Clean Label: Die Werbung mit dem Verzicht

Ob Joghurt, Chips, Wurstwaren oder Tiefkühlpizzen - immer mehr Lebensmittel werben nicht damit, was drin ist, sondern damit, welche Zusätze sie nicht enthalten. Doch hinter den "Clean Labels" - den angeblich sauberen Etiketten - stecken oft nur Marketingtricks der Anbieter.

Clean Label, Lebensmittelkennzeichnung, Etikett, Farbstoffe, Geschmacksverstärker

Viele Verbraucher legen Wert auf gesunde und möglichst natürliche Lebensmittel. Um diesen Trend zu nutzen, vermarkten etliche Hersteller ihre Produkte mit Werbebotschaften wie: ohne Konservierungsstoffe, Geschmacksverstärker, Farbstoffe oder Aromen. Die Hinweise darauf platzieren sie meist in Form von Häkchenlisten an gut sichtbarer Stelle auf der Verpackung. Die Lebensmittelwirtschaft nutzt damit den Wunsch vieler Verbraucher nach gesunden und möglichst natürlichen Lebensmitteln. So werden die Rezepturen insbesondere um die ungeliebten Zusatzstoffe mit nach Chemie klingenden E-Nummern bereinigt: Das Ergebnis nennt man in Fachkreisen "Clean Label" - also ein sauberes Etikett. Zusätzliche Werbehinweise wie "Natur pur" oder "ohne" bestärken Verbraucher in der Erwartung, ein vergleichsweise natürliches Produkt zu kaufen. Doch wie "sauber" sind die Lebensmittel mit den sauberen Etiketten wirklich?

Nur auf den ersten Blick "ohne"

Eine Untersuchung der Verbraucherzentralen im vergangenen Jahr brachte ernüchternde Ergebnisse. Überprüft wurden 151 Etiketten von Lebensmitteln aus 12 Produktgruppen: von Tütensuppen und Tiefkühlpizzen über Milcherzeugnisse und Knabbersnacks bis hin zu Erfrischungsgetränken. Sie alle warben damit, auf bestimmte Zusatzstoffe oder Aromen zu verzichten. Der Abgleich mit den Zutatenlisten ergab, dass Produkte mit entsprechender Auslobung nicht unbedingt besser dastehen als Lebensmittel ohne diese Hinweise. Vielmehr setzen die Hersteller oft unverdächtig scheinende Stoffe mit vergleichbarer Wirkung als deklarationsfreundliche Alternativen ein.
So fanden sich bei 92 Prozent der Produkte, die angeblich "ohne Geschmacksverstärker" auskommen, potenziell geschmacksverstärkende Zutaten wie Hefeextrakt - ein Geschmacksverstärker. 62 Prozent der mit der Bezeichnung "ohne Farbstoffe" oder "ohne künstliche Farbstoffe" beworbenen Lebensmittel enthielten Zutaten wie Karottenkonzentrate, Rote-Bete-Saft oder Spinat - also färbende Lebensmittel. Nur bei knapp der Hälfte der Produkte, die laut Werbung auf Farbstoffe verzichteten und die stattdessen färbende Lebensmittel enthielten, wurde auf deren färbende Wirkung hingewiesen. Und 71 Prozent der Produkte, die mit der Aussage "ohne künstliche Aromastoffe" warben, enthielten stattdessen andere Aromen.
Die Verwirrung wird dadurch komplettiert, dass manche Anbieter den Verzicht auf bestimmte Zusatzstoffe mit dem Zusatz "laut Gesetz" bewerben. Dies heißt nichts anderes, als dass der betreffende Zusatzstoff bei dieser Lebensmittelgruppe ohnehin nicht eingesetzt werden darf. Vergleichbare Lebensmittel dürfen ihn daher auch nicht enthalten.

Clean Label: Statt Farbstoffen färbende Zutaten

Die Bandbreite der Werbeaussagen ist groß. Allein die Angabe zum Verzicht auf Geschmacksverstärker wurde von den Verbraucherzentralen in 17 verschiedenen Varianten gefunden. Und was für den Laien die gleiche Bedeutung haben mag, kann doch unterschiedliche Sachverhalte verbergen. So ist die Aussage "ohne Geschmacksverstärker" anders zu interpretieren als die Angabe "ohne geschmacksverstärkende Zusatzstoffe". Im ersten Fall sollten weder geschmacksverstärkende Zusatzstoffe wie Glutamat (E620-E625) noch geschmacksverstärkende Zutaten wie Hefeextrakt oder Sojaproteinhydrolysat enthalten sein. Im zweiten Fall ist lediglich zu erwarten, dass auf die betreffenden Zusatzstoffe verzichtet wurde, Hefeextrakt aber durchaus enthalten sein kann. Doch selbst diese Differenzierung wird von den Herstellern nicht verlässlich eingehalten.

Auch die Annahme, Lebensmittel "ohne Farbstoffe" oder "ohne künstliche Farbstoffe" seien nicht gefärbt, ist vielfach nicht gerechtfertigt. So werden häufig Rote-Bete-Saft, Kürbis- oder Karottenkonzentrate, schwarze Johannisbeere, schwarze Karotte oder das Algenkonzentrat Spirulina zur Farbgebung eingesetzt. Konzentrate oder Pulver aus Obst und Gemüse gelten als färbende Lebensmittel und damit als Zutat, aber nicht als Farbstoffe im Sinne der Zusatzstoffzulassungsverordnung, und müssen nicht mit E-Nummern gekennzeichnet werden. Diese Tatsache machen sich auch Süßwarenhersteller gerne zunutze, um ihren Produkten ein gesundes Image zu verleihen. Vor allem dann, wenn nicht auf die färbenden Eigenschaften der betreffenden Zutaten hingewiesen wird - und das ist häufig der Fall -, kann ein derart optisch geschöntes Lebensmittel mehr Qualität vortäuschen. So gaukelt zum Beispiel Rote-Bete-Saft im Kirschjoghurt einen höheren Kirschanteil vor.

Clean Label: Irreführung der Kunden?

Ob Zusatzstoffe oder Zutat - die wenigsten Verbraucher verfügen über lebensmittelrechtliches Detailwissen, um die Werbeaussagen der Anbieter zu durchschauen. So sind etwa Geschmacksverstärker nach dem allgemeinen Sprachverständnis der Verbraucher alle Stoffe, die den Geschmack des Lebensmittels verstärken sollen. Bei der Angabe "ohne Geschmacksverstärker" erwarten sie daher, dass das Produkt diese Stoffe tatsächlich nicht enthält, das heißt, dass auch Hefeextrakt, Würze, Sojasoße und Maisproteinhydrolysat nicht zur Geschmacksverstärkung eingesetzt werden. Und wer auf der Verpackung den Hinweis "ohne Farbstoffe" sieht, wird davon ausgehen, dass das Lebensmittel nicht gefärbt ist; dass also zum Beispiel die rote Farbe der Tomatensuppe ausschließlich von den Tomaten kommt und nicht mit Rote-Bete-Pulver "nachgeholfen" wurde.

Während die Kennzeichnung von Lebensmitteln als "Ohne-Gentechnik" hergestellt oder als "glutenfrei" gesetzlich definiert ist, gibt es für die Auslobungen mit einem Clean Label keine spezifischen Vorgaben. Dennoch sind der Verwendung der Aussagen durch das Lebensmittelgesetzbuch (§ 11 LFGB) Grenzen gesetzt: Danach ist es verboten, Lebensmittel unter irreführender Bezeichnung oder Aufmachung in den Verkehr zu bringen oder für Lebensmittel mit irreführenden Aussagen zu werben. Auch die Vorgaben des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) sind zu beachten. Auf dieser Basis erwirkte der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) zum Beispiel eine Unterlassungserklärung der snäcky Knabbergebäck GmbH, nach der der Hersteller für Chips nicht mehr mit den Worten "ohne den Zusatz von Geschmacksverstärker" wirbt, wenn das Produkt Hefeextrakt enthält. Dies hat Signalwirkung für den Verbraucherschutz. Notwendig sind jedoch klare rechtliche Regelungen, die gewährleisten, dass die Verzichtserklärungen keine leeren Versprechungen sind, sondern verlässliche Informationen, die den Einkauf erleichtern.

Der Bericht der Verbraucherzentralen kann kostenlos heruntergeladen werden unter: www.vz-nrw.de/mediabig/131071A.pdf

Quelle: Mühleisen, I.: UGB-FORUM 2/11 S. 100-101