nehmen.

Warum überhaupt Jodprophylaxe?

Jod zählt zu den essenziellen Nährstoffen. Das Spurenelement ist Bestandteil der Schilddrüsenhormone, die zahlreiche Stoffwechselwege regulieren. So steuern sie beispielsweise das Wachstum und beeinflussen den Grundumsatz. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt Erwachsenen bis 50 Jahren eine tägliche Jodzufuhr von 200 Mikrogramm (µg); die WHO-Empfehlungen liegen um 50 µg niedriger. Als Obergrenze sollten Gesunde 500 µg nicht überschreiten. Bei der derzeit üblichen Kost und auch bei Vollwert-Ernährung ist es nicht möglich, die empfohlene Zufuhr allein über normale, jodhaltige Lebensmittel zu erreichen. Die Verwendung von jodiertem Speisesalz wird deshalb in der Vollwert-Ernährung unterstützt, auch wenn es sich hierbei um den Zusatz eines isolierten Nährstoffs handelt.

Mittlerweile verwenden rund 80 Prozent der deutschen Haushalte jodiertes Speisesalz. Immerhin 70-75 Prozent der Bäcker und Fleischer sowie große Teile der Gemeinschaftsverpflegung und der Lebensmittelindustrie setzen jodiertes Speisesalz ein. Obwohl seit 1995 der Verbrauch stagniert, deutet die in den letzten zehn Jahren angestiegene Ausscheidung von Jod im Urin auf eine höhere Aufnahme hin. Mehrere Gründe kommen dafür in Frage: Der Jodgehalt der Lebensmittel nahm in Deutschland in den letzten zehn Jahren kontinuierlich zu. Denn seit Anfang der 90er Jahre werden Futtermittel angereichert, um den Jodgehalt tierischer Lebensmittel zu erhöhen. Der mittlere Jodgehalt der Milch ist daher inzwischen viermal höher als ohne Anreicherung; ein Hühnerei enthält heute sogar 14-mal mehr Jod als früher. Da Milch und Milchprodukte die Hauptquellen für Jod sind, wirkt sich diese Veränderung beachtlich aus.

Viel hilft nicht immer viel

Jod tut nicht allen Menschen gut. So kann bei bereits vorhandenen und bei latenten Schilddrüsenerkrankungen wie der Autoimmunerkrankung Morbus Basedow ein zuviel an Jod die Symptome verschlimmern oder die Krankheit auslösen. Zudem gibt es offenbar empfindliche Menschen, die auf jodierte Produkte mit allergischen Hautproblemen, Nervosität oder Schlafstörungen reagieren. Jodgegner finden daher 500 µg pro Tag als Obergrenze zu viel und sprechen sich gegen jede Anreicherung aus. Weil es aber kaum noch Lebensmittel ohne Jod gibt, steht jeder, der Jod meiden muss oder möchte, vor einem fast unlösbaren Problem. Denn Jodsalz in loser Ware, die unverpackt verkauft wird, muss nicht gekennzeichnet werden. Nur bei verpackten Produkten muss in der Zutatenliste "jodiertes Speisesalz" angegeben sein. Die genaue Menge bleibt hier aber unklar.

Solange Jod nur in Form von Kochsalz aufgenommen wird, setzt der Geschmack einer Überdosierung natürliche Grenzen. Da aber in fast allen verarbeiteten Lebensmitteln Jodsalz eingesetzt wird und außerdem viele neuartige Produkte wie angereicherte Müsliriegel oder Milchmischungen zusätzlich Jod enthalten, kann sich die Aufnahme bedenklich aufsummieren. Hinzu kommt die zunehmende Verwendung von Jodpräparaten. 2003 wurden immerhin 1,6 Millionen Packungen jodhaltiger Präparate verkauft, mit steigender Tendenz. Auch mit Jod angereicherte Lebensmittel und Getränke landen immer öfter im Einkaufskorb. Das heißt, auch gesunde Menschen können durchaus schädliche Mengen an Jod aufnehmen. Selbst für Schwangere halten einige Mediziner eine Jodsupplementierung über Tabletten nicht mehr uneingeschränkt für angezeigt. Zwar gibt es Regionen, in denen die tägliche Zufuhr von 100 µg Jod über Tabletten für Schwangere empfehlenswert bleibt. Wenn die Frauen aber beispielsweise eine Jodtablette schlucken, reichlich Milch trinken und gleichzeitig angereicherte Lebensmittel verzehren, kann die Tagesmenge durchaus die kritischen Größe von 500 µg übersteigen.

Aktuelle Daten fehlen

Die letzte repräsentative Untersuchung zur Jodversorgung in Deutschland stammt aus dem Jahr 1996. Aktuelle Daten über die tatsächliche Jodaufnahme sind nicht vorhanden. Es gibt lediglich eine Reihe von regionalen Einzeluntersuchungen. So zeigte 1999 eine Studie an 3065 Schulkindern aus verschiedenen Regionen, dass 27 Prozent eine unzureichende Jodausscheidung aufwiesen, während 44 Prozent im optimalen Bereich lagen und immerhin 29 Prozent schon darüber. Bei 1174 untersuchten Erwachsenen überschreiten 27 Prozent den optimalen Bereich, 36 liegen genau richtig und 37 Prozent unterschreiten ihn.


Selbst das BfR fordert inzwischen eine EU-Regelung, mit der die Verwendung von Jod auf Salz beschränkt werden sollte. Auch fehlen bisher europaweit einheitliche Höchstgrenzen bei der Jodierung von Speisesalz und Nahrungsergänzungspräparaten. In Deutschland gelten derzeit 20 µg Jod pro Gramm Salz sowie 100 µg Jod pro Tablette als Obergrenze, diätetische Nahrungsergänzungsmittel für Schwangere und Stillende dürfen die doppelte Menge enthalten.

Mehr Informationen nötig

Das generelle Problem bei Jod ist, dass sowohl eine Unterversorgung als auch eine Überversorgung das Risiko für Schilddrüsenerkrankungen erhöhen. Da aktuelle, flächendeckende Daten zur Jodversorgung fehlen (siehe Kasten), bleibt die Empfehlung bestehen, jodiertes Meer- oder Speisesalz zu verwenden. Denn die verbesserte Versorgung ist ein Erfolg der Jodsalzprophylaxe. Sollte die Verwendung von Jodsalz in allen Bereichen abgeschafft werden, würden in der Bevölkerung Jodmangelkrankheiten vermutlich wieder zunehmen. Allerdings sollte die Möglichkeit einer Überdosierung im Auge behalten werden. EU-weite Regelungen sind nötig, die den Jodzusatz in Lebensmitteln festlegen und eine genaue Kennzeichnung der Menge vorschreiben. Unverzichtbar ist auch, dass die Jodversorgung der Bevölkerung regelmäßig erfasst wird, um rechzeitig Maßnahmen gegen eine Überdosierung ergreifen zu können. Zudem muss es auch jodfreie Lebensmittel geben. Aus diesem Grund ist ebenfalls der Einsatz jodierter Mineralstoffgemische in Futtermitteln zu überdenken. Außerdem sollten die Verbraucher vermehrt darüber informiert werden, dass mit Jod angereicherte Lebensmittel auch schädlich sein können.

Quelle: Becker, U.: UGB-FORUM 3/05 S. 152-153

Dieser Beitrag ist dem UGB-Archiv entnommen.

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