Aktuelle Food-Trends - Von Kitchensurfing bis Do it yourself

Selbstgekochtes Essen wird selbst in Familien immer seltener. Stattdessen gehören Fertiggerichte und Fast Food für viele zum Alltag. Doch dank raffinierter Ideen scheint ein Wandel in Sicht: Frisch Gekochtes in Gesellschaft zu essen, mausert sich zu einem neuen Trend.

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Heute sind in vielen Familien beide Elternteile berufstätig und die Kinder werden in der Kita oder Schule mit einem warmen Mittagessen versorgt; Berufstätige speisen in der Kantine oder ernähren sich von Snacks. Obwohl sich das durchschnittliche Arbeitsvolumen in den letzten vierzig Jahren um mehr als 20 Prozent verringert hat, klagen fast 40 Prozent der Bevölkerung über akuten Zeitmangel. Durch zeitraubende Arbeitswege, Zweitjobs, Doppelbelastung und Home-Office gibt es kein festes Arbeitsende und es fehlt Struktur im Alltag. Schnell unterwegs etwas beim Bäcker holen und im Auto oder Zug, beim Laufen oder im Stehen essen – sogenanntes Snacking ist für viele Normalität. Gleichzeitig wachsen die Freizeitmöglichkeiten: Zeit für Familie, Haushalt, Unternehmungen mit Freunden, soziales Engagement, Sport oder einfach in Ruhe ein Buch lesen. Bei den unzähligen Möglichkeiten bleiben als erstes ausgewogene und regelmäßige Mahlzeiten auf der Strecke. Nicht selten wird dann auf Lieferservice, Fertigprodukte und Tiefkühllebensmittel zurückgegriffen. Und das nicht nur von Junggesellen. Forscher sprechen schon von einer McDonaldisierung der Gesellschaft.

Mit Fremden die Küche teilen

Doch es geht auch anders. Das zeigen Ideen wie das perfekte Dinner mit Freunden, ein Kochduell unter Arbeitskollegen oder Kochevents mit fremden Menschen. Über Internetseiten wie kochgruppen.de, co-cooking.de oder yumwe.de lassen sich Kochpartner und Kochgruppen vor allem in größeren Städten finden. Von Studenten initiiert wurde zum Beispiel Gießen kocht, ein besonderer Event, zu dem zweimal jährlich in der hessischen Universitätsstadt aufgerufen wird. Die Idee lebt nicht nur vom gemeinsamen Kochen mit einem Blind Date, sondern Vorspeise, Hauptgang und Dessert werden im Laufe des Abends mit wechselnden Kochpartnern, an unterschiedlichen Orten und in verschiedenen Küchen eingenommen. Zum Abschluss gehen alle Beteiligten feiern, um auch die anderen Teilnehmer kennen zu lernen. Etwas professioneller organisiert findet sich das gleiche Prinzip unter Jumping Dinner oder Rudi rockt; hier werden Kochevents für mehrere Städte gebündelt. Beim Kochen andere Menschen kennenzulernen, ist auch Ziel des kleinen Start­up-Unternehmens unser-dinner.de, das Social Networking und reales Leben zusammenbringen will: Interessierte stellen ihr Profil und ihre Kochidee ins Internet und können so von anderen ausgewählt werden. Multikulturell geht es bei ComeCookAndEat zu. Reisende können anhand eines Profils Gastgeber in anderen Ländern kontaktieren, um gemeinsam mit ihnen einzukaufen und zu kochen. Dabei geht es weniger darum, sich bekochen zu lassen. Vielmehr steht der gegenseitige Austausch von kulturellen Traditionen und Essgewohnheiten durch gemeinsames Kochen und voneinander Lernen im Vordergrund.

Andere für sich kochen lassen

Einen Koch nach Hause bestellen und sich kulinarisch von ihm verwöhnen lassen, inklusive Einkaufen und Aufräumen, ist die Idee von Kitchensurfing. Im Raum Berlin bieten derzeit etwa 70 Köche diesen Service an; bald sollen andere Städte dazu kommen, München und Köln stehen schon in den Startlöchern. In den USA ist die Idee schon etablierter. Damit man als potenzieller Gast sieht, wen man sich da ins Haus holt, stellen sich die teilnehmenden Köche im Internet kurz vor: mit Foto, kurzer Beschreibung der Vorlieben beim Kochen sowie drei Lieblingszutaten. Ob mediterran, afrikanisch oder südamerikanisch, ob glutenfrei oder vegan, für jeden ist etwas Passenden dabei.

Ähnlich funktioniert das Prinzip bei den Guerilla-Restaurants oder Supper Clubs. Unbekannte Menschen kommen zusammen, um sich von einem passionierten Hobbykoch oder Profi verköstigen zu lassen. Über Blogs oder Facebook meldet man sich beim ausrichtenden Koch an und bekommt einen Tag vorher den bis dato geheimen Ort genannt. Was in Kuba oder Hongkong schon vor Jahrzehnten aufgrund der staatlich geführten Restaurants üblich war, hat 2004 ein Eventmanager in den USA für sich entdeckt. Er fing an, Dinnerpartys in privaten Wohnungen zu organisieren. Wie so oft, schwappte der Trend der Anti-Restaurants von Übersee dann über die ganze Welt. Wie viele Guerilla-Restaurants oder Supper Clubs es mittlerweile gibt, ist schwer zu sagen. Laut The Ghetto Gourmet, einem weltweiten Portal für die Untergrund-Restaurants, wurden zwischen 2003 und 2008 über 400 Dinner für etwa 10.000 Gäste organisiert. In Deutschland ist die ungewöhnliche Art der Bewirtung bislang nur in wenigen Städten zu finden. Rechtlich gesehen ist diese Art der Gastronomie eine Grauzone. So lange es keine gewerbliche Tätigkeit ist, sondern nur dem privaten Vergnügen dient, schreitet das Ordnungsamt aber nicht ein.

Der Hektik im Alltag entgegenwirken

Sich wieder mehr mit dem Kochen zu beschäftigen, passt zum aktuellen Trend um das Selbermachen. Do-it-yourself-Anleitungen in Büchern, Zeitschriften, Videos und Blogs rund um Rezepte, Kochtipps und Genuss werden immer beliebter; Gärtnern und Kochen stellen einen neuen Lifestyle dar. Was früher als spießig galt, dient heute vielen dazu, die immer hektischer werdende Welt etwas zu entschleunigen. Wer selbst Brot backt, Marmelade einkocht oder Gemüse auf der Fensterbank anpflanzt, sieht schon nach kurzer Zeit, was er geschaffen hat und kann selbst gestalten. Das steigert das Selbstwertgefühl. In unserer technisierten Welt, die kaum noch jemand vollständig durchblickt, fühlt sich das gut an. Teilt man anschließend über Facebook und Co. Fotos des selbstgekochten 3-Gänge-Menüs, des Gemüsechutneys oder der Himbeertorte, bekommt man zusätzlich noch die Anerkennung von Freunden und Bekannten, wenn auch nur virtuell. Vielleicht steigt die Zahl an Foodblogs aus diesem Grund beständig an, für echte Kontakte fehlt offenbar die Zeit. Jährliche Food Blog Awards, also Wettkämpfe um den besten Foodblog, prämieren den originellsten Internetauftritt. Manche private Foodblogger sind so erfolgreich, dass sie inzwischen von der Werbung auf ihrer Internetseite leben können, aus einigen beliebten Bloggern sind sogar Buchautoren geworden.

Interessante Foodblogs

www.ploetzblog.de – Blog übers Brotbacken, teilweise selbst entwickelte Rezepte, auch viele mit Vollkornmehl
www.aufdembauernmarkt.de – saisonale Rezepte mit frischen Zutaten vom Bauernmarkt
www.esskultur.at – Rezepte + Einkauftipps einer vegetarischen Kochbuchautorin aus Österreich
www.lieberlecker.wordpress.com – vielseitige Rezeptideen aus der Schweiz
www.vegetarian-diaries.com – interessante Seite rund um vegetarisches Essen
www.vollwert-blog.de– Leckeres aus der Vollwertküche, jedoch nach Bruker
www.greenkitchenstories.com – vollwertige, vegetarische Bio-Küche
www.sproutedkitchen.com– vegetarische Vollwertküche, einige Fischrezepte

Selbst produzieren schafft Zufriedenheit

Hinter der Do-it-yourself-Bewegung steckt laut Experten auch das verlorene Vertrauen der Verbraucher in die Lebensmittel­industrie. Nach immer wieder neuen Skandalen wollen viele Menschen wissen, wo ihr Essen herkommt und unter welchen Bedingungen es hergestellt wird. Und am einfachsten ist das, indem man Nahrung selbst produziert. Ein paar Erdbeeren, Tomaten oder Kräuter lassen sich auf jeder Fensterbank oder dem Balkon anbauen. In größeren Städten hat das Urban Gardening oder auch Urban Farming mittlerweile ganz andere Dimensionen angenommen. Auf leer stehenden Fabrikgeländen, ungenutzten Dächern und Grünstreifen kann jeder ein Stück Erde nach seinem Belieben gestalten und bepflanzen. Ob Blumen züchten oder Gemüse ernten, alles ist möglich. Die Idee stammt aus dem New York der 1970er Jahre. Was damals eher als Protest gegen zubetonierte Innenstädte gedacht war, bekommt heute durch die professionelle Organisation von Stadtplanern eine ganz neue Bedeutung. Das urbane Grün soll die Menschen zusammenbringen, mit Lebensmitteln versorgen und die Städte schöner und nachhaltiger gestalten. Die Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, die FAO, fördert Urban Agriculture in den explodierenden Großstädten Afrikas zur Versorgung der Bevölkerung: Viele mittellose Menschen können so Geld für Lebensmittel einsparen.

Die neuen Liebhaber guten Essens

Gemeinsam Kochen mit frischen und regionalen Lebensmitteln von guter Qualität, wenn möglich selbst angebaut. Das Ausprobieren von bisher unbekannten Produkten und Lebensmittelkombinationen, bei gleichzeitiger Nutzung von alten Techniken, wie etwa Einkochen. Und das direkt oder über soziale Netzwerke mit Freunden und Bekannten teilen – so sieht heute ein typischer Foodie aus. Dieser Begriff ist eine Wortschöpfung der Trendforscher für Liebhaber guten und hochwertigen Essens. Inwieweit sich die jeweiligen Food-Trends auf die Lebensmittelwirtschaft und Strukturen in unserer Gesellschaft auswirken, bleibt abzuwarten. Tatsache ist aber, dass schon einige Nischenmärkte für die neuen Zielgruppen entstanden sind. Und auch wenn nicht unsere gesamte bisherige Esskultur neu definiert werden wird, können wir uns doch einiges von dem Foodie abschauen. Besonders wenn es um das gestiegene Bewusstsein für Lebensmittelqualität sowie das Bedürfnis nach gemeinsamen und genussorientierten Kochen und Essen geht.

Quelle: Fischer, J: UGBforum 5/14, S. 214-216